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Von Kopf bis Fuß auf Bildung eingestellt

Acht Themen, die im Landtagswahlkampf eine Rolle spielen – oder keine Rolle spielen, obwohl sie es müssten.

Bildung

Die Bildungspolitik war in den bisherigen Landtagswahlkämpfen oft ein wichtiges Thema. 2004 bestimmten die Hartz-IV-Proteste den Wahlkampf, gleich danach rangierte schon die Auseinandersetzung um die Beteiligung der Eltern an den Schulbuskosten. Auch um Schulschließungen ging es in der Vergangenheit. Diesmal ist Bildung das Wahlkampfthema Nummer eins, doch mit anderen Aspekten als in früheren Jahren.

Viele Lehrer treten gegenwärtig in den Ruhestand. Bei der Neueinstellung erreichte Brandenburg deshalb für das laufende Schuljahr die Rekordzahl von knapp 900. Wegen der immer noch zahlreichen älteren Kollegen gibt es aber einen hohen Krankenstand. Deswegen sind im vergangenen Schuljahr 243 200 Unterrichtsstunden ersatzlos ausgefallen. Das sind 1,9 Prozent aller Schulstunden. Tausende Schüler bekamen in einzelnen Fächern keine Halbjahresnote. Unter den 16 Bundesländern landete Brandenburg im umstrittenen Bildungsmonitor der neoliberalen Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft auf Rang 14. Die Opposition wirft der rot-roten Koalition und insbesondere Bildungsministerin Martina Münch (SPD) deshalb Versagen vor. Auch Anlaufschwierigkeiten bei der Inklusion, dem gemeinsamen Lernen behinderter und nicht behinderter Schüler, werden der Ministerin angekreidet.

Die CDU fordert 1000 zusätzliche Lehrer, also mindestens einen für jede der rund 800 Schulen in Brandenburg. Die SPD verspricht 800 zusätzliche Lehrer, unter anderem auch, um die Zahl der ersatzlos ausgefallenen Stunden erheblich zu reduzieren. Sozialminister Günter Baaske (SPD) verwies kürzlich bei einem Wählerforum darauf, dass sich das Land in den anerkannten Vergleichen zur Bildungsqualität verbessert habe. Er legte dar, dass sich Rot-Rot bei der Neueinstellung von Pädagogen daran orientierte, dass die Lehrer-Schüler-Relation bei 1 zu 15,4 gehalten werde. Finanzminister Christian Görke (LINKE) habe nach Durchsicht der Zahlen jüngst in einer Kabinettssitzung gewettet, dass sich die Relation wohl auf 1 zu 14,6 verbessert habe, erzählte Baaske. Grünen-Fraktionschef Axel Vogel beharrte darauf, dass Brandenburg dennoch unter dem Strich heute weniger Lehrer als vor fünf Jahren beschäftige. Dies sei im Haushalt nachlesbar.

Da die Schülerzahlen gegenwärtig relativ stabil sind, gibt es keine Diskussionen über Schulschließungen. In einigen Jahren droht jedoch durch den Geburtenknick nach der Wende eine zweite Schließungswelle. Dann werden die Kinder fehlen, die nicht geboren worden sind, weil bereits ihre möglichen Eltern nach der Wende nicht zur Welt gekommen sind. Dies gefährdet Schulen auf dem Lande, während der Berliner Speckgürtel vom Zuzug junger Familien profitiert. Die LINKE möchte Schulstandorte durch die Einführung von Gemeinschaftsschulen retten, in denen alle gemeinsam lernen. Bei den Ostdeutschen ist dies ein aus der DDR bekanntes Herangehen, das sie akzeptieren. Bildungsexperten versprechen sich von Gemeinschaftsschulen auch eine Anhebung des Leistungsniveaus aller Schüler. In dem von Zuzüglern aus Westberlin und Westdeutschland dominierten Berliner Umland fürchten bürgerliche Milieus aber um den Elitecharakter der ihnen vertrauten Gymnasien. Aus Angst, in diesen Kreisen Stimmen an die CDU zu verlieren, kneift die SPD. Sie verspricht: »Die Gymnasien werden nicht abgeschafft.«

Großflughafen

Finanzminister Christian Görke (LINKE) besuchte im Landtagswahlkampf medienwirksam die Abteilung der Flughafengesellschaft, die für den Schallschutz rund um den künftigen Hauptstadtairport BER zuständig ist. Er machte Druck, weil es hier peinliche Rückstände gibt. Da alle fünf großen Parteien einen Anteil an dem Flughafendesaster haben – jede von ihnen trug einmal im Bund, in Berlin oder in Brandenburg Verantwortung, seit der Standort Schönefeld 1996 wider jede Vernunft festgelegt wurde – kann keine dieser Parteien so richtig auf dem Versagen der anderen herumreiten. Nur für die Freien Wähler scheint der Flughafen das wichtigste Thema zu sein. Sie haben den aus der SPD-Fraktion ausgetretenen Flughafengegner Christoph Schulze zu ihrem Spitzenkandidaten gemacht.

Arbeitsmarkt

Die Arbeitslosigkeit, zwei Jahrzehnte lang wie überall in Ostdeutschland das drängendste Problem in Brandenburg, wurde von der Bildung und anderen Themen des Landtagswahlkampfes überholt. Die historisch niedrige Erwerbslosenquote von 9,0 Prozent dient höchstens noch dazu, je nach Interessenlage die Arbeit der rot-roten Landesregierung beziehungsweise der CDU im Bund herauszustreichen. Tatsächlich sorgten der demografische Wandel und die Konjunktur für die spürbare Besserung. Aus dem Thema Billiglöhne ist durch die Ankündigung einer gesetzlichen Lohnuntergrenze die Luft raus, obwohl die bisher verheißene Untergrenze viel zu niedrig ist. Ein Problem bleiben die vielen älteren Langzeitarbeitslosen. Insbesondere für diese möchte die LINKE einen Neuanlauf für einen öffentlich geförderten Beschäftigungssektor.

Kommunalreform

Eine Kommunalreform, zu der auch eine Kreis- und eine Gemeindegebietsreform gehören müssten, wird von den Parteien wohlweislich aus dem Wahlkampf ausgeblendet. Zwar halten Verwaltungsexperten Veränderungen angesichts der unterschiedlichen Entwicklung im Berliner Umland und in den übrigen Regionen des Landes für dringend erforderlich und eine Enquetekommission des Landtags unter Leitung des Abgeordneten Stefan Ludwig (LINKE) beschäftigte sich auch intensiv mit Reformvorschlägen. Doch damit ist kein Blumentopf zu gewinnen. Das zeigt auch die Begeisterung für alte Autokennzeichen, die auf der kleinteiligeren Kreisstruktur vor dem Jahr 1993 beruhen. Deswegen liegen alle Vorschläge der Enquetekommission mindestens bis zum Wahltermin 14. September auf Eis. Deswegen kann die oppositionelle CDU nicht damit punkten, dass sie Gebietsreformen ablehnt. Vor der Wahl 2009 hatte die LINKE mit Skepsis gegenüber Gebietsreformen gepunktet.

Kriminalität

Die Zahl der Gewaltstraftaten ist gesunken. Die Gefahr, als Rentner auf offener Straße überfallen zu werden, ist so gering wie lange nicht mehr. Sprunghaft zugenommen haben jedoch Wohnungseinbrüche im Berliner Speckgürtel sowie Auto- und Fahrraddiebstähle an der polnischen Grenze, wo internationale Banden agieren. Die CDU schimpft und verlangt, den aus Kostengründen verfügten Personalabbau bei der Polizei zu beschränken. Von den jetzt noch 8200 Stellen sollen wenigstens 8000 übrig bleiben. Einst war die Zahl 7000 angepeilt. Innenminister Ralf Holzschuher (SPD) korrigierte den Wert aber mittlerweile schon auf 7800. Außerdem wurden Einsatzhundertschaften an die Grenze verlegt und jüngst je zwei zusätzliche Streifenwagen in die Städte Frankfurt (Oder), Eisenhüttenstadt, Guben und Forst beordert.
Derweil hetzt die neofaschistische NPD in Coschen gegen den Bau einer Brücke über die Neiße nach Polen. Sie bezeichnet das Bauwerk als »Kriminalitätsbrücke«, zeigt dazu ein Auto mit gestohlenen Rädern. af

Massentierhaltung

An der Schweinemast in Haßleben (Uckermark) und an der Hähnchenfabrik in Steinhöfel (Oder-Spree) scheiden sich die Geister. Die einen erhoffen sich Arbeitsplätze, die anderen fürchten um das Wohl der Tiere. Die SPD bekennt sich offen dazu, dass auch die konventionelle Agrarwirtschaft samt industrieller Tierproduktion ihre Berechtigung habe. Die Grünen träumen von einer kleinbäuerlich geprägten Ökobauernschaft. Die LINKE setzt sich dafür ein, das Tierhaltung nur in regional verträglichem Ausmaß, dem Tierschutz gemäß und an Flächen gebunden stattfindet. Eine Demonstration »Wir haben es satt: Massentierhaltung abwählen« zählte vor einer Woche in Potsdam 3000 Teilnehmer.

Soziales

Altersarmut, Altenpflege und Gesundheitsversorgung werden angesichts eines zunehmenden Anteils von Senioren an der brandenburgischen Bevölkerung zu brennenden Fragen. Sozialminister Günter Baaske (SPD) und Gesundheitsministerin Anita Tack (LINKE) haben sich Problemen wie dem drohenden Mangel an Altenpflegern und Landärzten zugewandt. Die LINKE plakatiert stolz, dass alle Krankenhausstandorte im Bundesland erhalten werden konnten. Die Krankenhausplanung wurde dahingehend geändert, dass mehr Betten für die Geriatrie zur Verfügung stehen. Richtig Fahrt nimmt das Thema im Wahlkampf jedoch nicht auf. Denn allen Beteiligten ist klar, dass die entscheidenden Weichenstellungen betreffend Altersarmut und Gesundheitspolitik auf Bundesebene erfolgen müssen.

Energiepolitik

Aufsehen erregte, dass die rot-rote Landesregierung den Weg für den Tagebau Welzow-Süd II ebnete, obwohl die LINKE eigentlich für den Ausstieg aus der Braunkohleverstromung bis zum Jahr 2040 plädiert. Das erregte jedoch eher die Umweltorganisation Greenpeace und die Teilnehmer des Klimacamps im von der Braunkohle bedrohten Lausitzdorf Kerkwitz. Die in Brandenburg vergleichsweise schwachen Grünen können daraus offenbar nicht viel Vorteil ziehen, obwohl sie dies versuchen. SPD und CDU stehen zur Braunkohle. Deshalb gibt es im Wahlkampf der großen Parteien höchstens mal die kritische Anmerkung, dass die Strompreise in Brandenburg vergleichsweise hoch sind. Die LINKE weist die Kritik der CDU zurück, dass Wirtschaftsminister Ralf Christoffers (LINKE) dafür verantwortlich sei.
Auch der Unmut über geplante Windräder in Wäldern, etwa am Liepnitzsee (Barnim) und bei Borkwalde (Potsdam-Mittelmark), wird von Bürgerinitiativen und Anwohnern artikuliert, nicht von den Parteien. Da gibt es beispielsweise die Furcht vor brennenden Einzelteilen, die weit fliegen und in die Hausdächer einschlagen könnten.

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