Ballett im Blutbad

Im Kino: Der kunstvolle, verstörende und überästhetisierte Gewaltexzess »The Raid 2« von Gerath Evans

  • Tobias Riegel
  • Lesedauer: 5 Min.

Ein Gesetz der Serie besagt, dass die Fortsetzungen cleverer Unterhaltungsfilme entweder intellektuell und finanziell sparsame oder - das andere Extrem - vergeblich aufgeblasene Abklatsche des Originals sind. Dass es auch andersherum geht, bewiesen aber bereits Francis Ford Coppolas »Der Pate 2«, Irvin Kersh-ners »Das Imperium schlägt zurück« oder auch James Camerons »Terminator 2«. Nicht wenige Kritiker stellen auch Quentin Tarantinos »Kill Bill 2« mindestens auf die gleiche Stufe wie den ersten Teil.

Das indonesische Gangsterepos und Gesellschaftsdrama, der im Mainstreamkino bisher nicht erlebte Gewaltexzess »The Raid 2« des britischen Regisseurs und Autors Gerath Evans stellt jetzt seinen ersten Teil von 2011 noch eindrucksvoller als die genannten Beispiele in den Schatten. Eine ähnliche Steigerung zum Vorgänger vollzieht auch das kommende, absolut visionäre Sequel von »Planet der Affen« - doch das ist eine andere Geschichte und wird am 7. August erzählt.

An die fast physisch schmerzhafte Konsequenz von Evans' radikalem, überästhetisiertem Genre-Meisterwerk kommt Hollywoods mitreißende Fortsetzung der Affenparabel ohnehin nicht heran. Evans erwehrte sich (vorerst noch) dem Ruf der Sirenen aus Los Angeles - wohl auch, weil er wusste, dass er seine kunstvollen, an die Grenze des Erträglichen gehenden Gewaltfantasien und seine sperrige Erzählweise in Indonesien auch als noch nicht weltberühmter Regisseur voll entfalten konnte. In der US-Traumfabrik muss man schon Quentin Tarantino heißen, um seinen Stiefel so durchziehen zu können wie jener Meister bei der im Vergleich zu »The Raid 2« geradezu braven Martial-Arts-Pop-Oper »Kill Bill«. Evans hatte also für seine innovative Fortsetzung nicht nur ein größeres Budget, sondern offensichtlich auch weiterhin absolute künstlerische Freiheit.

Die fast durchgehend hymnische Reaktion der internationalen Kritik bescheinigt Evans nicht nur, den angeblich »besten Actionfilm aller Zeiten« geschaffen zu haben, sondern auch »ein tiefgründiges, knochenbrechendes Vergnügen« (»Variety«) und ein in vieler Beziehung monumentales Werk. Hier kann man auch noch einmal den Vergleich mit »Der Pate 2« bemühen. Selbst wenn der ästhetisch und erzählerisch auf einer völlig anderen Ebene liegt, so haben beide Filme doch die verzahnte, gesellschaftskritische und familienbezogene Handlung gemeinsam.

Andererseits hinkt der Vergleich furchtbar, da sich »The Raid 2« als Kampfkunst-Schocker, der er vor allem ist, theoretisch an ein extrem begrenztes Nischen-Genre-Publikum richtet - im Gegensatz zu Coppolas universellem Mafia-Epos. Doch das ist die Kunst großer Pop-Regisseure wie Tarantino oder nun Evans: Den Genrefilm künstlerisch so anspruchsvoll, ästhetisch so ungewöhnlich und technisch so perfekt zu fertigen, dass er weit über die kleine Szene der Kungfu- und Action-Nerds ausstahlt und allgemeine Relevanz erhält.

Und so ist in »The Raid 2« unterm Strich die berauschende Mischung aus durchkomponierten Bildern, Musik, Licht, Ton und den gesellschaftskritischen Anklängen des Drehbuchs viel wichtiger und bestechender als alle (fast völlig ohne technische Tricks gefilmte) Karatekunst, die Nichtfans ohnehin nur sehr beschränkt zu schätzen wissen.

Im schon mitreißenden, auf seiner Handlungsebene aber höchst eingeschränkten ersten Teil kämpft sich der rechtschaffene Polizist Rama (Iko Uwais) fulminant durch das räumlich extrem begrenzte Set eines von Gangstern und korrupten Polizisten beherrschten Hochhauses.

Der Einstieg des zweiten Teils ist verwirrend, so naht- und erklärungslos wird an das Ende des ersten Teils angeknüpft. Zäh, fast hölzern wird die Geschichte eingeführt - um nach einem extra verlangsamten, actionlosen Vorspiel dann aber von unter Null auf über Hundert vollkommen zu überdrehen. Ist die verzweigte, moralfreie Geschichte einmal angelaufen, bildet sich ein epischer, nicht enden wollender Strom aus Blut und Korruption, angereichert mit Vatermord, verrohter Politik und bizarren Legionen der Finsternis, die sich an apokalyptischen Sets höchst stilvoll die Schädel zertrümmern.

Wieder muss sich Über-Kämpfer Rama durch Korridore, Treppenhäuser, Gefängnishöfe, Großküchen und Edelbars metzeln, dabei Hunderte Angreifer wie lästige Fliegen beiseite klatschend. Diesmal infiltriert er Jakartas Polit- und Gangster-Mafia als verdeckter Ermittler. Neben seinen zahllosen namenlosen Opfern kreuzen auch perfide Charaktere wie das hier abgebildete, mit schwerem Bauwerkzeug bewaffnete »Hammergirl« seinen Weg - je höher der Undercovercop in der politischen und verbrecherischen Hierarchie emporklimmt, desto abstruser (und unerträglicher) werden die Szenen. Schließlich muss Evans bei einer (etwas übertriebenen) Filmlänge von zweieinhalb Stunden die Spannungs- und Gewalt-Schraube immer weiter anziehen - und staunend wird man Zeuge, wie es ihm immer wieder gelingt.

Das Logik-Problem aller Martial-Arts-Filme, in denen meist ein Einzelkämpfer einer riesigen Überzahl an Gegnern standhält, wirkt hier einigermaßen plausibel gelöst: Wer so überirdisch kämpft, wer dabei solche bizarren aber immer gerade noch nachvollziehbaren Choreographien aufs leichengepflasterte Parkett legt, dem traut man zu, auch mit einer ganzen Legion fertig zu werden - es ist ein raffiniertes und bei aller Skurrilität doch glaubhaftes Ballett im Blutbad.

Aber selbst die härteste Gewalt in den verrücktesten Variationen stumpft irgendwann ab. Dann möchte man die Augen schließen und denken: »Feiert doch eure kranke Orgie alleine.« Nur: Die Augen zu verschließen, hilft hier nicht weiter - die Geräusche sind fast noch schlimmer als die Bilder: Es knacken die Gelenke, es bohren sich Macheten, Messer und Äxte, aber auch allerhand Alltagsgegenstände schmatzend in spritzende Eingeweide.

Die »Chicago Sun-Times« schreibt treffend: »Selbst wenn man ab und zu seine Augen reflexartig bedecken möchte, ist ›The Raid 2‹ jederzeit einen Blick wert.« Das nicht aus Karatefans bestehende Publikum der Berliner Pressevorführung rettete sich ein ums andere Mal in erleichterndes Gelächter - der einzige Ausweg aus Evans' Höllen-Labyrinth. Am Ende war die Begeisterung selbst bei größten Action-Skeptikern spürbar - oder war das nur die Erleichterung, dass der quälend lange Todestrip endlich vorbei ist?

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