Biobranche hält nichts von Nische

Vorschlag von EU-Agrarkommissar Ciolos stößt in Deutschland auf breite Ablehnung

  • Haidy Damm
  • Lesedauer: 3 Min.
EU-Agrarkommissar Dacian Ciolos will die Richtlinien für Ökolebensmittel verschärfen. Der Vorschlag der EU-Kommission stößt auf Kritik - auch bei Umweltschützern.

Immer mehr Verbraucher in Europa wollen ökologische Lebensmittel. Für den meist höheren Preis erwarten sie einwandfreie Produkte, das Image der Branche ist extrem anfällig. »Die Zukunft des Biosektors hängt von Qualität und Integrität der Erzeugnisse ab«, erklärte EU-Agrarkommissar Dacian Ciolos bei der Vorstellung des Entwurfes zur Bio-Richtlinie am Dienstag in Brüssel. Da es durch den wachsenden Markt inzwischen »mehr Ausnahmen als Regeln« gebe, will die EU-Kommission die Richtlinie überarbeiten. Grundlage seien eine 2013 durchgeführte Umfrage und einige Anhörungen. Etwa 45 000 Menschen - überwiegend Verbraucher - unterstützten demnach eine Forderung nach strengeren und einheitlicheren Vorschriften.

Der Vorschlag konzentriert sich neben dem Verbrauchervertrauen auf vereinfachte Umstellung auf ökologische Produktion. So soll der Zugang für Kleinlandwirte erleichtert werden, indem die Möglichkeit einer Gruppenzertifizierung geschaffen wird.

Bio-Anbau in Zahlen

Die bisherige EU-Öko-Verordnung gilt seit 1992 und regelt, wie Biolebensmittel erzeugt, gekennzeichnet und kontrolliert werden müssen.

Seitdem hat sich der Markt massiv gewandelt, Verbraucher geben immer mehr Geld für ökologisch erzeugte Lebensmittel aus; 2012 lag der Wert nach Angeben der EU bei knapp 21 Millionen Euro. In Europa produzieren etwa 186 000 Landwirte auf einer Fläche von rund 9,6 Millionen Hektar nach ökologisch strengen Richtlinien (2002: 5,7 Millionen Hektar). Dennoch macht diese Fläche nur 5,4 Prozent der landwirtschaftlichen Gesamtfläche in der EU aus.

Auch Deutschland ist vom Ziel, 20 Prozent der gesamten Anbaufläche auf ökologischen Anbau umzustellen noch weit entfernt - momentan liegt der Anteil bei 6,2 Prozent. had

 

Zudem sind stärkere Kontrollen in allen Abschnitten der Warenkette geplant, besonders beim Vertrieb, der laut Ciolos in den vergangene Jahren ein wachsendes Risiko für Betrug bot.

Auch die Vorschriften sowohl in der EU als auch für Einfuhrerzeugnisse aus Drittstaaten sollen verschärft und viele der Ausnahmen in Sachen Produktion und Kontrollen abgeschafft werden. »Das Paket kommt Verbrauchern und Landwirten gleichermaßen zugute«, so der Agrarkommissar.

An diesem Punkt scheiden sich die Geister: Die Agrarexpertin des Bund für Umwelt und Naturschutz, Reinhild Benning, kritisierte, der Entwurf »setze am falschen Hebel an«. So seien beispielsweise neue Grenzwerte bei synthetischen Pestiziden vorgesehen. Die seien im Ökolandbau jedoch grundsätzlich verboten, erhöhte Grenzwerte würden also Biobauern bestrafen, deren Felder in der Nachbarschaft zu konventionellen Feldern liegen. »Wer Pestizide verringern will, muss dort ansetzen, wo die Verursacher sind und nicht diejenigen bestrafen, die schon heute darauf verzichten«, forderte Benning und befürchtet als Folge weniger ökologisch erzeugte Lebensmittel.

Der Entwurf bringe die ohnehin schleppende Entwicklung des Ökolandbaus in Deutschland zum Erliegen, befürchtet auch der Deutsche Bauernverband. Dessen Ökobeauftragter Graf von Bassewitz forderte, bei unverschuldeten Rückstandsfunden müsse der Ökostatus der betroffenen Flächen erhalten bleiben, um betroffene Landwirte vor staatlichen Regressforderungen der Ökoförderung zu schützen.

Auch der Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft bezweifelt, dass »alle vorgeschlagenen Regeln zur Zielerreichung beitragen«, so Vorstand Felix Prinz zu Löwenstein. »Wir akzeptieren keine Regeln, die die Branche in eine Marktnische zurückdrängen könnten.«

Der Verbraucherzentrale Bundesverband begrüßte die erweiterten Kontrollen auch bei Händlern, mahnte aber die dafür notwenigen Ressourcen an. Positiv sei auch, dass Betriebe, die ihre Waren mit dem Biosiegel kennzeichnen wollen, nun komplett auf bio umstellen müssen.

Als nächstes müssen sich das EU-Parlament und der Rat mit dem Entwurf beschäftigen. Um Details wird dort wohl weiter gerungen. So soll zukünftig 60 statt wie bisher 20 Prozent des Futtermittels aus der Region stammen. Dabei befürchten Experten Wettbewerbsnachteile, da in einigen Staaten die gesamte EU als Region gilt, in Ländern wie Deutschland diese Grenzen jedoch enger gefasst sind. Auch weitere Ausnahmen, etwa beim Saatgut, sind noch nicht verhandelt.

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