Neue Mitglieder, neue Chancen

Gabi Zimmer über Prinzipien und Charakter der Linksfraktion im EU-Parlament

  • Lesedauer: 5 Min.
Gabi Zimmer, Jg. 1955, ist Europaabgeordnete der LINKEN und wurde in der vergangenen Woche erneut zur Vorsitzenden der Linksfraktion GUE/NGL im EU-Parlament gewählt. Die Parlamentsgruppe konnte bei der Europawahl Ende Mai hinzugewinnen und ist nun mit 52 Abgeordneten vertreten (zuvor 35). Mit sieben Mandaten ist die deutsche Delegation die größte. Zu ausgiebigen Debatten bei der Fraktionsbildung befragte Zimmer für »nd« Uwe Sattler.

nd: Die GUE/NGL hat in der vergangenen Woche drei Tage gebraucht, um sich auf die neue Fraktionsspitze festzulegen. Im Fußballjargon gefragt: Woran lag es?
Sattler: Wir haben sogar noch länger gebraucht. Unmittelbar nach der Wahl haben wir angefangen, die Konstituierung der Fraktion vorzubereiten. Dazu musste erst einmal geklärt werden, welche Mitglieder wir künftig haben werden. Das war schon ein langwieriger Vorgang, zumal wir unbedingt die neuen Mitglieder der Fraktion voll in die Neukonstituierung einbinden wollten. Wir haben in der GUE/NGL immer nach dem Prinzip gearbeitet, Konsens herzustellen, um den konföderalen Charakter der Fraktion zu wahren. Es gab aber keine Mechanismen, um letztendlich auch Ergebnisse von Arbeits- und Diskussionsprozessen festzuhalten und umzusetzen. Darum ging es nun vor allem in unseren Diskussionen.

Wie zu hören war, hakte es aber auch bei der Besetzung der Stellvertreterposten.
Ja, bisher gab es ein halbes Dutzend Stellvertreter für den Fraktionsvorsitz, die aber nichts anderes machen durften, als die Vorsitzende zu vertreten, wenn diese gerade verhindert war. Es gab keine Beratungs-, keine Unterstützungsfunktion, keine konkrete Verantwortlichkeit für die Stellvertreter. Das soll jetzt anders werden. Hinzu kam, dass in der Fraktion Parteien vertreten sind, die sehr unterschiedliche Politikmodelle vertreten. In der Debatte forderten Delegationen, den konföderalen Charakter der GUE/NGL und ihre Autonomie gegen Einflussnahmen von außen zu wahren. Nachdem die grundlegende Funktionsweise der Fraktion geklärt war, wurden Vorsitzende und Stellvertreterbesetzungen relativ schnell entschieden.

Beschlossen wurde auch ein Papier über die Arbeitsprinzipien. Es betont den konföderalen Charakter der nun noch größer und bunter gewordenen Fraktion ausdrücklich. Lassen sich damit überhaupt noch gemeinsame Positionen finden?
Ja, der konföderale Charakter ist von allen einhellig unterstützt worden und war ja im Übrigen auch einer der Beweggründe, warum neue Parteien wie Podemos aus Spanien, die Liste Tsipras aus Italien oder eben auch die Tierschützer aus Deutschland und aus den Niederlanden in die Fraktion gekommen sind. In dieser Fraktion ist es möglich, an Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozessen voll teilzuhaben, gleichzeitig wird aber niemandem eine Meinung aufgezwungen. Das ist einer der Punkte, um die wir lange gerungen haben: Wir wollten einerseits klarmachen, dass die Suche nach dem Konsens im Vordergrund steht, und andererseits verdeutlichen, dass keine Delegation das Recht hat, ein Veto einzulegen, wenn sie anderer Ansicht ist.

Dass dies noch keine Lösung für das Problem ist, einen Diskussions- und Entscheidungsprozess auch demokratisch zu einem Ergebnis zu führen, ist mir klar. Aber wir müssen die große Chance, die sich aus dem Beitritt der neuen Parteien in die GUE/NGL ergibt, nutzen, insbesondere auch für die Öffnung gegenüber verschiedensten Kräften, die eine andere EU wollen.

Was verspricht sich die GUE/NGL von den neuen Mitgliedern?
Mit solchen Bewegungsparteien in der Fraktion gibt es auch neue Möglichkeiten für die Formen von Kooperation. Wir kommen in ganz neue Bevölkerungsschichten hinein, können viel stärker auf junge Menschen, auf junge Intellektuelle zugehen. Gerade unsere neuen Mitglieder waren übrigens irritiert, dass wir für die Festlegung einer solchen Selbstverständlichkeit - dass keine Delegation ein Veto einlegen kann - so lange brauchen.

Den griechischen Kommunisten von der KKE ging die Selbstständigkeit aber nicht weit genug.
Leider haben die Genossen der KKE uns keine Gelegenheit gegeben, als Fraktion mit ihnen über ihre Position zu sprechen. Wir sind nur aus den Medien über ihren Austritt informiert worden. Ich halte das für eine tragische Entwicklung insbesondere für die KKE selbst, die sich damit immer mehr in die Isolierung begibt.

In den vergangenen Wochen gab es Kritik am Vertreter der deutschen Tierschutzpartei, der die Massentierhaltung mit KZs verglichen hat. Hat sich die Fraktion dazu positioniert?
Die Gesamtfraktion nicht. Aber es war klar, dass wir als deutsche Delegation mit ihm darüber sprechen. Wir haben verstanden, was den neuen Kollegen zu dieser Aussage bewogen hat, aber klargestellt, dass eine wie auch immer vorgenommene Gleichsetzung oder Verharmlosung des Holocaust von uns in keiner Weise mitgetragen wird. Der Abgeordnete hat das im Übrigen auch genauso uns gegenüber erklärt. Zumal er aus einer Familie mit Menschen stammt, die selbst in der Nazizeit das Land verlassen mussten oder am Widerstand beteiligt waren.

Mitte Juli steht die Wahl des neuen Kommissionspräsidenten an. Wie wird sich die Linksfraktion entscheiden?
Ich gehe davon aus, dass wir so, wie wir das auch bei Herrn Barroso in der Vergangenheit gemacht haben, den vom Rat benannten Kandidaten in die Fraktion einladen und ihm sehr kritische Fragen stellen werden. Darauf wollen wir konkrete Antworten haben. Die Regierungschefs haben in den letzten Wochen ihre Verpflichtung, dem Europaparlament einen der Europäischen Spitzenkandidaten zur Wahl als Kommissionspräsidenten vorzuschlagen, selbst zur Farce gemacht. Sollten sie sich nun entscheiden, Herrn Juncker zu benennen, gibt es allerdings kaum Gründe, ihm zuzutrauen, dass er die Rolle der Kommission in der Troika, bei den drastischen Eingriffen in nationale Haushalte oder auch bei den Verhandlungen zu den EU-Freihandelsabkommen wirklich verändern wird. Mit ihm wird ein anderes Europa, wie es von Millionen Menschen während der Wahlkampagnen gefordert wurde, nicht durchsetzbar sein.

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