Trennung von »Rasse« stößt auf Skepsis

Antrag von Grünen und Piraten auf Tilgung des Begriffes aus der Verfassung erfordert noch einige Diskussionen

  • Martin Kröger
  • Lesedauer: 5 Min.
Ob die Opposition im Abgeordnetenhaus die nötige zwei drittel Mehrheit für eine Änderung der Berliner Verfassung zusammenbekommt, um »Rasse« aus Artikel 10 zu streichen, ist ungewiss.

Piraten und der Grünen im Abgeordnetenhaus wollen die Berliner Verfassung ändern. Für die Sitzung des Abgeordnetenhauses am Donnerstag haben die Oppositionsfraktionen den Antrag eingereicht, mit einer Verfassungsänderung den Begriff der »Rasse« aus Artikel 10 Absatz 2 streichen zu lassen. Bisher heißt es in diesem Absatz des Grundrechtsparagrafen zur Gleichheit: »Niemand darf wegen seines Geschlechts, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen oder seiner sexuellen Identität benachteiligt oder bevorzugt werden.«

Die Oppositionsparteien fordern nun, »Rasse« durch die Formulierung »aus rassistischen Gründen« zu ersetzen. Würde man den Begriff gänzlich streichen, gebe es aus Sicht der Grünen und Piraten eine »Schutzlücke«. »Uns geht es darum, den Blick auf die Geisteshaltung der Täter und deren rassistische Motivation zu lenken«, sagt der Piraten-Abgeordnete Fabio Reinhardt. Für den Piraten hat die Veränderung der Verfassung keine konkreten juristischen Auswirkungen, sondern unterbindet vielmehr die Verwendung eines Begriffes in der Verfassung, der stark durch die Geschichte und vor allem durch den Nationalsozialismus negativ konnotiert ist.

Hinzu kommt für die Grünen der Fakt, dass »die Genetik uns gezeigt hat, dass sämtliche Rassetheorien keine wissenschaftliche Grundlage haben«, betont der rechtspolitische Sprecher der Partei, Dirk Behrendt, gegenüber »nd«. Die Oppositionsparteien greifen mit ihrem Vorstoß unterdessen eine Debatte auf, die bereits in vielen anderen europäischen Ländern wie Finnland, Schweden, Österreich und Frankreich zu Änderungen der Verfassungen führte. Auch im Nachbarbundesland Brandenburg wurde im November 2013 eine »Antirassismusklausel« in die Verfassung eingefügt, seither gilt die märkische Landesverfassung als eine der modernsten in Deutschland.

Warum sollte also nicht auch das Land Berlin mit dem Missverständnis der Verfassungsmütter und -väter aufräumen, dass es »menschliche Rassen« gibt, dachte sich Dirk Behrendt, der vor allem durch die Debatte in Frankreich inspiriert worden war. In Vorabgesprächen mit den anderen Fraktionen hat Behrendt ausgelotet, ob es für das Vorhaben Realisierungschancen gibt. »Ich bin vorsichtig optimistisch«, sagt er. Zumindest Gesprächsbereitschaft sei signalisiert worden. Auch die Piraten glauben, dass es seitens der Koalition in die Richtung geht, dem Anliegen zuzustimmen.

Damit die Landesverfassung zum 13. Mal seit 1996 geändert werden kann, bedarf es allerdings mindestens einer Zustimmung von zwei Dritteln der Abgeordneten. Bei derzeit 149 Abgeordneten im Landesparlament wären das mindestens 99 Abgeordnete. Grüne und Piraten haben zusammen jedoch nur 44 Sitze.

Hinzu kommen dürften aller Wahrscheinlichkeit nach die 19 Abgeordneten der Linksfraktion. Deren Vorsitzender Udo Wolf findet ebenfalls, dass der Begriff des »Rassischen in Deutschland eindeutig von den Nazis besetzt« ist. Außerdem, so Wolf, empfehle die Europäische Union ihren Mitgliedsstaaten, die Verfassungen in dieser Weise zu ändern. Und im Wissenschaftsbereich gebe es die kritische Diskussion um »Race« und »Rasse« bereits seit vielen Jahren. Wolf hält den Begriff »Ethnie« für besser geeignet als »Rasse«.

Doch selbst mit den Stimmen der LINKEN gebe es bei weitem noch keine ausreichende Mehrheit. Es kommt daher vor allem auf die SPD an, die 47 Abgeordnete stellt. Bei den Sozialdemokraten begegnet man dem Ansinnen derweil mit Skepsis. »Ich kann mir vorstellen, was die Grünen und die Piraten wollen, aber ob das in die Verfassung passt, da habe ich aus juristischer Sicht Bedenken«, sagt der rechtspolitische Sprecher der SPD, Sven Kohlmeier, dem »nd«. Und: »Mich überzeugt der Antrag, so wie er vorgelegt ist, nicht, über die Sache können wir aber reden.« Insbesondere den Wortlaut »aus rassistischen Gründen« findet Kohlmeier problematisch, weil nicht klar sei, wer diese Gründe definiere.

Inwiefern die CDU-Fraktion eine Verfassungsänderung unterstützen würde, war am Mittwoch unklar. Die Fraktion wolle der Rede im Abgeordnetenhaus nicht vorweg greifen, erklärte ein Sprecher. In Brandenburg hatte sich die Union am Ende dazu entschlossen, den diesbezüglichen Antrag von SPD, Linkspartei, FDP und Grünen zu unterstützen. Der brandenburgische Landtag beschloss die Antirassismusklausel einstimmig. Sie lautet: »Das Land schützt das friedliche Zusammenleben der Menschen und tritt der Verbreitung rassistischen und fremdenfeindlichen Gedankenguts entgegen.«

Dass eine Verfassungsänderung einfach so durchs Abgeordnetenhaus gewunken wird, ist indes sowieso unüblich. Denn zunächst muss der Antrag durch den zuständigen Ausschuss für Verfassungs- und Rechtsangelegenheiten. Dort dürfte es dann eine Anhörung von renommierten Verfassungsrechtlern zum Vorschlag der Grünen und Piraten geben. »Ich kann mir eine Grundsatzdiskussion dazu gut vorstellen«, sagt der SPD-Rechtsexperte Kohlmeier.

Der Professor für Staats- und Verwaltungsrecht der Freien Universität (FU), Christian Pestalozza, schätzt die Initiative der Oppositionsfraktionen gegenüber »nd« als »verfassungsrechtlich« unbedenklich ein. Es liege vielleicht nahe, dass das Land Berlin dem Beispiel des Nachbarbundeslandes folge. Eine Verfassungsänderung führt aus Sicht des Verfassungsrechtlers auch nicht zu einem inhaltlichen Widerspruch zum Grundgesetz, das in Artikel 3 unverändert von der »Rasse« spricht.

Der auch als Grundgesetz-Kommentator bekannte Jurist gibt den Abgeordneten für den Fall, das sie die Reform wollen, allerdings zu überlegen, ob aus sprachlichen Gründen die Wörter »aus rassistischen Gründen« an das Ende gestellt werden sollten. Ebenso sollte überdacht werden, ob nicht auch das Adjektiv »rassistisch« den »Fakt« »Rasse« voraussetzt und deswegen ebenfalls vermieden werden sollte.

Auch wenn die Reform verfassungsrechtlich unbedenklich und verfassungspolitisch gut gemeint sei, findet Pestalozza sie persönlich dennoch »ziemlich überflüssig«: »Erst 1995 hat die Verfassung von Berlin die Formulierung ihres Artikel 10 Absatz 2, darunter das Wort ›Rasse‹, aus dem Grundgesetz übernommen.« Was, fragt Pestalozza, habe sich in den wenigen Jahren seitdem verändert? Zudem steht auch in der Unabhängigkeitsregelung des Staates Israel der Begriff »Rasse«, erklärt der Verfassungsrechtler.

Die Überlegungen des bekannten Juristen deuten bereits an: Bis sich das Land Berlin möglicherweise vom Begriffe »Rasse« in seiner Verfassung trennt, sind noch einige Diskussionen zu führen.

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