Nicht Hinnahme, sondern Hingabe

Gehört zur wahrhaftigen Literatur über die DDR: das Werk von Jürgen Fuchs

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 7 Min.

Da weiß einer beizeiten, seinen Eigensinn zu benennen. Er rechnet mit Widerstand. Er sucht Widerstand. Er kündigt sich seinen Gegnern an: « ... ich nehme ihnen die Sicht/ Ein wenig:/ Nicht unsichtbar/ Nicht zu übersehen/ Mit mir müssen sie rechnen.» Aber: Kein Gedicht ist das aus der Hölle Hohenschönhausen, nein - diese Verse schrieb Jürgen Fuchs ahnungsvoll schon vorher, für die DDR-Anthologie «Auswahl 74. Neue Lyrik - Neue Namen».

Heinz Kahlau notierte damals im Vorwort, wohl in guter Hoffnung und noch besserer Absicht: «In diesem Buch spricht eine Generation, die geboren wurde, als die gesellschaftlichen Verhältnisse ihres Landes schon eine sozialistische Grundlage hatten. Die kommunistische Gesellschaft stellt für sie die einzige Alternative zu allen bisherigen Ordnungen dar. Sie hat sich für eine Daseinsweise entschieden, die nicht Hinnahme, sondern Hingabe erfordert.» Fuchs, so heißt es in der biografischen Notiz dieses Buches, war Student der Psychologie in Jena. Was die DDR-Öffentlichkeit freilich nicht erfährt: Er organisiert mit Lutz Rathenow einen «Arbeitskreis für Literatur und Lyrik», er wird eine ausgezeichnete Diplomarbeit schreiben - aber kurz vor Abschluss aus Universität und SED ausgeschlossen; bei Robert Havemann finden er und seine Familie ein Unterkommen, aus dessen Auto heraus wird er verhaftet. Die eigenen Genossen erfährt er als Mächtige, «die sehr tief treten können».

Nicht Hinnahme, sondern Hingabe? Kahlau hatte in einer Weise Recht, die er bei seinem Vorwort-Text gewiss nicht im Blick hatte. Fuchs nahm die DDR nicht hin, seine Hingabe war die des Protestes, der radikalen Opposition. «Ich bin jung/ Ich habe keine Stalin-Oden geschrieben/ Ich muss nicht vornehm schweigen/ Oder in Andeutungen sprechen/ Ich kann lachen/ Und weggehen/ Wenn die Versammlung beginnt.»

Das war das Fazit einer jung sich absterbend wähnenden Generation, die das alles nicht mehr leben wollte: die geistige Doktrin, die Ödnis der Ummauerung, die ständigen Vergitterungen und Vergatterungen. Fuchs wurde zum Staatsfeind gestempelt. Es ist gut, als Mahnung immer wieder dieses Maßnahme-Vokabular der Jäger gegen Fuchs studieren zu müssen: Kompromittierung, Einschränkung der Resonanz, Zweifel streuen, Isolierung, IM ansetzen, Bekämpfung, ständige ununterbrochene Kontrolle, Verunsicherung, psychischer Druck, Zersetzung.

Das Regime hoffte auf den vernichtenden Riss im Herzen des Opfers. Fuchs aber wird alles sein, nur kein Opfer. Er besaß eine unbesiegliche Lust am Unterscheidungsvermögen für das Eigene und das von außen Abgeforderte. Und: Er erfuhr Solidarität im «Kasernenhof DDR». Zivilcourage gegen die «strotzende Staatlichkeit» ist möglich!, sagt Fuchs beglückt, als Biermann ausgebürgert wird. Er spricht dann rückblickend von einer «guten Zeit damals»: Widerstand und Beistand als Einheit.

«Im Dialog mit der Wirklichkeit» heißt das Buch, das der polnische Literaturwissenschaftler Ernest Kuczyński soeben herausgab (welch bedauerlich reizloser, austauschbarer Titel!): über dreißig Auskünfte, Auslegungen, Aufsätze - Annäherungen an Leben und Werk von Jürgen Fuchs. Die Gedichte, die Romane und Erzählungen («Fassonschnitt», «Das Ende einer Feigheit»), die Prosa der Gedächtnis- und Vernehmungsprotokolle. Gerade sie - entstanden in der Haft, zum Teil aus auswendig gelernten Schriftspuren auf dem Silberpapier von Schokoladentafeln - wurden zum Botschafter eines geprüften Gedächtnisses; dieses Gedächtnis ließ nicht zu, dass die Vernehmer das Gewissen von seiner Seite rissen, die beiden, Gedächtnis und Gewissen, blieben zusammen, umklammerten einander, hielten auch die Welt fest, wie sie war. Hielten die Schläge des Schicksals aus, und fast wie ein Wunder schien es, dass Fuchs seine Sanftheit bewahrte, seine geradezu lächelnde Festigkeit - die hat ihn auch verwundbar gehalten, als er später in der Gauck-Behörde arbeitete.

Sein Roman «Magdalena» lehnt sich auf gegen den kalten Bürokratismus einer solchen Behörde, und es schien, als suche und grabe Fuchs, unverstanden von Umsitzenden, nur deshalb in den Akten, weil er zwischen den Papieren eingeklemmte, eingepresste Herzen schlagen hörte, die mit letzter Kraft nach Befreiung, nach Luft pumpten. Dieser Schriftsteller litt darunter, wenn Menschen Vorgänge wurden. Das ist die Wut, die Würde und die Wunde seiner Literatur, die aus Pression wuchs. Herta Müller bescheinigt dieser Literatur: «Sie dokumentiert emotional. Der staatlichen Maßnahme entlang zieht sich bei Fuchs immer dieser private, gefährdete persönliche Besitz der eigenen Lebenszeit». Das Banale werde «erregbar», und «jede Winzigkeit kriegt ihren eigenen antastbaren Nerv».

Noch einmal die Stationen dieses Lebens. Fuchs, 1950 im vogtländischen Reichenbach geboren, muss 1976, nach dem Protest gegen die Biermann-Ausbürgerung, neun Monate Stasigefängnis Berlin-Hohenschönhausen erleiden. Er selber spricht von «psychologischer Folter». Total überhitzte Zelle, täglich bis acht Stunden Verhör, Psychodruck und Pharmaka, alles darauf angelegt, «dass man durchdreht». Wie hatte ihm Havemann geraten: «Mit denen redet man nicht!»

Also schweigt Fuchs, schweigt und schweigt. Fuchs ist der Verhaftete, aber die Haft kann ihm nicht austreiben, dass er auf ganz andere Weise verhaftet bleibt: nämlich der Eindeutigkeit seines Hasses, der Nichtdiskutierbarkeit der eigenen Moral, der Undiskutierbarkeit von Kompromissen.

Wolfgang Templin spricht im Buch von Fuchs’ «ethischem Kommunismus», das war etwas ganz anderes als jene «Linie, die sich von Marx zu Lenin und später zu Stalin zog». Und wir wissen: Diese Linie zog sich weiter in die jeweilige Gegenwart auch lange nach Stalin und zog sich zu als Schlinge. Ach, in einem Text von Andreas W. Mytze wird auch Julius Fučik zitiert, der 1938 moskaukritische Literatur als «Dokumente schmarotzerischen Unkrauts» bezeichnete, nur dazu gut, «ausgejätet zu werden». Ausgejätet wurden nie Texte, sondern: Menschen.

Akten, Fotos belegen: Die Staatssicherheit verfolgte Fuchs auch im Westen, wohin er 1977 abgeschoben worden war. Plötzlich ist das geparkte Auto des Schriftstellers nicht mehr abgeschlossen, der Kindersitz steht neben dem Fahrzeug. Wo sein Fahrrad neben vielen anderen abgestellt ist, liegen auf dem Gepäckträger Pornohefte mit gut lesbarem Adressenaufkleber. Man schickt ihm einen Schädlingsbekämpfer, und dieser Kammerjäger sagt, er sei alarmiert worden, im Hause gebe es Ungeziefer. Ein Wink mit dem Zaunpfahl. Die brutale Metaphorik des Staates, der auch auf diese Weise Vollbeschäftigung garantierte: über vierzig Inoffizielle Mitarbeiter, über 25 Bände mit Beschnüffelungsakten.

In Sachen Biermann war der Schriftsteller Fuchs ein Vor-Arbeiter des Widerstandes, er stand sehr einsam in seinem Kriegsstoff, den er sich nicht ausgesucht hatte, er stand nackt da, ganz ohne die Prominenz jener berühmt werdenden Unterzeichner gegen die Ausbürgerung des Barden B. Denen in Berlin gehörte schon die westliche öffentliche Welt, da saß er noch allein in der Zelle; draußen war der Staat mit dem Kitten beschäftigt, drinnen aber, hinterm Beton, sollte die besagte Zersetzung des Einen betrieben und vollzogen werden.

Herta Müller erzählt, György Dalos, Roland Jahn, Hans-Joachim Schädlich: Fuchs, der 1999 starb, blieb zeitlebens der Unzeitgemäße, sich Kümmernde, er blieb ein viel zu schwacher Magnet für alles überbordende Unrecht dieser Welt, das er auf sich zog und aufsog, um es öffentlich zu machen, immer wieder, in immer neuen Anläufen. Wirklich: ein Dissident, von Grund auf - ein Grund, der in ihm lag. Wie etwas Genetisches. Ausstrahlend in polnische und tschechische Dissidentenkreise.

Ein Unverstandener wohl auch: einmal Bürgerrechtler, immer Bürgerrechtler - wo man doch ursprünglich Dichter ist. Vielleicht liegt darin der entscheidende Wert dieses Buches, das Porträt wie Essay, Schilderung wie Analyse liefert: Dem Werk des Schriftstellers widerfährt in Texten, die zwischen 1982 und 2012 entstanden, eine würdigende, wertende Gerechtigkeit, denn er ist «unter den berühmten und von vielen verehrten doch einer der unbekanntesten Autoren dieser Republik» (Lutz Rathenow). Dem möge wahrlich abgeholfen werden.

Fuchs war einer, so erzählen im Buch die Freunde, den der Widerstand nicht aufzehrte, sondern aufbaute. Es gelang in seinen Kreisen (und muss immer gelingen!), «Menschenrechte libidinös zu besetzen». Was einst war - es ist eine Erinnerung für die Zukunft: «Solche Haltung werden wir noch dringend brauchen.»

Ernest Kuczyński (Hrsg.): Im Dialog mit der Wirklichkeit. Annäherungen an Leben und Werk von Jürgen Fuchs. Mitteldeutscher Verlag. 512 S., zahlr. Fotos, br., 19,95 €. Buchvorstellung an diesem Montag, ab 19 Uhr, bei der «Heinrich-Böll-Stiftung, Schumannstraße 8, 10117 Berlin, mit György Dalos, Roland Jahn, Lilo Fuchs, Salli Sallmann u.a.

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