Blicke auf das Leben, auf die Menschen

Das Kölner Museum Ludwig zeigt die Ausstellung »Unbeugsam und ungebändigt - Dokumentarische Fotografie um 1979«

  • Felix Koltermann
  • Lesedauer: 4 Min.

Bilder aus der dokumentarischen Fotografie sind heute allgegenwärtig und finden sich in vielen Kontexten: Sie sind in Magazinen, Zeitschriften und Onlinegalerien ebenso zu sehen wie in den fotografischen Sammlungen renommierter Museen in Deutschland. Das Kölner Museum Ludwig widmet der Dokumentarfotografie derzeit eine Ausstellung unter dem Titel »Unbeugsam und ungebändigt - Dokumentarische Fotografie um 1979«. Die Jahreszahl ist dabei keineswegs willkürlich gewählt, sondern bezieht sich, ebenso wie der Titel, auf das im Jahr 1979 erschienene Buch »Die helle Kammer« des französischen Fototheoretikers Roland Barthes, ein Standardwerk der zeitgenössischen Fotokritik. In der Ausstellung sind Fotoserien von 13 Fotografen und Künstlern zu sehen, darunter Thomas Ruff, Robert Adams, Boris Mikhailov und Candida Höfer.

Die ausgestellten Arbeiten beeindrucken vor allem durch die Vielfalt der gezeigten Ansätze und die unterschiedliche Realisierung des dokumentarischen Anspruchs durch die Fotografen. Herausragend ist die Serie »The Transported of KwaNdebele« des südafrikanischen Fotografen David Goldblatt, in der nächtlich gemachte Schwarz-Weiß-Aufnahmen zu sehen sind, die vom Apartheidregime geknechtete Schwarze auf ihrem stundenlangen Arbeitsweg zeigen. Der amerikanische Fotograf Robert Adams überzeugt mit dem umfangreichen Werkkomplex »Our Lives and Our Children«. Zu sehen sind mit der versteckten Handkamera aufgenommene und an die Street Photography angelehnte Bilder von Menschen auf Straßen und öffentlichen Plätzen einer Vorstadt von Denver. Einen Einblick in das Leben in der indischen Metropole Kalkutta bietet die dokumentarische Serie von Raghubir Singh. Teil einer Performance am Rande einer Parade zu Ehren des jugoslawischen Präsidenten Tito ist die Arbeit »Dreieck« der Zaghreber Künstlerin Sanja Ivekovic.

Der Übergang von den 1970er zu den 1980er Jahren markierte auch den Aufstieg der Farbfotografie und den Beginn von deren langsamem Siegeszug. Der Gebrauch der klassischen Schwarz-Weiß-Fotografie ging zurück. In der Ausstellung sind die Farbfotografien noch in der Minderheit. Auch wirken die Farbbilder nach heutigen Maßstäben etwas blass. Dies tut ihrer Wirkung jedoch keinen Abbruch, verstärkt diese vielleicht sogar. Eine bedeutende konzeptionell-dokumentarische Arbeit ist die in Farbe fotografierte Serie »Ruhrlandschaften« von Joachim Brohm. Die Arbeit entstand während des Studiums Brohms an der Folkwangschule in Essen und zeigt das Zusammenspiel von Landschaft und Architektur im größten Ballungsgebiet Deutschlands. Es ist eine eigenartige melancholische Stimmung, die von diesen Bildern ausgeht, etwa von der Aufnahme »Bochum 1983«. Von einem erhöhten Standpunkt aus sind Menschen beim Picknick an einem von Erdhügeln übersäten und im Dunst liegenden Flussufer zu sehen.

Aus einer dokumentarischen Perspektive betrachtet, haben einige der gezeigten Arbeiten jedoch auch dezidierte Schwachstellen. Diese liegen vor allem in einer unzureichenden Kontextualisierung. Dies zeigt sich etwa an der Serie »Türken in Deutschland« von Candida Höfer. Die deutsche Fotografin porträtierte in den 1970er Jahren türkische Migranten in Köln. Die Bilder führen als Titel nur das Jahr der Aufnahme und den Straßennamen. Wenn es jedoch das als solches formulierte Ziel Höfers war, die, wie es im Ausstellungstext heißt, »von der deutschen Bevölkerung noch als fremd und exotisch wahrgenommene« türkische Kultur zu zeigen, so fragt man sich, warum es nicht mehr Informationen zu den Bildern und den Namen der Abgebildeten gibt. So zeigt beispielsweise das Bild »Weidengasse Köln 1974« vier Männer unterschiedlichen Alters hinter einer Theke in einer Metzgerei. Weil die Nennung der Namen ausbleibt, werden die Bilder austauschbar und die Menschen auf den Bildern ihrer Identität beraubt und genau zu dem Gegenstand des Exotismus, dem Höfer anscheinend entgegenwirken wollte.

Die Kuratorin Barbara Engelbach macht eine dokumentarische Haltung nicht nur an der Fotografie an sich, sondern auch an ihrem Gebrauch fest. Deswegen ist jede Arbeit von einem Text begleitet, der Auskunft über das »Wer?«, das »Wann und wo?«, die Auftraggeber, die Erstveröffentlichung sowie den Adressaten gibt. Hier wird deutlich, dass viele der Arbeiten nie in einem journalistischen, also klassisch dokumentarischen Kontext, sondern meist nur in Galerien und Museen gezeigt sowie in Büchern veröffentlicht wurden. Damit erfährt die von den Kuratoren postulierte »dokumentarische Haltung« eine unnötige Verkürzung der Perspektive, vor allem wenn es darum geht, die auf 1979 folgenden Krisenjahrzehnte und die bis heute andauernden Folgen zu dokumentieren. Denn Fotografien werden in der Regel mit dem Wissen um einen bestimmten Gebrauchskontext produziert. Und der künstlerische Kontext unterscheidet sich eben doch vom journalistischen. So stellt das Auslassen von klar journalistischen Arbeiten eine unnötige Einengung einer dokumentarischen Haltung dar.

Bis 5.10., Museum Ludwig, Heinrich-Böll-Platz, Köln. Di-So 10-18 Uhr. Im September gibt es eine Reihe von Vorträgen über das Werk der beteiligten Fotografen. Ein Katalog wird im Kölner Snoeck-Verlag erscheinen.

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