Muss Tony Blair auf die Anklagebank?

Der Internationale Strafgerichtshof ermittelt zu britischen Kriegsverbrechen in Irak

  • Olaf Standke
  • Lesedauer: 3 Min.
Erstmals prüft nun auch der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag Hinweise auf systematische Kriegsverbrechen der britischen Armee während des Irak-Kriegs.

Als vor acht Jahren der Fall des Baha Mousa auf den Tisch des Haager Chefanklägers kam, lehnte der Internationale Strafgerichtshof Ermittlungen noch ab. Der Iraker war während des Krieges im Zweistromland in britischer Haft umgekommen. Eine Untersuchung kam zu dem Schluss, dass dabei Methoden angewandt worden seien, die nicht mit der Genfer Konvention vereinbar sind. Sieben britische Soldaten wurden im Vereinigten Königreich schließlich angeklagt, aber lediglich einer zu einem Jahr Haft verurteilt und unehrenhaft entlassen.

Immer wieder haben irakische Häftlinge in den vergangenen Jahren britischen Militärs und Geheimdienstlern Misshandlung und Folter vorgeworfen. Sie seien unter anderem gezwungen worden, sich zu entblößen, und hätten mit Schlafentzug kämpfen müssen, sagte Phil Shiner von der gemeinnützigen Anwaltskanzlei Public Interest Lawyers (PIL), die über 200 Zivilisten vertritt. Andere Häftlinge wurden sexuell missbraucht, man drohte ihnen mit der Hinrichtung in Guantanamo. Von »Großbritanniens Abu Ghraib« war 2010 vor einem Londoner Gericht die Rede. Dieses berüchtigte Gefängnis, in dem Insassen von US-amerikanische Soldaten schwer missbraucht wurden, steht für den wohl größten Folterskandal des Irak-Krieges.

Das Weltstrafgericht

Der International Criminal Court in Den Haag verfolgt als ständiger Internationale Strafgerichtshof (IStGH) Völkermord, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Dieses »Weltstrafgericht« darf nur gegen Individuen ermitteln und ist zuständig, wenn die Delikte nicht auf nationaler Ebene geahndet werden können. Auch der UN-Sicherheitsrat kann das Gericht mit Ermittlungen beauftragen.

Der IStGH ist eine eigenständige internationale Institution, deren Beziehung zu den Vereinten Nationen durch ein Kooperationsabkommen geregelt wird und das nicht mit dem umgangssprachlich als »UN-Kriegsverbrechertribunal« bezeichneten Internationalen Strafgericht für das ehemalige Jugoslawien (ICTY), dem Internationalen Strafgericht für Ruanda (ICTR) oder dem Internationalen Gerichtshof zu verwechseln ist. Letzterer entscheidet als höchstes UN-Gericht ebenfalls in Den Haag über Streitigkeiten zwischen Staaten.

Grundlage des IStGH ist das Römische Statut. Eine Bevollmächtigtenkonferenz verabschiedete diesen Vertrag über das Völkerstrafrecht am 17. Juli 1998 in Rom, am 1. Juli 2002 trat er in Kraft. 122 Staaten haben ihn inzwischen ratifiziert, darunter alle EU-Staaten. Wichtige Staaten wie die USA, Russland, China oder Israel verweigern sich bisher. Präsident des IStGH ist der Südkoreaner Sang-Hyun Song, Chefanklägerin Fatou Bensouda aus Gambia. Bisher wurden 21 Ermittlungsverfahren in acht Konflikten eröffnet – die meisten in Afrika, was immer wieder zu Kritik am Strafgerichtshof führt. sta
 

Nun sieht sich das Weltstrafgericht doch gezwungen, Hinweisen auf systematische Kriegsverbrechen der britischen Armee nachzugehen. Wie ein Sprecher am Dienstag mitteilte, habe die Anklage aufgrund neuer Beweise wieder Vorermittlungen aufgenommen. Gemeinsam mit dem European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) in Berlin hatten die PIL-Anwälte im Januar in Den Haag Klage gegen die britische Regierung eingereicht und in ihrer 250 Seiten starken Anzeige Ermittlungen gegen hochrangige Offiziere , frühere Staatssekretäre und Minister gefordert, unter ihnen der damalige Verteidigungsminister Geoff Hoon. »Es gibt klare Hinweise darauf, dass dies alles bis ganz nach oben geht«, sagte Shiner gegenüber »Sky News«.

Auch deshalb wollen viele auch den damaligen Premierminister Tony Blair vor Gericht sehen. So fordert der südafrikanische Erzbischof und Friedensnobelpreisträger Desmond Tutu einen Strafprozess gegen ihn und den einstigen US-Präsidenten George W. Bush. Schließlich hätten sie den Krieg mit der Lüge über angebliche irakische Massenvernichtungswaffen angezettelt. Mit der Invasion sei »die Welt in einem bis dahin in keinem Konflikt der Geschichte gekannten Ausmaß destabilisiert und polarisiert« worden.

Vor vier Jahren hat der Journalist George Monbiot die Kampagne ArrestBlair.org ins Leben gerufen, um daran zu erinnern, dass der einstige Regierungschef politisch für einen völkerrechtswidrigen Feldzug verantwortlich ist, der 100 000 Zivilisten das Leben gekostet hat. »Wir wollen zeigen, dass man nicht einfach mit einem Massenmord davonkommen kann«, schrieb Monbiot im Londoner »Guardian«.

Die Haager Chefanklägerin Fatou Bensouda prüft nun die Grundlagen für eine strafrechtliche Verfolgung, weil britische Soldaten zwischen 2003 und 2008 Kriegsgefangene planmäßig misshandelt und gefoltert haben könnten. Laut Gründungsstatut darf der Gerichtshof nur eingreifen, wenn die nationalen Behörden nicht ausreichend ermitteln. Der Leiter der armeeinternen Anklagebehörde Andrew Cayley zeigte sich deshalb zuversichtlich, dass es am Ende kein ordentliches Ermittlungsverfahren geben werde. Man wolle in vollem Umfang kooperieren. Dominik Grieve, als Generalstaatsanwalt auch Kabinettsmitglied, wies die Vorwürfe entschieden zurück.

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