Triumph des Geistes

Kurt Masur und das RSB

  • Marc Hairapetian
  • Lesedauer: 3 Min.

Was für eine triumphale Rückkehr! Und der Triumph des gesunden Geistes über den geschwächten Körper! Der an Parkinson erkrankte Dirigent Kurt Masur leitete am Dienstagabend beim Gastspiel in der fast ausverkauften Berliner Philharmonie zum ersten Mal nach 16 Jahren wieder das Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin (RSB). Der Abend stand ganz im Zeichen von Felix Mendelssohn Bartholdy (1809- 1847), einem der Lieblingskomponisten des mittlerweile 86-jährigen Stardirigenten.

Atemlose Spannung herrscht im Publikum, die sich in einem Beifallsorkan entlädt, als Masur von zwei Helfern im Rollstuhl zum Dirigentenpult geschoben wird. Der Maestro dankt sichtlich gerührt mit einem Kopfnicken und der rechten Hand, die er in Herznähe führt. Schon bei den ersten sechs Bläserakkorden der selten im Konzertsaal erklingenden »Ruy Blas«-Ouvertüre wird deutlich, dass sich Masur von der tückischen Krankheit nicht unterkriegen lässt. Souverän dirigiert er mit akzentuierten Handbewegungen auswendig - die Partitur liegt noch nicht mal zur Hilfe griffbereit.

Mendelssohns brillante Musik zum höfischen Intrigenspiel Victor Hugos spielt das RSB dermaßen flott, dass sich nicht nur der Dirigent, sondern auch die Zuhörer mitunter im Rhythmus wiegen. Die majestätisch breiten, etwas unheilvollen Bläser nehmen hier bereits etwas von der Theaterwirkung von Verdis »Aida« vorweg und stehen im Gegensatz zum rhythmisch regen Synkopenthema, das gehörig aristokratischen Staub aufwirbelt. Chromatische Fortissimofiguren steigern sich explosionsartig und ergießen sich in strahlendem C-Dur. Großer Zwischenapplaus!

Danach folgt die »Italienische Sinfonie«: Mendelssohn Bartholdys berühmte Vierte, der Inbegriff ewiger Schönheit, Projektionsfläche menschlicher Ursehnsucht, in der sich der Komponist von der südlichen Landschaft inspirieren ließ. Masur lässt das RSB den beschwingten ersten Satz der »heimlichen Europa-Hymne« eine Spur langsamer spielen, was dem transparenten Orchesterklang geradezu etwas Hypnotisches verleiht. Nach dem »Andante con moto« und dem »Con moto moderato«, die beide ein wenig an Beethovens »Pastorale« erinnern, folgt im vierten Satz ein schneller italienischer Springtanz (»Saltarello«), der sich dynamisch vom Pianissimo bis zum Fortissimo steigert. Der sinfonische Bogen schließt sich in der Coda mit Anklängen aus dem ersten Satz (allerdings im verschatteten Moll!) und einer rauschhaften A-Dur-Apotheose.

Der zweite Teil der Radio-Live-Übertragung von Deutschlandradio Kultur kommt mit der Sinfonie Nr. 3 a-Moll elegischer daher. Die »Schottische« gibt ein gutes Beispiel dafür, wie gekonnt Mendelssohn Bartholdys Musik Stimmungen zum Ausdruck bringen will. Wie fühlt man sich an einem sturmverhangenen Tag, wenn man über das zerklüftete Hochland wandert? Masur lässt die vier Sätze entgegen des Komponisten Notierung nicht »attacca«, also ohne Unterbrechung, spielen. Der einzige Makel an einem ansonsten betörenden Abend, der mit Standing Ovations endet!

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