Mit Lohneinbußen zurück nach Hause

Rumänische Bauarbeiter erhielten erst nach Hungerstreik ihren Lohn - und dann auch nicht alles

  • Fritz Arndt
  • Lesedauer: 4 Min.
Die Accent Bau GmbH soll in Frankfurt am Main sechs rumänischen Bauarbeitern über Monate nur Essensgeld gezahlt haben. Die Betroffenen wehrten sich mit einem Hungerstreik.

Am sechsten Tag des Hungerstreiks eskalierte die Situation auf der Baustelle an der August-Schanz-Straße, Frankfurt-Preungesheim. Weil Bauherren und die Geschäftsführung der Accent Bau die sechs Rumänen mit ihren anklagenden Plakaten nicht mehr ertragen konnten, ließen sie die Hungernden auf die Straße werfen. Und falls sie dort nicht bald verschwänden, würden sie »noch Schlimmeres« erleben, drohten die Rausschmeißer. Die verängstigten Bauarbeiter verstauten ihre Habseligkeiten in Taschen und Plastiktüten und türmten ihre Habseligkeiten auf dem Gehweg auf. Die Schilder trugen sie weiter vor der Brust. »Firma Accent nicht zahlen. Hungerstreik. Heute Tag 6«, steht darauf in holprigem Deutsch.

»Hier«, sagte Lajos Raffi und fingerte ein Schreiben aus dem untersten Fach seines Geldbeutels. Das Papier war von Accent ausgestellt und bescheinigte, dass alle sechs Rumänen bei der Firma beschäftigt sind. Auf ihren Pappschildern steht auch »28 000 Euro«: Das Entgelt, das die sechs Rumänen von Accent für ihre monatelange Arbeit einfordern. »Wir haben nur ab und zu etwas Taschengeld erhalten«, klagt der hungernde Moldouan Mihac an, »aber vereinbart waren 15 Euro für einen Quadratmeter Dämmung. 2600 Quadratmeter haben wir geschafft.«

Christof Hahn, einer der beiden Investoren-Brüder, war ebenfalls in der Nähe. Als er den Kopf aus einem Bürocontainer steckte, versuchte es Branchensekretär Ralf Helwerth von der Gewerkschaft IG BAU mit einem Gespräch. »Dürfen sie denn wenigstens die Toilette hier neben dem Eingang benutzen?«, fragte er Hahn. Doch der Investor war nur genervt. »Meinetwegen sollen sie der Dame, die im Fernsehen ›die armen Rumänen‹ gesagt hat, in den Vorgarten scheißen«, rüpelte er, schnippte abfällig mit dem Kopf in Richtung der Hungerstreikenden und stellte klar: »Und im Übrigen lassen wir uns von denen da nicht erpressen. Wer hier nicht arbeitet, hat auf dem Firmengelände nichts zu suchen,«

Vor wenigen Monaten hatten Frankfurter Zeitungen die beiden Hahn-Brüder ihren Lesern als Heilsbringer vorgestellt. »Das gibt’s doch nicht«, schrieb die »Frankfurter Neue Presse«: »Andreas und Christof Hahn investieren zehn Millionen Euro in einen Handwerkerhof.« Investor Andreas Hahn spielte sich als Wohltäter auf: »Wir wollen das Gewerbegebiet etwas aufwerten.« Heute machen sich die beiden Bauherren zum Komplizen der beschuldigten Baufirma Accent. Dass die Rumänen seit Monaten nur etwas Essensgeld erhalten sollen und in einem heruntergekommenen Container auf der Baustelle hausen mussten, interessiert sie nicht. Die Kochplatte steht dort direkt neben der Matratze, zum Waschen mussten die Rumänen über den Hof. Zuletzt wohnten sie in der Steinbacher Bildungsstätte der IG BAU. Aber Tag für Tag stehen sie mit ihren Schildern vor der Baustelle und klagen an. »Wir haben alle Frauen und Kinder«, erzählt Lajos Raffi, »wir wollen unserer Rechte durchsetzen.«

Accent-Geschäftsführer Roland Fuhrmann aber gefällt sich dabei, Rumänen und Gewerkschaft hinzuhalten. Erst hat er in einer Frankfurter Zeitung lanciert, von Lohnrückständen könne keine Rede sein, er werde erpresst. Dann sollte der hungerstreikende Ferenc Bundi der Übeltäter sein: Er sei in Hamburg als Selbstständiger gemeldet, behauptete Fuhrmann, und stets vertragsgemäß bezahlt worden. Indirekt deutete er damit an, der Rumäne habe das Entgelt für die Gruppe unterschlagen.

Doch die IG BAU hat in Hamburg nachgeforscht. Ergebnis: Es gibt dort keine Firma Ferenc Bundi. »Und selbst wenn er dort als Selbstständiger gemeldet wäre, wäre es eine unerlaubte Scheinselbstständigkeit«, hat IG BAU Regionalleiter Hans-Jürgen Rosenbaum klargestellt.

Währenddessen haben sich die rumänischen Bauarbeiter entschlossen, ihren zwischenzeitlich ausgesetzten Hungerstreik wieder aufzunehmen. Die IG BAU hat angekündigt, das einbehaltene Geld einzuklagen - auf Grundlage des geltenden Tarifs. »Die Rumänen haben qualifizierte Arbeit geleistet und müssen in Lohngruppe 2 des Bauhauptgewerbes eingestuft werden«, stellt Rosenbaum klar. Der Stundenlohn liegt da bei 13,95 Euro.

Erst im Frühjahr hatten im Frankfurter Europa-Viertel 50 Rumänen mit Hilfe der Gewerkschaft eine Nachzahlung von über 100 000 Euro durchsetzen können. Dafür hatten sie eine Woche demonstriert - nachdem der Generalunternehmer Max Bögl sie mit Taschengeldern abgespeist hatte. Die IG Bau geht davon aus, dass die Abzocke osteuropäischer Arbeiter auf deutschen Baustellen Gang und Gäbe ist. »Die Finanzkontrolle Schwarzarbeit der Bundeszoll-Verwaltung hat viel zu wenig Personal«, klagt Branchensekretär Ralf Helwerth. Außerdem müsse der Gesetzgeber höhere Strafen für Betriebe ansetzen, die den im Bauhauptgewerbe geltenden Mindestlohn unterlaufen.

Mittlerweile ist der Hungerstreik vorbei. Die Bauarbeiter haben einen Teil ihres Geldes bekommen, nicht alles. Darüber wie viel genau, sei Stillschweigen vereinbart worden, sagt Helwerth und fügt ein wenig bitter hinzu: »Für den Unternehmer eine günstige Bauleistung.«

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal