Willfährige Werkzeuge

Wolf Schneider hat einen Nachruf auf das Soldatentum verfasst - vielleicht etwas voreilig

  • Armin Jähne
  • Lesedauer: 4 Min.

Um es vorweg zu nehmen: Es ist ein gutes Buch, und es ist ein Buch gegen den Krieg. Grundgedanke des Autors ist, dass »die Ära des Soldaten, wie wir ihn kennen«, und dessen Los in der deutschen Wehrmacht er am eigenen Leib erfahren hat, »zu Ende geht«. Drei Jahrtausende lang, heißt es bei ihm weiter, »war der Soldat der große Beweger der Weltgeschichte, das Objekt von Angst, Bewunderung und Entsetzen. Länder hat er verwüstet, Kulturen zerstört, Völker ausgerottet. Einen Ozean hat er mit Blut gefüllt. Mehr Leid hat er zugefügt, oft auch mehr gelitten als alle anderen Menschen. Nur das nichts besser werden wird ohne ihn.«

Ein solches Bekenntnis löst Fragen aus, und Wolf Schneider selbst beginnt damit. War der Soldat ein Held? Eigentlich nicht, wenn man von Männern von unerhörter Tapferkeit absieht. Aber dann folgt die entscheidende Einschränkung, dass der Begriff Held allenfalls für jene Soldaten gilt, »die für eine unstreitig gute Sache kämpften und standhielten bis in den Tod«. Der deutsche Soldat im Zweiten Weltkrieg, um dieses Credo zu ergänzen und es einigen Unverbesserlichen ins Stammbuch zu schreiben, gehört also nicht dazu, man mag es drehen und wenden wie man will. War der Soldat ein Opfer? Ja, so die Antwort, das war er. Millionenfach.

Sind Soldaten Mörder, lautet eine weitere, gewiss aufreizende Frage. Ja, hatte Kurt Tucholsky 1931 geschrieben. Im Prozess gegen einen Sozialpädagogen, der das Gleiche behauptete, urteilte am 25. August 1994 das Bundesverfassungsgericht, es handle sich um »eine zulässige Meinungsäußerung«. 76 Prozent der Deutschen hielten den Richterspruch für falsch. Tucholskys zugespitzter Standpunkt spaltet, was nicht verwunderlich ist. Ein salomonisches Urteil, so meint der Rezensent, wäre hier gefordert.

Der Krieg bedeutet für die darin Verwickelten, namentlich die auf Grund der Wehrplicht Eingezogenen, seelischen wie moralischen Notstand. Der Soldat zieht nicht wie ein gewöhnlicher Mörder in den Krieg. Er tötet, weil die Logik des Krieg es so fordert, weil ihn der Befehl zwingt und er selbst überleben will, es sei denn er desertiert. Wer anderes behauptet, belügt sich selbst. Es gibt nur einen Weg, dieses Töten durch Soldaten zu verhindern: den Krieg ganz abzuschaffen, ein naiver Vorsatz, denn der heutigen Gesellschaft ist der Krieg schlicht systemimmanent. Natürlich gibt es im Krieg auch die wirklichen Mörder, die am Töten Gefallen finden, für die Töten ein Job ist, etwa über ferngelenkte Waffen, oder die ein religiöser Fundamentalismus antreibt.

Schneider, der ja eine »Weltgeschichte von Helden, Opfern und Bestien« vorlegt, geht den Ursprüngen bewaffneter Auseinandersetzungen zwischen den Menschen nach, auch der Frage, wie der Krieg in die Welt kam, wendet sich dann den »Geräten« zu, mit denen gekämpft wurde oder den Mitteln, mit deren Hilfe Soldaten zu willfährigen Werkzeugen von Politikern und militärischen Führern gemacht wurden - vom Brimborium der Medaillen und Orden bis zum Druck mit der Angst. Kühn das ernüchternde Kapitel »Wie sie verreckten« und, darin eingeschlossen, ein viel zu kurzer Verweis auf Homers »Ilias«, die, oft missverstanden als Heldenepos, in geradezu naturalistisch-breiter Weise das Krepieren, das Verröcheln der Kämpfer vor Trojas Mauern schildert, weit weg von jeder Großartigkeit. Viel Interessantes, Informatives und Nachdenkenswertes bietet Schneider dem Leser, über die Definition des Soldatenbegriff, über Lew Tolstois Gedanken zum Krieg, den Zusammenhang von Krieg und Religion oder über den Pazifismus.

In vielem stimmt der Rezensent mit dem Autor überein, aber er muss ihm widersprechen, wenn dieser meint, dass der Soldat im herkömmlichen Sinne überflüssig wird, weil ihn technische Mittel wie Drohnen und andere Präzisionswaffen verdrängen könnten. Das gesamte Kriegsgeschehen in der gegenwärtigen Welt offenbart das Gegenteil, ob in Afghanistan, im Kosovo oder im Nahen Osten. Jede militärische Bodenoperation verlangt nach Soldaten, die Straßen durchkämmen, in Häuser eindringen, Terrain und wichtige Gebäude besetzen. Und wenn aus den vom Autor benannten sechs potenziellen Konfliktherden »uns allen« drohende »mörderische« Kriege erwachsen? Wer kämpft dann um Wasser, um Ackerland, um Energie- und Rohstoffressourcen etc.? Noch ist - leider - der gut ausgebildete, ja sogar hart gedrillte, der moralisch gefestigte, disziplinierte und initiativreich wie verantwortungsvoll handelnde Soldat unersetzlich.

Wolf Schneider: Der Soldat ein - ein Nachruf. Eine Weltgeschichte von Helden, Opfern und Bestien. Rowohlt Verlag, Reinbeck 2014. 543 S., geb., 24,95 €.

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