Der Staat sieht mit

»Guardian« enthüllt weitere Spielart geheimdienstlicher Sammelwut

  • Meike Stolp, London
  • Lesedauer: 3 Min.
Der britische Geheimdienst GCHQ soll Webcam-Aufnahmen von Millionen Internetnutzern abgegriffen und gespeichert haben. Das berichtete der »Guardian« unter Berufung auf Edward Snowden.

Wer in Großbritannien durch die Straßen läuft, wird automatisch überwacht. Immer ist eine Fernsehkamera auf ihn gerichtet. CCTV heißt das - Closed Circuit Television (zu Deutsch: Geschlossener Fernsehkreis). Das will heißen: Die Bilder sollen nicht im öffentlichen Fernsehen gezeigt werden. Außer vielleicht, man heißt Elizabeth Jagger und ist die Tochter von Rolling-Stones-Sänger Mick. CCTV-Bilder von ihrem Liebesspiel vor einem Londoner Club wurden 2005 von der Klatschpresse veröffentlicht. Später wurde die Veröffentlichung verboten, aber da hatte natürlich jeder die Bilder gesehen. So viel zur Privatsphäre.

Doch die Überwachungszone reicht bis in die Schlafzimmer der Bürger, wie die Tageszeitung »The Guardian« am Donnerstag unter Berufung auf Dokumente des ehemaligen NSA-Mitarbeiters Edward Snowden berichtete. Der britische Geheimdienst GCHQ soll willkürlich Millionen von Standbildern aus Webcam-Chats von Yahoo gesammelt haben. Das Überwachungsprogramm »Optic Nerve« (Sehnerv) soll bis 2012 aktiv gewesen sein. Allein innerhalb von sechs Monaten des Jahres 2008 wurden demnach Daten von mehr als 1,8 Millionen Nutzern gesammelt. Eine überraschend große Anzahl soll nackte Menschen gezeigt haben. Dem »Guardian« zufolge wertete der GCHQ die Aktivitäten als »notwendig und angemessen«. Sie stünden in Einklang mit den Gesetzen in Großbritannien.

Yahoo wusste von einem solchen Vorgehen nichts, beteuerte der Anbieter gegenüber dem »Guardian«. Es handle sich um eine völlig neue Stufe der Verletzung der Privatsphäre, sollten die Berichte wahr sein, und das sei inakzeptabel. Und: Die Regierungen sollten doch die Überwachungsgesetze reformieren.

Britische Bürgerrechtsgruppen fordern schon seit Langem eine bessere Überwachung der Geheimdienste. Als die Chefs von MI5, MI6 und GCHQ im vergangenen Jahr vor einem Parlamentskomitee Rede und Antwort stehen mussten, versicherten sie, ihr Tun bleibe im Rahmen der Gesetze. Dem Sicherheitsausschuss und der Innenministerin werde darüber Bericht erstattet. Es sei jedoch nicht ihre Aufgabe, die Öffentlichkeit zu informieren, sondern dies sei Sache der Politik. Damals sagte der Chef des GCHQ, Iain Lobban: »Wir verbringen unsere Zeit nicht damit, die E-Mails der Bevölkerungsmehrheit zu lesen.« Ohne Genehmigung schaue man nicht in E-Mails. Von Webcam-Chats war damals keine Rede.

Obwohl Datenschutz und Privatsphäre also seit geraumer Zeit immer wieder thematisiert werden, gibt es keine echte Diskussion im Land des Liberalismus. Was sicher auch daran liegt, dass die Frage, welcher Raum des Privaten Schutz bedarf, in Großbritannien weiter ausgelegt wird als auf dem europäischen Kontinent. So ließ Scotland Yard 2012 die App »FacewatchID« entwickeln. Dadurch kann man sich die der Kriminalität Verdächtigen in seiner Region anschauen. Und wer meint, jemanden wiederzuerkennen, kann ihn auch gleich melden. In Deutschland und der Schweiz etwa wäre das aufgrund der Rechtslage nicht möglich.

Die Geheimdienste jedenfalls geraten weiter unter Erklärungsdruck. Der Innenausschuss des Parlaments hat am Freitag den vom Premierminister eingesetzten Chef der Geheimdienstüberwachung, der die Arbeit von MI5, MI6 und GCHQ kontrollieren soll, zur Aussage einbestellt. Mark Waller, der sichern soll, dass die Geheimdienste nur innerhalb ihrer rechtlichen Befugnisse operieren, hatte eine Aussage bisher abgelehnt. Am 18. März muss er. Es ist das erste Mal in dieser Legislaturperiode, dass ein Ausschuss von seinem Recht Gebrauch macht, jemanden zur Aussage einzubestellen.

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