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Bessere Betreuung, schnellere Verfahren

Nordrhein-Westfalen: Politiker und Vertreter der Zivilgesellschaft trafen sich zum Flüchtlingsgipfel

  • Marcus Meier
  • Lesedauer: 3 Min.
Nordrhein-Westfalen richtet seine Flüchtlingspolitik neu aus, investiert knapp 50 Millionen für bessere Integration. Eine dauerhafte Verbesserung sei noch nicht in Sicht, kritisiert der Flüchtlingsrat.

Der Mann, auf den nicht zuletzt Medien in den vergangenen Wochen mit Schlagzeilen eindroschen, stand am Rande. Ralf Jäger schwieg und wurde beschwiegen. Der NRW-Innenminister spielte nur eine Statistenrolle, als statt seiner gleich acht Personen am Montagabend in der Messe Essen Ergebnisse des nordrhein-westfälischen Flüchtlingsgipfels lobten.

NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) und ihre grüne Stellvertreterin Sylvia Löhrmann stellten die auf dem Arbeitstreffen von 40 Vertretern aus Politik, Wohlfahrtsverbänden und Kirchen getroffenen Absprachen vor. Das einwohnerreichste Bundesland plant demgemäß nicht weniger als einen Paradigmenwechsel in seiner Flüchtlingspolitik.

Von einer »Willkommenskultur« war da in der Lobby der Essener Messe mehrfach die Rede, und von Chancen, die auch diese Form der Zuwanderung mit sich bringe. Kraft sagte, sie wolle die Situation aus Sicht der Flüchtlinge wahrnehmen. Die wichtigste Botschaft des Abends sei, dass alle an einem Strang zögen, um die »große humanitäre Herausforderung« zu schultern. Nötig sei dafür ein »breites Bündnis für Flüchtlinge«.

Insgesamt nimmt das Land rund 46 weitere Millionen Euro in die Hand, um die Situation der Schutzsuchenden zu verbessern, wobei die Gegenfinanzierung allerdings noch unklar ist. Der Betrag wurde von einigen Gipfelteilnehmern als überraschend hoch empfunden. Kraft soll ihn gegenüber CDU-Landeschef Armin Laschet gleichsam triumphierend präsentiert haben, nach dem Motto: »Das ist noch mehr Geld, als Sie fordern.«

Kraft übte gestern zudem Druck aus, damit der Bund Asylverfahren beschleunige, damit Flüchtlinge entweder integriert oder, das sagte sie nicht so deutlich, abgeschoben werden können. Der Bund sollte aus Sicht der Sozialdemokratin zudem die durch die Unterbringung von Flüchtlingen oft vor arge auch finanzielle Probleme gestellten Kommunen stärker unterstützen.

80 Prozent der aktuell in Nordrhein-Westfalen ankommenden Flüchtlinge seien gut qualifiziert und arbeitsfähig, betonte Kraft in Essen. Insbesondere gelte es, die Potenziale der Flüchtlinge besser zu entfalten, ergänzte die Grüne Löhrmann. Die Beschulung, Ausbildung und der Übergang in den Beruf müssten für junge Flüchtlinge sichergestellt werden, meinte die Grünen-Politikerin. Per Sonderprogramm soll die Integration in den Arbeitsmarkt beschleunigt werden.

Oppositionschef Laschet nickte freundlich und wirkte gebauchpinselt, zumal ein Teil seiner Vorschläge übernommen worden war. Die im Landtag vertretenen und in NRW eher linken Piraten begrüßten die »Neuausrichtung«, forderten jedoch, dass den Worten nun bald Taten folgen müssten.

»Einige Punkte weisen in die richtige Richtung, aber eine dauerhafte Verbesserung ist noch nicht in Sicht«, fasste Birgit Naujoks vom Flüchtlingsrat des westlichen Bundeslandes die Ergebnisse gegenüber »nd« zusammen. Insbesondere werde der Flüchtlingsrat darauf drängen, verbindliche Beschlüsse für bauliche und auf Betreuung bezogene Mindeststandards in Asyleinrichtungen festzuschreiben. Naujoks sprach sich zudem gegen den »Trend zum Großasyl« aus, der sich in Einrichtungen mit über 800 Plätzen niederschlage.

Der Gipfel war der Versuch, nach den Skandalen um Misshandlungen von Flüchtlingen in Erstaufnahmeeinrichtungen des Landes und in kommunalen Flüchtlingsheimen angemessene Reaktionen zu finden. Konkret wird Nordrhein-Westfalen künftig mehr Geld ausgeben für die Kontrolle der Gebäude durch eine personell aufgestockte Task Force, für die finanzielle Entlastung der Kommunen, eine verbesserte soziale und psychologische Betreuung der oft traumatisierten Flüchtlinge und einen medizinischen Härtefallfonds.

Auch will das Bundesland ein Bauprogramm für Flüchtlingsunterkünfte auflegen. In den 21 Einrichtungen des Landes wird künftig ein dezentrales Beschwerdemanagement etabliert, um etwaige Missstände früher zu erkennen. Unter dem Strich lässt sich NRW die Unterbringung und Betreuung Schutzsuchender im nächsten Jahr knapp 190 Millionen Euro kosten.

Die von Innenstaatssekretär Bernhard Nebe schon mehrfach propagierten »Einrichtungen Neuen Typs« - also mit mindestens 500 Plätzen - waren kein Thema bei den Beratungen in Essen. Doch bereits gebaute (darunter die skandalträchtige Ex-Kaserne in Burbach) oder geplante Einrichtungen folgen offensichtlich dieser Philosophie, die Bewohner, Anwohner und Betreuer vor arge Probleme stellt.

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