nd-aktuell.de / 11.03.2014 / Politik / Seite 7

»Das muss man aushalten können«

»Hartz-IV-Rebellin« Inge Hannemann über ihren Rechtsstreit mit dem Jobcenter

Inge Hannemann arbeitete lange Zeit in einem Jobcenter. Mit ihrer Kritik am Hartz-IV-System hielt sie dabei nicht hinterm Berg. Das passte ihrem Arbeitgeber nicht. Im April 2013 wurde Hannemann vom Dienst freigestellt. Ihre Klage auf Weiterbeschäftigung wurde nun vom Hamburger Arbeitsgericht abgewiesen. Mit der 45-Jährigen sprach nd-Autor Fabian Lambeck.

Vor fast einem Jahr wurden Sie von Ihrer Arbeit in einem Hamburger Jobcenter freigestellt. Dagegen haben sie geklagt. Nun hat das Gericht Ihre Klage abgewiesen. Ein herber Rückschlag?
Nein, die Kammer wies die Klage lediglich wegen sogenannter Säumnis ab. Das heißt, es gab ein Urteil und dagegen hätte Einspruch eingelegt werden müssen. Das wurde aber nicht gemacht. Ich hatte befürchtet, dass ein von mir eingereichter, umfangreicher Schriftsatz aus formalen Gründen beim Richterspruch nicht mehr berücksichtigt worden wäre. Deshalb wollte ich eine Entscheidung zu diesem Zeitpunkt vermeiden.

Also wird der Prozess wieder aufgenommen?
Ja. Mein neuer Anwalt hat jetzt die Chance, auf alle Schriften der Gegenpartei einzugehen.

Was wollen Sie eigentlich erreichen? Dass das Jobcenter Sie wieder dort einsetzt, wo Sie vorher tätig waren?
Ja. Ich bin ja aufgrund meiner öffentlichen Kritik am Hartz-IV-System suspendiert worden. Mit der Begründung, dass man befürchtet, dass ich das SGB II nicht entsprechend umsetze. Man hatte Angst, ich würde die Arbeitslosen nicht genügend sanktionieren.

Melden sich ehemalige Kollegen bei Ihnen?
Ja. Aus dem gesamten Bundesgebiet, aus jeder Abteilung bis hoch zur Geschäftsführung. Ich erhalte auch Unterstützung aus Hamburg.

Wie sieht diese Unterstützung aus?
Man informiert mich, was es intern an Neuem gibt.

Es gibt also viele Kollegen, die Ihre Kritik am System teilen?
Ja, das merke auch bei meinen Vorträgen. Zu denen kommen Jobcenter-Mitarbeiter, die sich dann während der Diskussionen outen. Viele denken, dass ich meinen Kopf auch für sie hinhalte, damit sich was ändert.

Wieso artikulieren so wenige Jobcenter-Mitarbeiter ihren Unmut über Hartz IV öffentlich?
Viele haben Angst vor Mobbing und fürchten, ihren Arbeitsplatz zu verlieren, wenn sie ihre Unzufriedenheit öffentlich machen. Sie sehen ja an meinem Beispiel, was passieren kann, wenn man den Mund aufmacht. Das muss man aushalten können.

Und so eine Auszeichnung, wie der am Freitag an sie verliehene Clara-Zetkin-Preis, hilft Ihnen dabei?
Ja, er ist auch Ansporn für mich, weiterzumachen. Ich finde es toll, dass das, was ich mache, derart gewürdigt wird.

Bekannt wurden Sie auch durch Ihren Blog »altonabloggt«. Betreiben Sie den noch?
Ja, natürlich. Ich versuche, alle 10 bis 14 Tage neue Artikel reinzustellen. Es sind noch sehr viele Themen offen, die dringend behandelt werden müssten, aber zum Teil fehlt mir die Zeit, das aufzubereiten.

Melden sich Betroffene bei Ihnen, wenn sie Rat oder Hilfe brauchen?
Oh ja, sehr viele. Im Schnitt erhalte ich bis zwischen 200 und 300 E-Mails pro Tag mit Hilferufen. Ich habe gedacht, dass das irgendwann mal wieder abebbt, aber dem ist nicht so. Die Menschen erhoffen sich Hilfe von mir, die ich aus Zeitgründen oftmals nicht leisten kann.

Das klingt, als bräuchten Sie dringend eine Sekretärin ...
Ich habe eine Büroassistentin, aber die kann diese Fragen nicht beantworten, weil ihr einfach das Wissen fehlt.

Eigentlich müssten Sie doch genügend Zeit haben. Schließlich sind Sie vom Dienst freigestellt ...
Ich reise oft durchs Land, halte Vorträge, beteilige mich an öffentlichen Diskussionen. Derzeit bereite mich zudem intensiv für die Anhörung im Petitionsausschuss des Bundestages vor. Es geht um meine Petition zur Abschaffung der Sanktionen bei Hartz IV und der Grundsicherung. Online haben über 54 500 Menschen mitgezeichnet. Weitere 34 515 Unterschriften habe ich persönlich dem Petitionsausschuss übergeben. Deshalb lese mich noch mal intensiv in die Materie ein. Dazu kümmere ich mich parallel um eine Kundgebung, die vor dem Haus stattfinden soll. Ich habe also gut zu tun.