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Gespür für die ganze Bäckerei - nicht nur für den Kuchen

Die Singer-Songwriterin Dota Kehr scheut keine Themen - sieht sich aber nicht als politische Liedermacherin

  • Mathias Schulze
  • Lesedauer: 3 Min.

Die deutschsprachige Singer-Songwriterin Dota Kehr, Jahrgang 1979, nimmt die Sonnenbrille ab und streckt die Beine aus. Die Berlinerin blickt zurück, die Hände gestikulieren erklärend: »Ich wollte mich nicht als ›Produkt‹ aus der Hand geben. Ich habe eine Art Fremdbestimmungsangst und will mir nicht vorschreiben lassen, wann und ob ein neues Album entsteht.« Kehr, mittlerweile nennt sie sich und ihre Band nur noch »Dota«, hat 2003 ihr eigenes Label gegründet. Heute ist sie mit dem Fred-Jay-Preis 2014 ausgezeichnet und gerade mit ihrem aktuellen Album »Wo soll ich suchen« auf Tour.

Um Einblicke in ihre Produktionsabläufe zu bekommen - auch die langjährigen Wegbegleiter Uta Köbernick und Danilo Guilherme vertrauen »Kleingeldprinzessin Records« - muss man gar nicht zu explizit fragen. Kehr spricht gern über ihr Geschäft. Ein Lied müsse auf engstem Raum Aspekte der Gegenwart verdichten und treffende Formulierungen finden: »Es gibt Themen, über die ich gerne singen würde, beispielsweise die Finanzkrise. Sperren sie sich aber der inneren Song-Logik, kriege ich sie nicht rund, dann landet der Text im Mülleimer.«

Obwohl ihr in »Utopie« Sätze wie »Die Welt ist was Gemachtes, und Du kriegst Deine tägliche Kopie« aus der Feder flossen, will sie nicht an einer politischen Gesinnung gemessen werden, ihr Publikum nicht bevormunden. Angst vor Fremdbestimmung: Aus Prinzip und als Motivation. Kehr greift zur Zigarette und betont entschieden: »Ich sehe mich nicht als politische Liedermacherin, ich schließe bloß diese Themen nicht aus. Generell ist es mir ein Bedürfnis, Lieder zu schreiben, die über das ewige ›Ich und Du im Popsong‹ hinausgehen.«

Dafür nuanciert sie die bekannten Motive der Liedermacherzunft und sucht die Widersprüche in der Welt dort, wo sie sich niederschlagen: am und im Menschen. So gibt es Liebe nur jenseits ökonomischer Kategorien: »Ich lieg da und lausch./Es ist ein sehr schönes Spiel und ich weiß, wie es geht/Es gibt nichts im Tausch.« Analytisch kalt und dennoch verständnisvoll erfolgt in »Zu nah am Boden« die Selbstbefragung: »Wir haben uns gewöhnt an die Resignation und die Idiotie./Und daran, sie bei den Anderen zu sehen./Es ist alles wie früher, nur ein bisschen trauriger/ Diesmal sind wir die Dinosaurier, die hier noch an den Wurstbuden stehen.« Selten scheint ein geistloses Online-Verhalten so präzise auf den Punkt gebracht zu sein wie in »Rauschen«: »Ich kann nichts dazu sagen. Nicht mal im Scherz./ Nichts ragt aus dem Rauschen, nichts sticht mich ins Herz.«

Kehr rollt mit den Augen und winkt ab: Früher hätte sie seltsam phrasiert und komisch intoniert. Gelegentlich ist ihre Stimme, vornehmlich bei den rockigen Elementen, etwas schrill. Das aktuelle Album hingegen ist klanglich sehr ausgereift. Obwohl aufwendig mit Posauen, Flügelhörnern, Geigen, Bratschen und Celli gearbeitet wird, lassen die Arrangements die Stücke atmen.

Kehr kann sich mittlerweile vorstellen, auf den »administrativen Aufwand« einer Eigenvermarktung zu verzichten. Den Verweis auf die Inspiration lässt sie sich aber nicht nehmen: »Eine Zeile, zwei Akkorde, die erste Idee. Da steckt das Lied drin.« Und oft hilft auch eine geschulte Wahrnehmung: »Es geht nicht um ein Stück vom Kuchen, es geht um die ganze Bäckerei« (Utopie) ist an den Yorkbrücken in Berlin zu lesen. Jetzt geht es auf Tournee durch Deutschland. In Berlin wird Kehr wieder am 28. September Station machen - im Heimathafen in Neukölln.

Tourdaten und Infos unter www.kleingeldprinzessin.de

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