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Iraks verhängnisvoller Machtproporz

nd-Gespräch mit Mohammed Jassim al-Laban, Mitglied des Politbüros der IKP

  • Lesedauer: 5 Min.
Mohammed Jassim al-Laban ist Mitglied des Politbüros der Kommunistischen Partei Iraks. Während seines jüngsten Deutschlandbesuchs auf Einladung der LINKEN beantwortete er Fragen des »nd« zur aktuellen Situation in seinem Heimatland.

Der Führer der Kurdischen Demokratischen Partei in Irak, Massud Barzani, hat erklärt, der irakische Staat sei »fertig«. Er strebe eine schnelle Abspaltung des kurdischen Nordens und ein Unabhängigkeitsreferendum an. Wie steht die Irakische Kommunistische Partei (IKP) zu diesen Bestrebungen?
Obwohl wir das Selbstbestimmungsrecht der Kurden anerkennen und in unserer Geschichte immer dafür eingetreten sind, betrachten wir diesen Schritt als übereilt. Barzani versucht, die Schwäche der Zentralregierung in Bagdad zu nutzen. Wir sind der Meinung, dass die geopolitischen Bedingungen nicht reif sind für einen unabhängigen kurdischen Staat allein in Irakisch-Kurdistan.

Lässt sich die territoriale Einheit Iraks überhaupt noch erhalten?
Ja, aber es ist wesentlich schwieriger geworden, weil die terroristischen Gruppen - Islamischer Staat in Irak und Syrien (ISIS), d. Red. - jetzt große Gebiete von Irak besetzt haben. Damit besitzen sie auch Einfluss auf den politischen Konflikt im Lande.

Die der Bagdader Regierung wohlgesinnten Staaten verlangen von Ministerpräsident Nuri al-Maliki, er soll endlich den Weg für eine Einheitsregierung frei machen. Gibt es dafür noch eine Chance?
Ja, denn auf Grundlage der neuen Kräfteverhältnisse ist die Position Malikis geschwächt.

Ist die IKP auch für eine Regierung der Nationalen Einheit?
Wir sind die politische Partei, die das schon immer gefordert hat. Deshalb haben wir auch eine nationale Einheitskonferenz gefordert - unserer Meinung nach der einzige politische Weg aus dieser Krise.

Abgesehen vom kurdischen Sonderweg wird der derzeitige Krieg in Irak häufig als Auseinandersetzung zwischen Schiiten und Sunniten dargestellt. Würden Sie dem zustimmen?
Dieser Krieg ist ein Versuch terroristischer Gruppen, den politischen Prozess in Irak zu beenden und wieder zu einer Diktatur zu kommen. Ihnen gegenüber steht eine weit gefächerte Gruppe von politischen Kräften, die zwar unterschiedliche Ansichten haben, aber alle ein demokratisches Irak aufbauen wollen. Wenn der Weg des Dialogs nicht gegangen wird, besteht die Gefahr einer Teilung des Landes oder eines Bürgerkrieges unter dem Deckmantel eines Religionskrieges. Er wäre ein Stellvertreterkrieg zwischen verschiedenen Machtzentren.

Fordert die IKP ein militärisches Eingreifen der US-Streitkräfte zugunsten der Regierung in Bagdad?
Unsere Partei lehnt eine militärische Intervention grundsätzlich ab, egal von welcher Seite. Wir sind der Meinung, diese Krise soll irakisch gelöst werden und mit friedlichen Mitteln.

Welche Stimme haben linksorientierte Kräfte derzeit in Irak?
Die linken und demokratischen Kräfte in Irak sind derzeit nicht sehr stark. Das hat seine Gründe vor allem in andauernder Verfolgung, ob unter Saddam Hussein oder danach im Krieg. Diese Jahre haben linkes Gedankengut in der Bevölkerung zerstört. Die Religion hat jetzt viel stärkeren Einfluss. Das hemmt alle Linken und Demokraten. Aber sie sind auf dem Weg, kleine, aber wichtige Erfolge zu erzielen; zum Beispiel bei der Wahl im April durch das Bündnis der zivildemokratischen Allianz. Sie kann fünf Abgeordnete ins Parlament schicken.

Warum ist es den ISIS-Milizen so schnell gelungen, die irakische Armee bzw. die schiitische Mehrheit in die Enge zu treiben?
Dafür gibt es viele Gründe. Einer ist die verhängnisvolle Politik der irakischen Regierung. Sie basiert auf dem Prinzip einer ethnischen Machtteilung. Das hat auch die Armee und ihre Strukturen stark beeinflusst. Wir haben als Kommunisten schon vor Jahren gewarnt, dass dies Terroristen und deren Verbündeten in die Hände spielt. Die Quotierung nach religions- oder ethnischer Zugehörigkeit hat einen gelähmten Staat zum Ergebnis.

Wer finanziert die ISIS-Milizen und rüstet sie mit Waffen aus, sowohl in Syrien als auch in Irak?
Große finanzielle und militärische Unterstützung kommt aus Katar, aber auch aus der Türkei. Zweitwichtigste Quelle ist die Erpressung von Geschäftsleuten; es geht dabei um Millionen von Dollar. An dritter Stelle stehen Spenden aus dem Ausland. Viertens schließlich erbeutete ISIS einen Menge Waffen, die von der irakischen Armee bei ihrer Flucht aus Mossul und anderen Städten zurückgelassen worden waren. Weitere Einnahmen resultieren aus dem Verkauf von Öl aus von ISIS besetzten Gebieten. Deshalb will Russland eine UN-Resolution einbringen, die den Kauf von ins Ausland geschmuggeltem Öl unter Strafe stellt.

Angeblich sind auch Iraks Nachbarländer Jordanien und Saudi-Arabien besorgt. Welche Rolle spielen sie in dem Konflikt?
Jordanien macht sich große Sorgen, weil auch seine inneren politischen Verhältnisse nicht so stabil sind. Es besteht die Angst, dass dieser Konflikt das politische System unter Druck setzt.

Was Saudi-Arabien betrifft, so ist es so, dass ein Teil der Terroristen saudische Bürger sind. Im Lande selbst gibt es Institutionen und Personen, die die Terroristen unterstützen. Die Königsfamilie selbst hat Angst, dass Dschihadisten, die für ISIS kämpfen, irgendwann nach Saudi-Arabien zurückkehren und dort die Machtfrage stellen.

Ihre Partei ist eine der ältesten kommunistischen Parteien der arabischen Welt, wurde aber unter vielen Regierungen in Bagdad erbarmungslos verfolgt. Kann die IKP legal arbeiten?
Derzeit ist es so. Offen agieren können wir aber aufgrund der Kriegssituation nicht. Wir haben Büros, sind in verschiedenen Stadträten vertreten. Aber es gibt immer wieder Versuche, unsere Aktivitäten zu beschränken.

Welchen politischen Kräften im Lande fühlt sich die IKP verbunden?
Wir arbeiten für einen demokratischen, zivilen, laizistischen Staat. Deshalb sind unsere Verbündeten alle Kräfte, die so einen Staat in Irak aufbauen wollen.

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