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Entscheidungstag am Hindukusch

Der Wahlkampf war teilweise schmutzig - also nicht viel anders als bei den westlichen Vorbildern

  • Emran Feroz, Kabul
  • Lesedauer: 5 Min.
Welche Rolle spielt es, ob ein Kandidat eine blutige Vergangenheit hat? Die Antwort darauf gibt in Afghanistan noch immer der momentan Stärkere.

Kabuls Straßen sind staubig wie eh und je. Der Verkehr ist chaotisch wie immer. Es wird viel gehupt, geschimpft und gerast. Auf der Straße macht nämlich jeder, was er will. Der Schnellere und Stärkere macht sich den Weg frei. Man muss sich behaupten. Verkehrsregeln sind praktisch nicht vorhanden. Wer an einer roten Ampel hält, wird angepöbelt und ausgelacht. Es herrscht Anarchie. Auf eine gewisse Art und Weise ist es dieser Verkehr, der auch das politische System Afghanistans deutlich macht. In der Politik am Hindukusch geht es nämlich nicht anders zu.

Dafür stehen die drei Spitzenkandidaten des Landes. Zalmay Rassul, ein Paschtune, der lange im Ausland gelebt und unter Präsident Hamid Karsai als Außenminister tätig gewesen ist, stammt aus dem namhaften Mohammadzai-Stamm, der die letzten Jahrhunderte die Könige Afghanistans stellte. Mit dem letzten König, Mohammad Zahir, ist Rassul verwandt. Ihn begleitete er auch mehrere Jahre lang im Exil in Rom. Aus diesem Grund spricht Rassul fließend Italienisch, was die Tatsache, dass er Paschtu nicht beherrscht, die Sprache seines eigenen Volkes und eine der Amtssprachen, für viele nur noch peinlicher macht.

Qayyum Karsai, der ältere Bruder des Präsidenten - das ist ein offenes Geheimnis - gehört zu den Zentralfiguren des afghanischen Opiumanbaus. Abgesehen davon verkörpert er wie der gesamte Karsai-Clan die Korruption im Land. Seine Kandidatur verfiel der Ablehnung. Korrupt ist auch Ahmad Zia Massud, der jüngere Bruder des 2001 ermordeten tadshikischen Warlords Ahmad Schah Massud. Vor einigen Jahren wurde er in Dubai mit mehreren Hunderttausend Dollar in den Taschen ertappt. Doch davon will Rassul, der ihn zum Stellvertreter ernannt hat, nichts mehr wissen. Stattdessen versichert er, der Korruption ein Ende zu setzen.

Die Wahlkommission Afghanistans ist am Dienstag zu dem Schluss gekommen, dass Rassul im Wahlkampf gegen grundlegende Regeln verstoßen hat. Unter anderem wird ihm vorgeworfen, beim Wahlkampfauftakt in der Provinz Kandahar Menschen zum Besuch seiner Veranstaltung gezwungen zu haben. Als Strafe musste der »Royale« - wie er von manchen bezeichnet wird - 100 000 Afghani hinblättern, umgerechnet rund 1200 Euro.

Abgesehen davon sind es vor allem Klatsch-und-Tratsch-Geschichten, die die Berichterstattung über Rassul bestimmen. Auf den Straßen Kabuls hört man, der ledige Exminister hege - gelinde gesagt - tiefe Gefühle für eine Katze. Auch der klerikale Führer des Landes nimmt Anstoß an Rassuls Privatleben: »Ein unverheirateter Mann kann nicht die Ummah (die Gemeinschaft der Muslime) führen«, heißt es aus fundamentalistischen Kreisen. So ist Afghanistan. Wer mordet, vergewaltigt und plündert, hat nichts zu befürchten und wird zum Führer gesalbt. Aber wehe dem, der unverheiratet ist. Das Wahlprogramm? Ohnehin Nebensache!

Zu den wichtigsten Kontrahenten Rassuls zählt Ashraf Ghani Ahmadzai, ebenfalls ein Paschtune, der lange im Exil gelebt hat. Unter anderem hat er in den USA als Professor gelehrt. Die Sympathien für ihn schwanden jedoch, nachdem er den usbekischen Kriegsfürsten und Milizenführer Abdul Rashid Dostum zu seinem Vize ernannte. Dostums Milizen sind für zahlreiche Menschenrechtsverbrechen bekannt, denen hauptsächlich Paschtunen zum Opfer fielen. Oft genug soll er persönlich »Hand angelegt« haben. Bezüglich Ghanis Auswahl ist die Bevölkerung gespalten. »Wenn Ghani stirbt, wird Dostum Präsident. Den wähle ich sicher nicht«, sagt ein einstiger Sympathisant.

Dass Ghani mit dem blutigen Dostum kein Problem hat, ist allerdings nicht verwunderlich. Auch die Bundesregierung nahm keinen Anstoß daran, als sie den Kriegsfürsten mehrmals hofierte und ihm gestattete, sich in Deutschland ärztlich behandelt zu lassen. Ausführliche Berichte von Human Rights Watch und anderen Organisationen wurden verdrängt.

Im afghanischen Wahlkampf ist man auf den Rückhalt von Kriegsfürsten und Verbrechern angewiesen. Das machte auch Abdullah Abdullah deutlich, ein weiterer Spitzenkandidat. Abdullah, der schon 2009 Karsai unterlag, genoss den Rückhalt von Vizepräsident Mohammad Qasim Fahim, der vor wenigen Wochen überraschend einem Herzinfarkt erlag. Fahim, ein blutiger Kriegsfürst aus den Reihen der ehemaligen Nordallianz, hatte sich vorgenommen, Abdullah persönlich nach dessen Sieg in den Präsidentenpalast zu führen. Auch seine Verbrechen wurden ausführlich dokumentiert. Ein weiteres Mal spielten Tatsachen und Gräueltaten keine Rolle für die politische Elite, auch in Deutschland. Fahim wurde mehrmals in deutschen Luxushotels empfangen und unter anderem auf Staatskosten in einem Militärkrankenhaus in Berlin behandelt.

Aus seinen Plänen bezüglich Abdullahs wurde jedoch nichts. Vor seinem Tod hatte Fahim seine Anhänger aufgerufen, eben diesen Kandidaten zu wählen. Seit Fahim tot ist, herrscht Ausnahmezustand in Kabul. Die Flaggen wurden auf Halbmast gesetzt und die Straßen mit seinen Fotos übersät. Abdullah Abdullah war der Erste, der zu Fahims Villa eilte, in der wahrscheinlich zahlreiche westliche Hilfsgelder stecken, und der Familie sein Beileid bekundete. Die anderen Präsidentschaftskandidaten zogen nach, auch jene, die Fahim nicht wohlgesinnt waren.

Währenddessen feierten die Taliban den Tod ihres Feindes. »Heute ist ein Mann gestorben, der uns und vielen anderen Muslimen viel Leid zugefügt hat. Sein Tod ist kein Verlust, sondern ein Sieg«, ließ Talibansprecher Zabiuallah Mudschahed offiziell mitteilen.

Im Übrigen riefen die Taliban zum Wahlboykott auf und raten allen Bürgern, sich von Orten in der Nähe von Wahllokalen fernzuhalten. Dass diese Drohungen ernst gemeint sind, wurde in den vergangenen Tagen deutlich. Nahezu täglich kommt es irgendwo im Lande zu Anschlägen. Auch das als sicher geltende Zentrum Kabuls bleibt nicht verschont.

Davon will sich die Führung jedoch nicht beeindrucken lassen. Für den einfachen Afghanen ist der Kriegsalltag - ob nun NATO-Bombardements, Taliban-Attentate oder Angriffe anderer Gruppierungen - zum Alltag geworden. Es sind die wohlhabende Elite des Landes, westliche Journalisten, Entwicklungshelfer und Diplomaten, die hysterisch reagieren. »Der Westen macht aus den Wahlen ein Drama. Hier wird alles irgendwie weitergehen, keine Angst«, sagt ein optimistisch wirkender Obstverkäufer, kurz bevor er Feierabend macht. Ob es tatsächlich Grund für Optimismus gibt, wird sich spätestens am Wahltag zeigen.

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