Gute Zeiten - schlechte Aussichten

Barmer GEK will auf 3500 Beschäftigte verzichten und trotzdem besseren Service bieten

  • Silvia Ottow
  • Lesedauer: 3 Min.
Mit der Ankündigung, die Zahl ihrer Geschäftsstellen um die Hälfte zu reduzieren und mittelfristig 3500 Stellen einzusparen, überraschte am Montag die Barmer GEK, zweitgrößte gesetzliche Krankenkasse.

Wer in einer der 800 Geschäftsstellen der Barmer GEK arbeitet und gestern morgen Radio hörte oder das Frühstücksfernsehen eingeschaltet hatte, dem dürfte der Schreck in die Glieder gefahren sein. Die Chance, dass sein Arbeitsplatz die nächsten Jahre überdauert, stehen schlecht, musste er da zur Kenntnis nehmen. Die große gesetzliche Krankenkasse kündigte an, jede zweite der 800 Geschäftsstellen zu schließen, so Vorstandsvorsitzender Christoph Straub.

Von einer tiefgreifenden Reorganisation des Geschäftsstellennetzes und der Arbeitsorganisation spricht die Krankenkasse. Das Kundenverhalten und das Marktumfeld hätten sich verändert, darauf wolle man sich einstellen. Ziel sei eine weitere Qualitätssteigerung der Service- und Leistungsangebote für die Versicherten. Analysen hätten gezeigt, dass immer mehr Versicherte ihre Anliegen am Telefon oder im Web erledigen und weniger in die Geschäftsstellen kommen. Also werde die Kasse in den Aufbau der Telefon- und Onlineservices investieren. Angekündigt werden fachspezifische Bearbeitungszentren, in denen schnelle und qualitativ hochwertige Sachbearbeitung garantiert wird. »Die Erreichbarkeit vor Ort« bleibe mit der neuen Geschäftsstellenstruktur erhalten, heißt es. Die Betreuungsqualität solle sogar gesteigert werden; mehr Mitarbeiter sollen in den Geschäftsstellen arbeiten, die Öffnungszeiten würden verlängert, mobile Geschäftsstellen eingerichtet. Bis zum Sommer würden die Ideen zusammengetragen, erklärt Barmer-GEK-Sprecher Axel Wunsch, dann werde man an die Umsetzung gehen. Sie solle »möglichst sozialverträglich« erfolgen. Mitarbeiter sollen neue Aufgaben angeboten bekommen. Kündigungen seien lediglich in Ausnahmefällen vorgesehen. Warum der Plan in einer Zeit günstiger Kassenlage und moderater Verwaltungskosten aufgelegt wurde? Man müsse in guten Zeiten an schlechte denken, sagt Sprecher Wunsch.

Wie andere gesetzliche Krankenkassen rechnet auch die Barmer GEK damit, dass sich die Finanzpolster in den nächsten Jahren schnell aufbrauchen werden: »Die noch gute Finanzausstattung der Krankenkassen wird sich spürbar verschlechtern. Während die Ausgaben für Medikamente, Kliniken und Ärzte anziehen, stehen auf der Einnahmeseite reduzierte Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds bevor«, so Kassenchef Straub. Mit der Neuausrichtung peilt die Krankenkasse jährliche Einsparungen in Höhe von rund 250 bis 300 Millionen Euro an.

»Wir beobachten aufmerksam, was da vor sicht geht«, beschreibt Benedikt Dederichs vom Sozialverband Deutschland (SoVD) die Skepsis der Sozialverbände, die ihren Mitgliedern nicht selten Hilfestellung leisten, wenn es um Probleme mit Krankenkassen oder anderen Einrichtungen des Gesundheitswesens geht. »Die geplanten Einsparungen dürfen nicht zu Lasten von Behinderten, chronisch Kranken oder alten Patienten gehen«, sagt Dederichs.

Umgehende Tarifverhandlungen fordert die Gewerkschaft ver.di. Es darf »keinen Kahlschlag zulasten der Versicherten und der Beschäftigten geben«, sagte am Montag ver.di-Bundesvorstandsmitglied Isolde Kunkel-Weber. Wenn ein sozialverträglicher Umbau gewollt sei, gehe das nur mit enger Einbindung der Beschäftigten und ihrer Vertreter. »Ein Tarifvertrag zur Reorganisation und zur Vermeidung betriebsbedingter Kündigungen ist deshalb unverzichtbar.« Ver.di kritisierte, dass die Beschäftigten vom geplanten Stellenabbau aus den Medien erfahren.

2012 hatte die Barmer GEK einen Überschuss von 493 Millionen Euro erzielt, 2013 waren es nach Recherchen der »FAZ« noch 91 Millionen Euro. Bei den Verwaltungskosten je Mitglied lag die Kasse mit knapp 95 Euro nach drei Quartalen 2013 leicht über dem Durchschnitt aller Ersatzkassen von gut 92 Euro. 16 900 Mitarbeiter kümmern sich derzeit um 6,7 Millionen Mitglieder und zwei Millionen mitversicherte Angehörige.

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