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Mindestlohn erst ab 25 Jahren?

Union und Wirtschaftslobby drängt weiter auf Ausnahmen / Gutachten: Altersbeschränkung verstößt gegen Grundgesetz / Koalitionsspitzen beim Sechs-Augen-Gespräch

  • Lesedauer: 5 Min.

Berlin. Die Spitzen der in Koalitionsparteien kommen am Dienstagabend zu einem Sechs-Augen-Gespräch zusammen. Bei dem Treffen von Kanzlerin Angela Merkel (CDU), Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) und CSU-Chef Horst Seehofer soll es vor allem um die Energiewende und den Mindestlohn gehen. Seit sich Union und SPD auf das Vorhaben eines gesetzlichen Mindestlohns von 8,50 Euro pro Stunde verständigt haben, drängen Kapitallobby, Unternehmensverbände und Union auf Ausnahmen - nicht nur für Zeitungsausträger oder Erntehelfer.

Ende vergangener Woche hatte Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) angekündigt, Jugendliche bis zum 18. Lebensjahr vom geplanten Mindestlohn ausnehmen zu wollen. »Wir müssen verhindern, dass junge Menschen lieber einen besser bezahlten Aushilfsjob annehmen, statt eine Ausbildung anzufangen«, argumentierte sie. Dies stieß in der Opposition und bei Gewerkschaften auf Kritik - der Unternehmerlobby und der Union ging die Ausnahme nicht weit genug.

»Wir als Arbeitgeberverbände werden nicht die Verantwortung für einen Anstieg der Jugendarbeitslosigkeit übernehmen«, sagte BDA-Hauptgeschäftsführer Reinhard Göhner der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung« vom Montag. Die von Nahles vorgeschlagene Ausnahme für Jugendliche sei »Augenwischerei«. »Eine Ausnahme bis zum Alter von 18 Jahren löst überhaupt nicht das Problem, dass ein Mindestlohn von 8,50 Euro für einfache Hilfsarbeiten Menschen mit geringer Qualifikation erst recht von einer Berufsausbildung abzuhalten droht«, sagte der stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion im Bundestag, Michael Fuchs. »Die Grenze muss deshalb mindestens bei 21 Jahren liegen.«

Damit ist die neue Linie in der Debatte um den Mindestlohn vorgegeben: Ausnahmen nach Alter. »Eine Altersgrenze von 21 Jahren beim Mindestlohn ist das Mindeste«, sagte Christian von Stetten, Chef des Parlamentskreises MIttelstand in der Unionsfraktion, der »Rheinischen Post«. Der Kreis vertritt mehr als die Hälfte der Unionsabgeordneten im Bundestag. Auch der Chef der CDU/CSU-Mittelstandsvereinigung, Carsten Linnemann, erklärte: »Ich halte die Zahl 18 für definitiv zu gering.« Die Koalition solle sich am niederländischen Vorbild orientieren. »In den Niederlanden gilt der volle Mindestlohn erst ab 23 Jahren. Das ist für mich ein guter Orientierungsmaßstab«, sagte Linnemann.

Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Martin Wansleben, will sogar eine Grenze bei 25 Jahren einziehen. »Der Mindestlohn darf nicht für junge Erwachsene unter 25 Jahre gelten. Alles andere gefährdet die Ausbildung und würde jungen Erwachsenen mittelfristig ihre Zukunftschancen verbauen«, sagte er der »Bild«-Zeitung. Auch Bundesbildungsministerin Johanna Wanka plädiert inzwischen bei Jugendlichen für eine höhere Altersgrenze als 18 Jahre. »Fast 60 Prozent der Jugendlichen sind älter als 18 Jahre, wenn sie eine Ausbildung beginnen. Das spricht dafür, die Altersgrenze heraufzusetzen«, sagte die CDU-Politikerin der Nachrichtenagentur dpa in Berlin.

Ähnlich äußerte sich nun auch der Präsident des Zentralverbandes des deutschen Handwerks, Hans Peter Wollseifer. Mit einer Altersgrenze von lediglich 18 Jahren werde der Mindestlohn für viele Jugendliche »zu einem vergifteten Köder«, sagte er der »Saarbrücker Zeitung«. Die saarländische Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer erklärte dem Blatt, »viele Jugendliche gehen immer später in Ausbildung, deshalb bin ich sehr skeptisch, ob die 18 als Altersgrenze ausreicht«. Kramp-Karrenbauer plädierte darüber hinaus für weitere Ausnahmen beim Mindestlohn. »Absolut notwendig ist eine Ausnahme für Zeitungszusteller, denn in aller Regel handelt es sich nur um Zuverdienste«. Außerdem erinnerte die CDU-Politikerin an einen Passus im Koalitionsvertrag, wonach Ausnahmen für Erntehelfer möglich wären. Auch das sei weiter zu prüfen, verlangte Kramp-Karrenbauer.

Während CSU-Chef Seehofer eine Einigung beim Mindestlohn in Aussicht stellte, erhöht die CDU den Druck auf die Sozialdemokraten. Inzwischen wird sogar der Mindestlohn als Ganzes in Frage gestellt, sollten die Ausnahmen nicht den Vorstellungen der Union genügen. »Frau Nahles sollte die Ratio über die Ideologie stellen«, drohte Fuchs in der »Frankfurter Allgemeinen« und stellte klar: »Ein Gesetz wird es letztlich nur geben, wenn auch wir es wollen.«

Bei der SPD kommt dies naturgemäß nicht gut an, der Mindestlohn ist eine der größten Trophäen der Sozialdemokraten aus den Koalitionsverhandlungen. Parteivize Ralf Stegner wies die Forderung nach weiteren Mindestlohn-Ausnahmen erneut kategorisch zurück. »Beim Mindestlohn wird es mit der SPD keinen Schweizer Käse geben. Er ist flächendeckend vereinbart, dabei bleibt es.« Dass man dafür sorgen werde, dass Jugendliche keinen Anreiz zum Abbruch ihrer Ausbildung bekommen, sei aber klar.

Nach einem Gutachten des Bremer Rechtswissenschaftlers Prof. Andreas Fischer-Lescano für den Deutschen Gewerkschaftsbund würden Mindestlohn-Ausnahmen für Studenten, Rentner, Berufsanfänger, junge Menschen, Saisonarbeiter, Taxifahrer und Langzeitarbeitslose gegen das Grundgesetz und die Europäische Menschenrechtscharta verstoßen. »Eine Ungleichbehandlung dieser Beschäftigtengruppen im Vergleich zu den Mindestlohnberechtigten scheidet aus verfassungs-, völker- und unionsrechtlichen Gründen aus«, zitiert die »Passauer Neue Presse« aus dem Gutachten. Ausnahmen seien nur gerechtfertigt bei Pflichtpraktika, Auszubildenden und ehrenamtlich Tätigen.

Reiner Hoffmann, der designierte neue Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), warnte in der Zeitung eindringlich davor, eine Altersgrenze von 18 Jahren einzuführen, ab der der Mindestlohn gelten soll. »Die Altersgrenze wird dazu führen, dass einfache Hilfstätigkeiten wie das Auffüllen der Regale im Supermarkt künftig nur noch von unter 18-Jährigen gemacht werden und alle anderen Beschäftigten verdrängt werden.« Das habe man bereits in den Niederlanden und in Dänemark erlebt. »Solche Fehlentwicklungen müssen wir hier in Deutschland unbedingt verhindern«, sagte Hoffmann.

Heinz Bierbaum, parlamentarischer Geschäftsführer der Linksfraktion im saarländischen Landtag, sagte: »Es geht zu Lasten von Millionen Beschäftigten im Niedriglohnsektor, wenn ein flächendeckender gesetzlicher Mindestlohn nicht ohne Ausnahmen durchgesetzt wird. Der geplante Mindestlohn der Großen Koalition ist eine Mogelpackung.« Die SPD würde »mit einem derartigen Flickenteppich mit vielen Ausnahmen« ihr Mindestlohn-Wahlversprechen brechen. Agenturen/nd

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