Keine Zigarette, nirgends

In Halle wird Deutschlands erste rauchfreie Wohnanlage gebaut - aber geht das Konzept auf?

  • Romina Kempt, Halle
  • Lesedauer: 3 Min.
Wer raucht, muss ausziehen. Das soll in den ersten rauchfreien Mietshäusern Deutschlands, die derzeit in Halle (Sachsen-Anhalt) entstehen, durchgesetzt werden. Klar: Das Konzept ist umstritten.

Eine Maschine bohrt ein tiefes Loch in die Erde. Es dröhnt laut. Schaulustige beäugen im Vorbeigehen die Baustelle. In einigen Monaten wird auf diesem Grundstück in Halle (Sachsen-Anhalt) ein neues Mietshaus stehen. Es soll zur ersten Wohnanlage mit ausschließlich rauchfreien Wohnungen gehören. Deutschlandweit sei so ein Projekt einmalig, sagte die Prokuristin der Wohnungsgenossenschaft (WG) Halle-Süd, Susanne Rackwitz. Weder am Küchentisch, noch auf Balkon oder im Vorgarten darf in der Siedlung eine Zigarette angezündet werden. Selbst Gäste müssten sich an die strengen Regeln halten. Juristen stehen dem Projekt eher skeptisch gegenüber.

Bis Ende des kommenden Jahres sollen 33 rauchfreie Mietshäuser im Schwalbenweg fertig sein, sagte Rackwitz. Familien, Senioren oder Singles könnten künftig auf 42 bis 115 Quadratmetern ohne den nervigen Zigarettenqualm leben. Selbst Gäste müssten auf ihre Glimmstängel verzichten. Wer mehrmals verstößt, fliegt. An dem ungewöhnlichen Konzept feilt die WG Halle-Süd seit fünf Jahren gemeinsam mit dem Nichtraucher-Verband »Pro Rauchfrei«.

»Die Mieter werden ausreichend im Vorfeld über die Idee informiert«, sagte der Geschäftsführer des Nichtraucher-Verbands Siegfried Ermer. Wer Zweifel habe, könne nicht einziehen. Jeder Mieter müsse in die Vereinbarung schriftlich einwilligen. Wer trotz Ermahnung rauche, müsse mit einer Kündigung rechnen. Ermer biete selbst als privater Vermieter rauchfreie Wohnungen an. »Das Konzept funktioniert nur, wenn man mit den Mietern in Kontakt bleibt«, so der Nichtraucher.

»Ich habe die größten Bedenken, dass das zulässig ist«, sagte der Geschäftsführer des Deutschen Mieterbundes, Ulrich Ropertz, in Berlin. Es könne zwar mit Mietern abgesprochen werden, dass in einer Wohnung nicht geraucht werden soll. »Aber ob es im Zweifelsfall vor Gericht durchgeht, ist fraglich«, so Ropertz. Prinzipiell sei Rauchen in der Wohnung erlaubt, so lange es nicht die Nachbarn störe, erklärte Ropertz. Einige Urteile belegen jedoch, dass sich Raucher nicht immer in Sicherheit wiegen können. Im November vergangenen Jahres urteilten die Richter am Amtsgericht Frankfurt am Main, dass Wohnungseigentümer kein uneingeschränktes Recht auf Rauchen auf ihrem Balkon haben. Ein Wohnungsbesitzer qualmte von einem seiner zwei Balkone aus direkt in das darüber liegende Schlafzimmer - und musste damit aufhören. Ende Juni musste am Landgericht Düsseldorf der Raucher Friedhelm Adolfs eine Niederlage in Kauf nehmen. Nach 40 Jahren muss er seine Mietwohnung räumen. Er habe nichts dagegen unternommen, seinen Qualm nicht in den Hausflur ziehen zu lassen.

»Immer mehr Menschen möchten ohne störenden Qualm ihres Nachbarn leben«, sagte Rackwitz. Eine vom Nichtraucher-Verband »Pro Rauchfrei« initiierte Studie belege das. Das Interesse an den neuen rauchfreien Mietshäusern sei riesig. Fünfmal so viele Bewerber wie es freie Häuser gebe, hätten sich bereits gemeldet.

Nicht nur der Aspekt rauchfrei locke viele Interessenten, sagte Rackwitz. Die Gebäude würden auch alle per Erdwärme beheizt. Die Bohrungen hätten vor wenigen Tagen begonnen. Die Mieter könnten die Energie ohne Zusatzkosten nutzen. Rund zehn Euro pro Quadratmeter müsse für eine warme Wohnung bezahlt werden. »Das Ganze ist ein Experiment«, sagte Rackwitz. dpa/nd

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal