Zerrüttetes Verhältnis zum Jobcenter

Erwerbsloser wegen Beleidigung in versehentlich versandter satirischer Mail verklagt - Freispruch

  • Peter Nowak
  • Lesedauer: 2 Min.
Einem schwerbehinderten Mann wird vom Jobcenter wiederholt die Umschulung verweigert. Auf eine E-Mail von ihm reagiert es mit einer Anzeige.

»Ich bin doch schon Stammkunde beim Jobcenter. Dafür gibt es woanders Rabatt. Doch ich werde kriminalisiert.« Mit diesen traurigen Resümee beendete Paul Baumert (Name geändert) am Freitagvormittag vor dem Berliner Landgericht eine Erklärung über sein seit Jahren zerrüttetes Verhältnis mit dem Jobcenter Neukölln. Die Behörde hatte ihn wegen Beleidigung verklagt. Stein des Anstoßes ist eine Mail, die Baumert nach seinen Einlassungen versehentlich an das Jobcenter verschickt hat. Dort rückt er die Leitung in die Nähe von Kleinkriminellen. In der fast dreistündigen Beweisaufnahme schilderte Baumert seine jahrelangen vergeblichen Bemühungen, wieder in den ersten Arbeitsmarkt vermittelt zu werden. Der nach einem Autounfall und zwei Schlaganfällen schwerbehinderte Mann beantragte wiederholt Umschulungen zum Veranstaltungsfachwirt. Dabei sah er sich von vielen Jobcenter-Mitarbeitern nicht ernstgenommen. Er sei wie ein lästiger Bittsteller behandelt worden, beklagte er. Eine Jobcenter-Mitarbeiterin, die als Zeugin geladen worden war, erklärte, dass man Baumert wegen seines gesundheitlichen Zustands keine Jobangebote geschickt habe. Lästig geworden seien ihnen die häufigen Mails von Baumert, in denen er eine Diskriminierung beklagte. Die Jobcenter-Leitung habe entschieden, dass es reicht, und Anzeige erstattet. Seitdem würde Baumert nur noch sachliche Anfragen schicken, so die Mitarbeiterin. In einer als Beweismittel verlesenen älteren Mail finden sich allerdings keine beleidigenden Äußerungen, dafür konkrete Kritik an den Abläufen im Jobcenter. Baumert glaubte nicht mehr an einen Freispruch. »Ich bin nicht eloquent genug. Mir wird nicht geglaubt«, erklärte er im Schlusswort. Doch er wurde positiv überrascht. Das Gericht sprach Baumert frei, weil nicht mit Sicherheit widerlegt werden könnte, dass er die Mail versehentlich versandt hatte. Die Kosten trägt die Gerichtskasse. Baumert atmete hörbar auf, als er das Urteil vernahm. Der Konflikt um eine Arbeitsvermittlung aber wird wohl weitergehen.

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