Weichgespült, teilnahmslos: Kirchen-Sozialwort in der Kritik

Sozialethiker Hengsbach: Ein Blick von einem anderen Stern / Emunds: Schläfert jede Diskussion ein / Kritik auch aus der SPD

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Berlin. Die katholische und die evangelische Kirche wollten mit ihrem Thesenpapier »Gemeinsame Verantwortung für eine gerechte Gesellschaft« eine Debatte über die gesellschaftlichen Zukunftsfragen in Gang setzen. Doch die zehn Thesen haben nun vor allem Kritik an dem Sozialwort ausgelöst. Der Sozialethiker Friedhelm Hengsbach äußerte sich enttäuscht. Der Text sei eine »Ohrfeige« gegenüber dem gemeinsamen Sozialwort der Kirchen aus dem Jahr 1997, sagte Hengsbach am Freitag im Deutschlandfunk. Damals erteilten sie neoliberalen Tendenzen eine Absage und betonten die vorrangige Option für die Armen.

Auch der Frankfurter Sozialethiker Bernhard Emunds, Mitverfasser des Sozialworts der Kirchen von 1997, kritisierte das Nachfolgepapier als mutlos. »Das gepflegte Sowohl-als-auch, das sich als Tenor abzeichnet, wird keine Diskussionen anregen, sondern sie einschläfern«, sagte der katholische Theologe dem »Kölner Stadt-Anzeiger«. Die Kirchenleitungen brächten lediglich »den Konsens der Wohlmeinenden auf den Begriff« und träten als religiöse Garanten der sozialen Marktwirtschaft auf. »Nach meinem Eindruck ist es so: Die Kirchen suchen die Mitte, und wenn zwei Drittel der Bürger Union oder SPD wählen, dann ist es kein Wunder, wenn diese Suche bei der großen Koalition landet«, sagte Emunds.

Für eine Zukunft in Solidarität und
Gerechtigkeit - Sozialwort von 1997
Gemeinsame Verantwortung für eine
gerechte Gesellschaft – Initiative von 2014

Der frühere Bundestagspräsident Wolfgang Thierse und die Vorsitzende des Arbeits- und Sozialausschusses im Bundestag, Kerstin Griese (beide SPD) zeigten sich ebenfalls enttäuscht. Thierse und Griese gehören dem Arbeitskreis der Christinnen und Christen in der SPD an, die am Freitag in Berlin erklärten, sie hätten sich »klarere Worte und zukunftsweisendere Überlegungen gewünscht«. Das gelte auch mit Blick auf die Rolle der Kirchen selbst. Mögliche Streitpunkte würden »durch vage Sätze überdeckt«, kritisieren die christlichen Sozialdemokraten: »So wirkt auch die Option für die Schwachen in der Gesellschaft merkwürdig blass.«

Hengsbach sagte, es handele sich um ein Papier der bildungsbürgerlichen Kirchenleitungen, nicht der Kirchen. »Die kirchlichen Eliten suchen den Schulterschluss mit den wirtschaftlichen und politischen Eliten. Das ist ihnen wirklich gelungen«, kritisierte der frühere Leiter des Nell-Breuning-Instituts für Wirtschafts- und Gesellschaftsethik. Das Papier sei »ein Spiegel der großen Koalition bei den großen Kirchen« und zudem »erhaben teilnahmslos«; es spiegele das saturierte Milieu derer, die es geschrieben hätten. »Das ist ein Blick von einem anderen Stern auf die gesellschaftliche Lage.«

So ignorierten die Kirchen, dass der öffentlichen Verschuldung eine »ungeheure private Vermögensanhäufung« gegenüberstehe. Eine mögliche Umverteilung von oben nach unten sei gar nicht thematisiert worden, sagte Hengsbach weiter. Zugleich bescheinigte er dem Text einen Mangel an ethischer Reflektion. Die »verbale Sozialinitiative« hinke der gesellschaftlichen Diskussion hinterher. Wer bestreite denn heute noch, dass die Finanzmärkte reguliert und das Ziel wirtschaftlichen Handelns nicht die Gewinnmaximierung um jeden Preis sei, fragte der Sozialethiker. Papst Franziskus habe diejenigen in den Blick genommen, die am Rande stünden wie prekär Beschäftigte oder alte Menschen in Armut. Dagegen sei das kirchliche Sozialwort »weichgespült«.

Demgegenüber lobte der Bundesvorsitzenden des CDU-Sozialflügels CDA, Karl-Josef Laumann, das Kirchenpapier. Es bestärke den christlich-sozialen Flügel: »Auch wir wissen, dass Wirtschaft den Menschen dienen muss.« Die Initiative sei eine berechtigte Mahnung an die Politik, »mehr auf die zu schauen, die es schwer haben: Langzeitarbeitslose, Geringverdiener, von Altersarmut bedrohte Menschen«. Die Koalition helfe ihnen mit Mindestlohn und Rentenpaket. Doch die Kirchen erinnerten daran, dass viel zu tun bleibe, sagte Laumann. Der bayerische Landesbischof Bedford-Strohm indes trat Besorgnissen entgegen, das Kirchenwort könne als »Segen« für die große Koalition aufgefasst werden. Bei der ökumenischen Sozialinitiative gehe es weder um einen Segen für die große Koalition noch um einen Segen für irgendjemand anderen. Vielmehr ziele das Papier auf eine Veränderung der politischen und sozialen Lage. »Wir werden die große Koalition entsprechend kritisch begleiten«, sagte Bedford-Strohm. Agenturen/nd

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