»Die heftigen Vorwürfe hatte ich nicht erwartet«

Malgorzata Szumowska über ihr Schwulendrama »Im Namen des…«

  • Lesedauer: 4 Min.
Malgorzata Szumowska gehört zur jungen Generation polnischer Regisseure, die in den vergangenen Jahren auf Festivals weltweit für Aufsehen sorgen und die Zuschauer in ihrer Heimat wieder ins Kino locken. Nachdem »Ono« und »Das bessere Leben« mit Juliette Binoche im panorama-Programm der Berlinale für Aufsehen sorgten, schaffte es »Im Namen des…« 2013 in den Wettbewerb des Berliner Festivals. Im Gespräch mit Katharina Dockhorn erzählt wird vom Coming-Out des Priesters eines katholisch geprägten Dorfs.

nd: Wie ordnen Sie für sich die Nominierung für den Wettbewerb ein?
Szumowska: Mit Ausnahme von Andrzej Wajda schaffte es in den vergangenen 20 Jahren kein polnischer Regisseur in den Wettbewerb. Daher war die Nominierung ein Riesenerfolg, der sich auch kommerziell gelohnt hat. Die junge Regisseurs-Generation das Publikum lockt das Publikum in Polen wieder ins Kino, doch das sind lokale Erfolge. Ins Ausland schaffen es die Filme nicht ohne vorherige Festivalteilnahme.

Wie sind Sie auf dieses Thema gestoßen?
Mir schwebte ein Film über die Sehnsucht nach Liebe und Einsamkeit vor. Beides prägt das Leben von Priestern. Sie sind einsam, ihnen fehlt menschliche Nähe und Sexualität ist tabu. Ich kenne viele Geistliche, die darunter leiden. Um weiter zuzuspitzen, packte ich die Homosexualität hinzu, die die katholische Kirche in Polen als unnatürlich einstuft. Zugleich ist es ein persönlicher Stoff. Länger als ein Jahrzehnt habe ich den Glauben gelebt.

Warum haben Sie der Kirche den Rücken gekehrt?
Die Religion hatte in meinem Leben keinen Platz mehr. Sie ist ein ideologisches System, um besser mit unseren Ängsten vor Tod und Einsamkeit umzugehen. Gleichzeitig werden sie von ihr geschürt. Als meine Eltern plötzlich starben, musste ich mich ihnen stellen. Meine Einstellung zum Tod hat sich gewandelt. Ich blieb alleine zurück und merkte, dass ich Gott nicht brauche.

Warum setzen Sie im Film mehrmals das Wort Jude als Schimpfwort ein?
Das entspricht leider meiner Erfahrung während des Drehs. Offenbar werden Juden in Teilen Polens noch immer mit etwas Schrecklichem assoziiert. Auf dem Lande beschimpfen sich kleine Kinder gegenseitig mit Jude oder Arschloch. Selbst mein achtjähriger Sohn hat dies während des Drehs in den Masuren aufgeschnappt und nachgeäfft.

Der Film spielt auf dem Dorf, wodurch Sie die Natur zu einem Mitspieler machen?
Die Natur hat für mich eine erotische Ebene. Die Berührung mit ihr nach dem Leben in Warschau fördert das Wiedererwachen der verdrängten sexuellen Bedürfnisse des Priesters und forciert das Coming Out. Die Masuren waren dafür der ideale Ort. Sie bilden eine weitgehend naturbelassene Landschaft mit Wälder und Seen, wo noch immer viele armen Menschen leben. Beides setzt eine gewisse Art von Brutalität frei, die für die Geschichte unabdingbar war.

Waren die expliziten Sexszenen notwendig?
Ich habe sie erst nach dem ersten Rohschnitt gedreht, weil mich das Gefühl plagte, der Film wäre unehrlich. Obwohl der Sex nicht im Fokus steht. Die Schauspieler waren zunächst entgeistert. Ihre reservierte Haltung war letztlich hilfreich. Man sieht, dass sie sich voreinander schämen und das verleiht den Szenen hohe Authentizität.

Welche Reaktionen löste der Film in Polen aus?
Das Thema ist heikel, dessen war ich mir bewusst. Der Film startete dann zufällig in der Zeit heftiger Debatten über die katholische Kirche in der Gesellschaft und die allgemeine Diskussion über den Umgang mit Homosexualität. Die Polen sind ein katholisches Volk. 90% der Bevölkerung gehören der Kirche an. Sie prägt die Meinungen, daher ist es nicht einfach, sich zur Homosexualität zu bekennen. In den großen Städten schert das vielleicht keinen, aber selbst Politiker meinen, Homosexualität sei nicht ästhetisch. Was ich nicht erwartet hatte, waren die heftigen Vorwürfe, dass das Ende des Films unrealistisch sei. Es entspricht zahlreichen Berichten aus den Medien, dass junge Männer nach Affären mit Priestern selbst Geistliche werden.

In Cannes wurde vor einigen Jahren beklagt, dass keine Regisseurin im Wettbewerb war, bei der Berlinale 2013 waren es immerhin drei Frauen. Haben es Frauen immer noch schwer in dem Beruf?
Ich versuche, nicht darüber nachzudenken. Ich bin sehr stark, ein bisschen wie ein Mann. Deshalb habe ich mich in dieser Männerwelt durchgesetzt. Der Mehrzahl meiner Kommilitoninnen glückt dies nicht. Das liegt auch am Benehmen der Männer. Jeden Tag muss ich beim Dreh idiotische, teilweise sexistische Witze mit anhören. Gegenüber den männlichen Mitarbeitern musste ich verteidigen, dass ich keine Liebesgeschichte zwischen Mann und Frau erzähle. Um dies durchzustehen, braucht man einfach starke Nerven.

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