Bauernhof mit Großfamilienanschluss

Warum eine kleine Thüringer Agrargenossenschaft sehr viel Geld in ein Mehrgenerationen-Projekt investiert - ein Besuch in Seubtendorf

  • Harald Lachmann
  • Lesedauer: 4 Min.
Um den größten Bauernhof im Dorf nicht zu verlieren, brachte man im thüringischen Seubtendorf ein beispielhaftes Mehrgenerationen-Projekt auf die Beine. Vorerst rechnet es sich allerdings noch nicht.

Fast ihr ganzes Leben verbrachte Christa Hardt in Berlin. Sie hatte U-Bahn, Tram und Busanschluss. »Nur keinen richtigen Anschluss«, gesteht sie. »Den fand ich erst hier!«, sagt die 78-jährige. Allerdings musste sie dazu im Frühjahr einen Kulturschock riskierte: Sie verließ die Metropole und zog auf einen alten Bauernhof im 190-Seelen-Ort Seubtendorf im Osten Thüringens. Hier leben nicht nur ihre Schwester und eine Nichte - in deren kräftig aufgefrischten Gehöft erfährt die einstige Gießkernformerin überhaupt erst wieder Leben, wie sie es kaum noch gekannt hatte. Obwohl in den zehn Wohnungen, die bis Ostern auf dem Hof entstanden waren, inzwischen vier Generationen zu Hause sind, kann Christa Hardt nur schwärmen: »Das Beste sind die Ruhe hier und dass sich alle verstehen - vom ersten Tag an.«

Es ist in der Tat eine bunte Truppe: Das Spektrum reicht vom pensionierten Beamten über die alleinerziehende Melkerin bis zu Jürgen Günther, einem Maurer, der zuvor in einer Einrichtung für betreutes Wohnen lebte und sich nun gern noch etwas auf dem Hof nützlich macht. Auch er versichert: »Jeder kann hier mit jedem gut!« Und wenn sich jemand bis Mittag noch nicht blicken lasse, werde schon mal fürsorglich an der Tür geklopft. Fraglos eine glückliche Fügung auch für den Vermieter, der in diesem Fall eine Agrargenossenschaft ist - der Rinderhof in Seubtendorf. Er hatte den ältesten Bauernhof des Dorfes aufwendig saniert, an seine Biogasanlage angeschlossen sowie so umgebaut, dass zehn schicke und zumeist altersgerechte Wohnungen entstanden. Planerische Assistenz leistete die Diakoniestiftung Weimar-Bad Lobenstein.

Entstanden ist ein Hof mit nach wie vor viel bäuerlichem Charme, in dem jeder sein abgeschlossenes Refugium hat und der nirgends an ein Altenheim erinnert. Selbst ein urgemütliches Café im einstigen Kuhstall sowie jüngst noch ein kleiner Sportraum kamen hinzu. »Auf Wunsch der Bewohner«, sagt Annette Roth, eine warmherzige frühere Arzthelferin, die wohl die eigentliche Attraktion dieses Mehrgenerationenhofes bildet.

Denn der Agrarbetrieb hat sie extra hierfür eingestellt, eigentlich als Hausmeisterin - doch dies trifft es nicht annähernd. Eher ist sie Alltagsmanagerin: Sie organisiert auch Einkäufe, schaut nach dem Befinden, wenn sich jemand krank fühlt, kümmert sich um Arzt- wie um Friseurtermine, räumt auch mal das Spielzeug der Jüngsten weg und agiert zugleich ein wenig als Brücke zum Dorf. Denn im Hofcafé treffen sich auch die Landfrauen der Region, finden Arztvorträge statt oder verabreden sich andere Seubtendorfer zu Festen und Feiern. Das Mobiliar stammt aus einem früheren Dorfgasthof.

Wozu nun aber der ganze Aufwand für einen Agrarbetrieb, der sich den Umbau immerhin gut eine Dreiviertelmillion kosten ließ? Nun, am Anfang standen wohl vor allem jene 31 Hektar Land, die zum Sippel-Hof dazugehören. Denn diese Fläche hat die Rinderhof Agrar eG in Pacht, bewirtschaftet sie einträglich. Immerhin gibt der Rinderhof 40 Mitarbeitern Lohn und Brot, bildet Lehrlinge aus. Also war Handeln geboten, als Sippel-Hof samt Acker plötzlich zum Verkauf stand und die akute Gefahr drohte, dass den Zuschlag jemand erhalten könnte, dem es nicht um das Dorf und seine Geschicke geht. »Zudem waren auch die letzten Bewohner Erika und Friedhold Sippel lange Genossenschaftsbauern in Seubtendorf gewesen«, so Rinderhof-Chef Bernd Prager. Auch wären sie als Agrarbetrieb »doch irgendwie auch verpflichtet, die dörflichen Traditionen zu wahren und den Alltag lebenswert zu halten«. Gerade in einer Region, die demografisch langsam ausdünnt, sieht er das durchaus als eine strategische Aufgabe für seinen Betrieb als einen der größten Arbeitgeber weit und breit.

Darüber wie das Anwesen zu nutzen wäre, brüteten die Landwirte allerdings eine ganze Weile. Dass es »etwas Soziales« sein sollte, wie es Pragers Geschäftsführer-Kollege Helmut Oswald nennt, lag irgendwie auf der Hand. Denn früher beherbergte Seubtendorf bereits eine Behinderteneinrichtung der Universität Halle. »Aber rein durch eine strenge betriebswirtschaftliche Brille betrachtet, hätten wir es nie machen dürfen«, räumt Christel Austen ein, in der Geschäftsleitung für Immobilien zuständig. Denn nicht einmal staatliche Zuschüsse gab es für das Vorhaben, weil halt gerade keine geeigneten EU-Fördertöpfe bereit standen. So rechne sich alles vorerst auch noch nicht recht. Dennoch ist sie sicher: »Uns ist etwas richtig Gutes gelungen.«

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