Trinken für die Aufklärung

Netzwerk »NSU-Watch« sucht in einer Kreuzberger Bar Kontakt zu Migranten

  • Paul Liszt
  • Lesedauer: 3 Min.
Der Eingang zum »Möbel Olfe« liegt etwas versteckt am Kottbusser Tor. Das Recherchenetzwerk »NSU-Watch« stellt sich auf einem Soli-Abend in der Bar »Möbel Olfe« vor und sammelt so Spenden für seine Arbeit.

Der Eingang zum »Möbel Olfe« liegt etwas versteckt am Kottbusser Tor im Herzen vom Kreuzberger Szeneviertel. Die Bar ist an diesem Abend gut gefüllt. Immer am ersten Montag im Monat stellen die Betreiber ihre Lokalität politischen oder sozialen Projekten zur Verfügung, um sich vorzustellen und Spenden für ihre Arbeit zu sammeln. Die Initiativen gestalten nach einer Einweisung den Abend selbst und stehen auch hinter der Theke. Dafür winken zusätzlich zu den gesammelten Spenden die mit den verkauften Getränken erwirtschafteten Gewinne. Alles was die Projekte dafür tun müssen, ist eine E-Mail an das »Möbel Olfe« zu schicken.

An diesem Montag war das mehrfach ausgezeichnete Recherchenetzwerk »NSU-Watch« an der Reihe. »NSU-Watch« ist ein Zusammenschluss von antifaschistischen und antirassistischen Gruppen, Zeitungsprojekten und Archiven. Koordiniert wird die Arbeit aus Berlin von Felix Hansen. Hansen arbeitet dort für das Antifaschistische Pressearchiv und Bildungszentrum (Apabiz). Regelmäßig treffen sich die Netzwerkpartner, die über das ganze Bundesgebiet verstreut sind, um ihre weitere Arbeit zu planen und abzustimmen. Diese ist nicht in erster Linie auf die tagesaktuelle Presseberichterstattung ausgerichtet, sondern soll der Öffentlichkeit eine langfristige Auseinandersetzung mit dem Prozess »auch noch in zehn oder zwanzig Jahren« ermöglichen, erklärt Projektkoordinator Hansen. Die größten Ressourcen des Projekts fließen im Moment in die Beobachtung und Dokumentation der Verhandlung vor dem Münchener Oberlandesgericht gegen die dort angeklagten mutmaßlichen Mitglieder und Unterstützer des »Nationalsozialistischen Untergrund«. »NSU-Watch« veröffentlicht im Anschluss an jeden Verhandlungstag ein ausführliches Protokoll des Prozessgeschehens. Die Mitschriften der Prozessbeobachter im Saal sind dabei die einzige Informationsquelle. Diese werden in enger Abstimmung mit den Protokollanten, in Berlin redaktionell bearbeitet und auf den Blog des Projekts gestellt, erläutert Hansen den Ablauf.

Unterdessen haben sich in verschiedenen Nischen des schlauchförmigen Raums lebhafte Gesprächsrunden gebildet. Elektronisch unterlegte Pop-Beats wabern im Hintergrund. Das Bier fließt in Strömen. Wer das ausgelegte Informationsmaterial am Eingang nicht gesehen hat, merkt aber spätestens an den zweisprachigen Bannern an der Wand und am Tresen, dass er nicht bei einem ganz gewöhnlichen Kneipenabend gelandet ist. Mit Hilfe von Dolmetschern sollen die Informationen von »NSU-Watch« auch der türkische Community zugänglich gemacht werden, aus der acht der zehn Opfer der rechtsextremen Mordserie stammen. »Aufklären und Einmischen« lautet das ausgegebene Ziel vom »NSU-Watch«. Denn das Netzwerk recherchiert auch über den Prozess hinaus. Die Ergebnisse werden von den Mitgliedern publiziert. Teil von »NSU-Watch« sind etwa die Fachzeitschriften »Antifaschistisches Infoblatt« und »Lotta«. »Der Rechte Rand« widmet in seiner aktuellen Jubiläumsausgabe der Rolle der V-Leute von Verfassungsschutzbehörden und Landeskriminalämtern im NSU-Komplex einen Schwerpunkt.

Eine wichtige Aufgabe der Arbeit sieht Koordinator Felix Hansen außerdem in der Unterstützung der Nebenklagevertreter mit Informationen und Einschätzungen. Ob und inwieweit sich die langwierige Arbeit von »NSU-Watch« auszahlen wird, wird sich zeigen. Man werde in jedem Fall auch nach dem Ende des Prozesses »an dem Thema dranbleiben«, verspricht Hansen. Ob er und seine Kollegen jemals alle offenen Fragen zu den Morden des NSU restlos beantwortet werden können, sieht er jedoch »skeptisch«. Hansen verweist auf die abflauende mediale Aufmerksamkeit und die Platzierungen von jüngsten Enthüllungen im NSU-Komplex in den Randspalten großer Medien.

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