Jazz aus New Orleans

Nicholas Christopher:

  • Walter Kaufmann
  • Lesedauer: 2 Min.

Was haben wir hier - die Chronik einer Nachforschung, einen Roman (wie der Schutzumschlag es will), die posthume Huldigung eines Jazzmusikers? All das, und nichts davon ganz. Die Zeiten wechseln beliebig zwischen den Jahrhunderten, auch die Schauplätze wechseln, und nur wirkliche Kenner des Jazz werden mit all den Musikern vertraut sein, die auftauchen oder erwähnt werden, große Namen, die quer durch die USA bekannt geworden sind - nicht wenige von ihnen beeinflusst von diesem Charles Buddy Bolden aus New Orleans, dessen einmalige Interpretationen des »Tiger Rag« 1904 auf drei Edison-Walzen aufgezeichnet worden sind.

Um diese bewegt sich die Handlung. Wo sind jene Walzen geblieben, wer hat sie aufgehoben, wer hat früh schon erkannt, dass sie einmal von unermesslichem Wert sein würden? All dem wird im Buch kriminalistisch nachgegangen. Ruchlose Gestalten aus der Welt des Jazz werden vor keiner Untat zurückschrecken, um an die Walzen zu gelangen, vor Diebstahl nicht noch Betrug oder Gewaltanwendung, sie kennen weder Dank noch verpflichtende Freundschaft und sind willens, für den Profit, den sie wittern, über Leichen zu gehen.

Verwoben mit diesen Enthüllungen ist eine Reise von New Orleans nach New York, die eine junge Jazz-Pianistin mit ihrer Mutter unternimmt. Die junge Frau war drogensüchtig, war exzessive Trinkerin, was ihre Karriere zerstörte. Ihre dreimal geschiedene Mutter, eine mondäne, wohlhabende Frau, hat sich als Ärztin einen Namen gemacht.

Während der Reise offenbart sich viel vom Leben der beiden, und auch ganz allgemein vom einstigen und gegenwärtigen Leben im Süden und Osten der USA.

Wie sich die Zukunft der Frauen nach jener Nacht gestalten wird, als ihnen in einer sündhaft teuren Hotel-Suite in Manhattan eine der Edison-Walzen vorgeführt wird, sie bei Kerzenlicht Charles Buddy Boldens einmalige Interpretation des »Tiger Rag« erleben dürfen, ist vorstellbar, wenn man weiß, dass die Edison-Walze in den Besitz der jungen Jazz-Pianistin gelangen wird und sie so zu unermesslichen Reichtum kommt …

Chronik einer Nachforschung, Roman oder posthume Huldigung eines Jazzmusikers - so schwer bestimmbar die Machart von »Tiger Rag« auch sein mag, dass hier tief in die Welt des Jazz geblickt wird, steht außer Frage.

Nicholas Christopher: Tiger Rag. Roman. Aus dem Englischen von Pociao. Deutscher Taschenbuch Verlag. 314 S., br., 14,90 €.

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