Der lange Weg in eine Bleibe

Wie ein Koblenzer Arbeitskreis versucht, Obdachlosen zu einer Wohnung zu verhelfen

  • Christian Schultz, Koblenz
  • Lesedauer: 3 Min.
Wohnraum ist vielerorts knapp, die Mieten steigen. Sozial Schwache bleiben häufig auf der Strecke - vor allem Obdachlose haben es schwer. Ein Koblenzer Arbeitskreis sucht das Gespräch mit Vermietern.

Vor einiger Zeit hatte Matthias (*) einen neuen Job bei einer Koblenzer Spedition so gut wie in der Tasche. Der Personalchef hielt ihm einen Vertrag hin, bezeichnete den Kraftfahrer als »Sechser im Lotto«. Als er dann aber als Wohnadresse »Neustadt 20, Koblenz« eintrug, verdunkelte sich die Miene des Gegenüber. »Er hat mich gefragt, ob das nicht die Adresse ist, wo diese Penner leben«, erzählt Matthias, der Anfang 40 ist. Er habe ihm dann gesagt, dass dort Obdachlose in einem Caritas-Haus wohnten und auch er einer dieser sogenannten Penner sei. »Dann hat er den Vertrag vor meinen Augen zerrissen. Das hat mich fast völlig aus der Bahn geworfen.«

Es arbeitet kräftig ihn Matthias, wenn er erzählt. Mittlerweile hat er sich wieder aus dem Loch herausgekämpft, fährt Essen auf Rädern aus, und lebt dank eines trägerübergreifenden Koblenzer Projekts von Caritas, Arbeiterwohlfahrt und der Wohnungslosenhilfe »Die Schachtel« in einer Wohngemeinschaft.

Ohne Arbeit ist für Obdachlose der Weg aus der finanziellen Misere kaum machbar. Doch ohne Bleibe findet sich nur schwer ein Job, und die ständig weiter steigenden Mietpreise in vielen Städten verschärfen die Lage - auch in Koblenz. Vermieter können ihre Mieter aus einer Vielzahl von Bewerbern auswählen.

Entsprechend schwer ist die Situation für Menschen, die auf der Straße gelandet sind, sagt Markus Fröhlich von der Koblenzer Caritas. »Wenn Menschen das Stigma ›obdachlos‹ haben, haben sie ein Problem, Wohnraum zu finden.« Aus dem Grund startete in Koblenz 2010 das Kooperationsprojekt »Arbeitskreis Menschen ohne Wohnung« - unter Mithilfe des ehemaligen Geschäftsführers von Lotto Rheinland-Pfalz, Hans-Peter Schössler, wie Fröhlich betont. Der Kreis versucht, Wohnraumbesitzer zu überzeugen, Apartments an Menschen in Not zu vermieten. »Wir machen Werbung bei Vermietern«, sagt Fröhlich. »Wir machen klar, dass solche Menschen obdachlos, aber vernünftig sind - sie haben nur ein finanzielles Problem.« Ganz einfach ist das nicht, wie Ganna Lück von der Koblenzer Arbeiterwohlfahrt weiß. »Viele private Vermieter haben Angst vor solchen Menschen. Wir sagen ihnen: Machen Sie sich keine Gedanken, Sie bekommen ihre Miete.« Den Betroffenen hilft der Arbeitskreis bei der Suche nach Möbeln, bei der Anmeldung von Strom und Gas, auch wöchentliche Besuche gehören dazu. »Wir bleiben Ansprechpartner für die Vermieter«, sagt Dirk Pützfeld vom Verein »Die Schachtel«. Menschen, die jahrelang auf der Straße gelebt hätten, müssten sich erst wieder in Wohngemeinschaften eingliedern.

Insgesamt hat der Arbeitskreis schon mehr als 20 Menschen ein neues Zuhause verschafft - meist bei privaten Vermietern. Alle wohnen noch dort. Finanziell gefördert wird das Projekt von der Stiftung Lotto Rheinland-Pfalz, der Koblenzer Wohnbau, der Stadt, der Energieversorgung Mittelrhein sowie der Sparkasse. Bislang kamen laut Fröhlich knapp 95 000 Euro zusammen. Allein in Koblenz gebe es rund 180 bekannte Obdachlose, die Dunkelziffer sei viel höher, sagt Pützfeld. Fröhlich ergänzt mit Blick auf die steigenden Mieten: »Die Lage wird immer schlimmer.« Laut der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe gab es 2010 in Deutschland geschätzt 248 000 Obdachlose, bis 2012 stieg die Zahl auf 284 000. Bis 2016 wird mit 380 000 gerechnet.

Angesichts dessen gibt sich Fröhlich von der Caritas keiner Illusion hin. »Alle Probleme können wir mit dem Modell nicht lösen.« Bestätigung gäben aber kleine Erfolge, wie der Fall einer 26-Jährigen, die von ihrem Vater geschlagen wurde und auf der Straße sowie in Übernachtungsheimen landete. »Es war schrecklich«, sagt sie selbst. Mittlerweile wohnt sie dank des Arbeitskreises in einer Wohnung im Stadtteil Moselweiß. »Seitdem fühle ich mich wieder frei«, sagt sie. dpa/nd

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