Taxiunternehmer umfahren Mindestlohn

In Leipzig gründeten Freunde und Verwandte von Taxiunternehmern eine Pseudo-Gewerkschaft - um bessere Arbeitsbedingungen zu behindern, sagen Kritiker

  • Robert Schmidt, Leipzig
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Taxibranche ist nervös. Mit allen Mitteln versuchen Unternehmer, höhere Löhne und Arbeitsstandards zu verhindern. Es dürfte ihnen nichts nützen. Ab 2015 gilt eine Lohnuntergrenze von 8,50 Euro.

Auf rund 6,50 Euro pro Stunde kommt jeder der 200 000 deutschen Taxifahrer im Schnitt. Das hat der Deutsche Taxi- und Mietwagenverband BZP berechnet, der dem bundesweit einheitlichen Mindestlohn von 8,50 Euro ein »Bedrohungspotenzial« zuschreibt. 50 000 Job könnte das kosten, warnt der Arbeitgeberverband. 35 000 Taxiunternehmen gibt es in Deutschland, kaum ein Taxifahrer ist gewerkschaftlich organisiert. Entsprechend schwierig gestalteten sich die Verhandlungen zwischen ver.di und BZP über einen ersten bundesweiten Tarifvertrag, der von 2015 bis 2017 gelten sollte. Bis dahin lässt der Gesetzgeber Ausnahmen vom Mindestlohn zu, sofern sie tarifvertraglich geregelt sind. Die Verhandlungen scheiterten jedoch bereits am ersten Verhandlungstag. Am Sonntag erklärte ver.di die Verhandlungen für beendet.

Die Branche ist nervös. Im Streit um den Übergangstarifvertrag griffen Leipziger Taxiunternehmer unlängst zu einem ungewöhnlichen Mittel. Sie beschäftigten Verwandte und Bekannte in ihrem Unternehmen und ließen sie eine falsche Gewerkschaft gründen: die »Gewerkschaft der Taxi- und Mietwagenfahrer Mitteldeutschland« (TMF).

Leipziger Taxifahrer konnten über die neue Gewerkschaft nur den Kopf schütteln. Einer von ihnen, der aus Angst vor dem Verlust seines Arbeitsplatzes nicht namentlich genannt werden möchte, erklärte gegenüber »nd«, »von dieser Pseudogewerkschaft« erst durch die Zeitung erfahren zu haben. Nirgendwo habe man auf die angebliche Gewerkschaft aufmerksam gemacht, es habe keine einzige Betriebsversammlung gegeben und keinen Aufruf, sich zu beteiligen, sagt der Endfünfziger. Er kennt die drei betroffenen Unternehmen ziemlich gut, schließlich ist die Landschaft der Taxiunternehmen überschaubar: »Autoservice Zausch hat den Sohn an die Spitze der Gewerkschaft gesetzt, bei Top Taxi sind es Sohn und Tochter, bei der dritten der Ehepartner.« Insgesamt haben die drei Leipziger Taxiunternehmer so mehr als 100 Angestellte für ihre »Gewerkschaft« gefunden.

Ver.di bezeichnete die Neugründung von oben als einen im »Unternehmerinteresse handelnden Familienverband«, der die Einführung des Mindestlohns aushebeln wolle. Ziel der Unternehmer sei, »die bisherigen prekären Arbeitsbedingungen beizubehalten und dazu quasi mit sich selbst Tarifverträge abzuschließen.«

Der Sprecher der umstrittenen »Gewerkschaft«, Philipp Zausch, sagte gegenüber »nd«, man wolle einzig den »Erhalt der bestehenden Arbeitsplätze« erreichen. Kritik an der Neugründung kann er nicht nachvollziehen. Offenbar wolle man seine Gewerkschaft »in Misskredit bringen«. Dabei kam die Kritik von allen Seiten, nicht nur von ver.di, sondern auch von anderen Taxiunternehmern der Stadt.

Gegen einen Tarifvertrag hätte der Leipziger Taxifahrer und TMF-Kritiker nichts einzuwenden gehabt - wenn die Bedingungen stimmen. Viele Fahrer seien nur auf Provisionsbasis beschäftigt und kämen gerade auf 1000 Euro Brutto im Monat, erzählt er. Dafür fahren sie im Schnitt zehn Stunden am Tag, Nacht- und Überstunden werden schon lange nicht mehr extra bezahlt, auch beim Urlaubsgeld werde getrickst. »Es muss endlich aufhören, dass Menschen, die Vollzeit arbeiten, zum Amt rennen müssen«, schimpft der Fahrer. Der Unternehmer dagegen hole sich seinen Gewinn vom Steuerzahler.

Aus Sicht von ver.di haben die Bedingungen nicht gestimmt: »Die Arbeitgeber wollten schlechte Arbeitsbedingungen tarifvertraglich festschreiben und gleichzeitig an Löhnen deutlich unter 8,50 Euro pro Stunde festhalten«, begründete ver.di-Vorstandsmitglied Christine Behle den frühen Abbruch der Verhandlungen. Dann lieber keinen Tarifvertrag, sagte man sich. Ab 2015 wird nun statt der Übergangsregelung, mit der die Arbeitgeber die Einführung des allgemeinen Mindestlohns bis 2017 hinauszögern wollten, eine einheitliche Lohnuntergrenze von 8,50 Euro in der Taxibranche gelten.

Die Branche steht vor mehreren Umbrüchen. Neben dem Mindestlohn könnten auch alternative Fahrdienste wie Uber die Branche verändern. Uber betreibt eine Smartphone-App, über die verschiedene Fahr- und Chauffeurdienste angeboten werden, auch von privaten Fahrern. Das Taxigewerbe beklagt, die angeheuerten privaten Fahrer hätten keine Genehmigung nach dem Personenbeförderungsgesetz und erfüllten auch sonst nicht die hohen, teils teuren Auflagen. Derzeit wird der Streit vor Gericht ausgefochten. Neben Uber stehen aber bereits weitere Taxikonkurrenten in den Startlöchern. Mit Agenturen

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