Wettrüsten, »Cyberwar« und europäische Sicherheit

  • Egon Bahr
  • Lesedauer: 3 Min.

[…] Seit Jahrzehnten haben es alle Regierungen Großbritanniens mit beachtlichem Geschick abgelehnt, sich unwiderruflich an den Kontinent zu binden. […] Für Großbritannien ist die special relationship zu den USA die übergeordnete Orientierung seiner Außen- und Sicherheitspolitik geblieben. Solange alle wichtigen Entscheidungen der EU Einstimmigkeit verlangen, kann das Vereinigte Königreich dafür sorgen, dass keine Beschlüsse gefasst werden, die den US-amerikanischen Interessen zuwiderlaufen. Selbstverständlich verhandeln die USA lieber mit 27 oder 30 kleinen Staaten als mit einer geschlossenen Einheit von der Kraft und dem Gewicht Europas.

Die Enthüllungen Snowdens haben für Europa eine neue Dimension geschaffen. Wir haben gelernt, dass Großbritannien Erhebungen liefert, welche die US-amerikanische National Security Agency (NSA) nicht vornehmen darf. Was elektronische Überwachung angeht, ist das Vereinigte Königreich zu einer Provinz der USA geworden. Es komplettiert die Reichweite der NSA de facto bis an den Ärmelkanal. Das stellt Europa vor eine elementare Entscheidung: Weiter so mit fortschreitender globaler Irrelevanz oder Verwirklichung seiner eigenen Beschlüsse seit Lissabon? In diesem Fall müsste Europa Großbritannien vor die Frage stellen, ob es sich unwiderruflich an den Kontinent und die Ziele der EU bindet. Das wäre zu wünschen. Falls die Briten das ablehnen, müsste die EU beschließen, wie sie schon bei der Einführung des Euro entschieden hat, und sich auf dem Weg zu einem handlungsfähigen Akteur in der interpolaren Welt nicht aufhalten lassen.

Egon Bahr

Egon Bahr, geb. 1922, „Architekt der deutschen Ostpolitik“, von 1972 bis 1990 MdB (SPD), ehem. Direktor des Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik, Honorarprofessor an der Universität Hamburg.

Cyberkrieg – ein neues Patt?

Das elektronische grenzenlose Netz veränderte nicht nur unsere Gesellschaft sondern hat auch militärische Konsequenzen: Der Cyberkrieg, digitale Aggression, praktiziert und schon erprobt, wie der zuständige US-amerikanische General erklärt hat. Dagegen gibt es keine Abwehr, sondern nur die Androhung von Gegenschlägen; also eine Neuauflage der atomaren Abschreckung bei konfrontativer Grundhaltung gegenüber dem möglichen Gegner. Die USA, Russland, Israel und bestimmt auch China verfügen über die Mittel, einen Cyberkrieg zu führen. Großbritannien hat gerade beschlossen, sich für 600 Millionen Euro jährlich eine elektronische Abwehr- und Angriffstruppe zu schaffen.

Dazu kommt eine neue Dimension. Angesichts der Unberechenbarkeiten eines Cyberkrieges haben die USA eine epochale Entscheidung getroffen. Sie haben eine Technologie entwickelt, die weltweit die Ausspähung und Beeinflussung von Staaten, Institutionen sowie einzelnen Menschen ermöglicht. Das ist im Grunde die Wiederkehr des arroganten Anspruchs auf globale Überlegenheit mit der Überheblichkeit, mit der neuen Technologie Kriege im Frieden führen zu können. Es ist kein Risiko vorherzusagen, dass auch diese Technologie kein Monopol der USA bleiben wird.

Ich warte gespannt – nach den deutschen Erfahrungen bezüglich gemeinsamer Sicherheit bei unterschiedlichen Rechtssystemen –, ob die neue Bundesregierung die Elemente der Entspannungspolitik noch für verwendbar hält.

Der Kommentar erschien in WeltTrends Nr. 93 »Indien Inside« ,(Stand Oktober 2013).

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