Invasion der Neophyten

In Thüringen bereiten einige eingeschleppte Pflanzenarten bereits ernste Probleme

  • Andreas Göbel, Jena
  • Lesedauer: 4 Min.
Ob an Ackerrändern, Fluss-Auen oder in Naturschutzgebieten: An immer mehr Orten in Thüringen gewinnen eingewanderte Pflanzen die Oberhand, mit teils verheerenden Folgen für die Ökosysteme.

Für Gunnar Brehm, Kurator am Phyletischen Museum in Jena, sind Ausflüge in die Natur Thüringens immer seltener unbeschwert. Praktisch überall wuchern bereits die sogenannten Neophyten: Eingeschleppte Pflanzenarten, die sich immer vehementer ausbreiten und die heimischen Lebensräume stark verändern. »Wenn man einmal seinen Blick darauf geschärft hat, kann man einfach nicht mehr wegsehen. In Jena ist fast jede Wiesenfläche betroffen.«

Es sind gleich eine ganze Reihe Neuankömmlinge, die das heimische Ökosystem von der Allgemeinheit weitgehend unbemerkt auf den Kopf stellen: Japanknöterich, Robinie, Goldrute, Götterbaum und die Zackenschote sind nur einige davon. Mindestens zwei bis drei Dutzend invasiver Arten sorgen in Thüringen bereits für massive Probleme - die von der Öffentlichkeit jedoch kaum wahrgenommen werden. »Noch könnte man das Ganze vielerorts in den Griff bekommen, allerdings hält sich niemand für zuständig«, betont Brehm.

Einer der besonders hartnäckigen und weitgehend unbekannten Einwanderer ist die Orientalische Zackenschote (Bunias orientalis). Bereits um 1860 wurde der Eindringling zum ersten Mal in Thüringen dokumentiert, heute ist die Pflanze flächendeckend im ganzen Freistaat zu finden. »Teilweise braucht es lange, bis sich eingeschleppte Arten verbreiten«, sagt Brehm. Aber die Zackenschote sei vielerorts in Thüringen entweder bereits da oder auf dem Vormarsch.

Als Beispiel zeigt Brehm Fotos vom Naturschutzgebiet Pennickental bei Jena: Auf den ersten Blick sehen die zarten, gelben Pflanzen, die fast eine ganze Wiese bedecken, aus wie Raps. Doch der Eindruck täuscht: »Kaum ein Tier frisst die Zackenschote, noch nicht einmal Falter gehen da ran.« Nach und nach werden heimische Tier- und Pflanzenarten verdrängt, es entsteht eine ökologische Wüste im Schutzgebiet.

An den Flussläufen ist das Spiel ähnlich: Hier sorgt vor allem der Japanknöterich für Ärger. Viele Tiere mieden die Stellen, an denen der Knöterich am Ufer ein meterhohes Dickicht bilde und andere Arten verdränge. »Inzwischen kommt er in fast jeder Kommune vor«, sagt Brehm. »Ökologisch gesehen sind solche Stellen wie zubetoniert - mit dem Unterschied, dass sich Betonflächen nicht von selbst ausbreiten.«

In ganz Europa gebe es schätzungsweise 14 000 eingeschleppte Pflanzenarten, erklärt der Pflanzenexperte. »Wenigstens gegen die Top 200 müsste man vorgehen, tatsächlich passiert da aber gar nichts.« Trotz der kritischen Lage gebe es weder auf Landes-, noch auf Bundesebene Managementpläne oder andere Formen des koordinierten Vorgehens. Selbst bestehende Richtlinien der Europäischen Union - etwa zur Eindämmung von Ambrosia oder der Herkulesstaude - würden kaum beachtet. »Keine der invasiven Arten wird derzeit bekämpft, dabei steigen die Vorkommen überall exponentiell an, es besteht dringender Handlungsbedarf«. Doch ohne Druck aus der Bevölkerung sei nichts zu erwarten. »Je länger wir warten, umso teurer wird es am Ende.« Der Naturschutzverband BUND Thüringen hat den Kampf gegen die invasiven Arten bereits aufgegeben: »Meist steht der Aufwand in keinem Verhältnis zum Nutzen«, sagte der BUND-Landesgeschäftsführer Burkhard Vogel. Aus seiner Sicht sei es sinnvoll, 20 oder 30 Jahre abzuwarten und auf die Selbstheilungskräfte der Natur zu hoffen. »Vielleicht löst sich das Problem von alleine.«

Eine Haltung, die Brehm nicht gelten lassen will. Zumindest die Naturschutzgebiete müssten geschützt und von der Plage befreit werden, sagt er. Zwar gebe es immer wieder Aktionen von Naturschützern, die betroffenen Flächen zu roden oder Pflanzen auszureißen, am Ende würde durch solche »Feuerwehreinsätze« nur das Allerschlimmste verhindern. Nachdem jahrelang nichts getan wurde, könnten im Fall der Zackenschote nur noch drastische Maßnahmen helfen: Der gezielte Einsatz von Herbiziden - per Hand direkt an den Pflanzen angewendet und in Verbindung mit anderen Maßnahmen - könne ein sinnvoller Weg aus dem Dilemma sein. »Natürlich wäre das ein immenser Eingriff - aber was ist die Alternative?«

Brehm hält ein tiefgreifendes Umdenken in Politik und Gesellschaft für dringend erforderlich. »Jede auch noch so schädliche Pflanze kann in Baumärkten und Gärtnereien frei gekauft und angepflanzt werden«, sagt der Wissenschaftler. Hinweise darauf, wie gefährlich die Pflanzen für das heimische Ökosystem sein können, gebe es keine. »Da müsste es klare Regeln geben - man darf ja auch nicht einfach Waschbären kaufen und aussetzen.«

Es gehe ihm und seinen Mitstreitern nicht um Panikmache, betont der Pflanzenfachmann. »Aber tatsächlich kenne ich keinen Bereich mit so einer Dynamik und so negativen Zukunftsprognosen.« Ein koordiniertes, überregionales Vorgehen sei überfällig, sonst räche sich die Untätigkeit eines Tages. »Biologie hält sich eben nicht an Ortsschilder.«

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