Werchowna Rada rückt nach Westen

USA rufen Ukrainer zur Parlamentswahl am Sonntag auf / Block des Präsidenten Poroschenko ist Favorit

  • Klaus Joachim Herrmann
  • Lesedauer: 5 Min.
Viele Unwägbarkeiten birgt der ukrainische Wahlgang. Der Westkurs wird mangels Alternativen aber in jedem Fall bestätigt.

Im eleganten Anzug und als Feldherr in Uniform präsentierte sich der ukrainische Präsident Petro Poroschenko in den vergangenen Wochen den knapp 37 Millionen Wahlberechtigten gern. Der Oberkommandierende besuchte sogar noch kurz vor dem Urnengang an diesem Sonntag die Dnjepropetrowsker Waffenschmiede Juschmasch. Aber auch als Staatsmann versuchte er in Gesprächen mit US-Präsident Barack Obama, seinem russischen Widersacher Wladimir Putin im Kreml und europäischen Spitzen wie Kanzlerin Angela Merkel, gute Figur zu machen.

Zuletzt gab Poroschenko den Landesvater. Als solcher bescherte er seinem Volk warme Stuben. Obwohl dies nicht seines Amtes ist, wies er den Beginn der Heizperiode an: »Nicht später als Freitag soll es in jedem ukrainischen Heim warm sein.«

Die gute Tat soll natürlich der gerade erst formierten präsidialen Partei »Block Poroschenko« bei der vorgezogen Neuwahl der Werchowna Rada ein paar Stimmen mehr bescheren. Wenn Winter und Gaskrise wieder für niedrigere Temperaturen und steigende Preise sorgen, bleiben die Mehrheiten doch erst einmal festgelegt. Für die Machtbasis dieses Politikers, der zuvor als Oligarch klingende Karriere machte, wird allgemein ein Sieg mit gut 30 Prozent Stimmanteil vorausgesagt.

Die infolge des Maidan-Umsturzes vom Februar und der ukrainischen Krise vorgezogene Wahl findet international größte Aufmerksamkeit. Das Außenamt der USA rief sogar fürsorglich, wenn nicht gar in einem bewussten Akt der Einmischung, alle 36,5 Millionen berechtigten Ukrainer, »auch jene auf der Krim, in Donezk und in Lugansk«, zur Teilnahme auf. Der Chef des russischen Präsidialstabes, Sergej Iwanow, versicherte hingegen nur trocken und diplomatisch sauber, der Kreml werde die Ergebnisse der Wahl anerkennen.

Dazu werden von 6 bis 18 Uhr MEZ 450 Abgeordnete der Werchowna Rada zu Hälften direkt und in einer Verhältniswahl nach Listenkandidaten der Parteien bestimmt. Allerdings sind nach einer Erhebung der »Demokratischen Initiative« nicht einmal die Hälfte der Wahlkreisbewerber den Abstimmenden bekannt.

Die Sorge um die warme Heizung der Bürger wäre somit nicht nur formell, sondern auch praktisch eine gute Sache für Premier Arseni Jazenjuk gewesen. Der aber schaltete etwas zu spät auf Volkswohl. Dabei hätte seine eigene neue Partei »Volksfront« Zuspruch nötig. Der liegt nach Umfragen bei unter zehn Prozent. Die Volksfrontler sollen und würden ja auch gern dem Präsidenten zur parlamentarischen Mehrheit verhelfen. Damit bliebe Jazenjuk, der ja einst direkt von Washingtons Beauftragter Victoria Nuland für das Amt des Premierministers gesetzt wurde, weiterhin erster Anwärter darauf. Die »Vaterlandspartei« seiner Vorgängerin Julia Timoschenko, von der sich Jazenjuk mit weiteren Spitzenleuten absetzte, dürfte etwas hinter ihm einkommen.

Auf dem zweiten Platz ist mit etwa zwölf Prozent die »Radikale Partei« von Oleg Ljaschko zu erwarten. Sie würde der rechtsextreme und ultranationalistische rechte Flügel im Parlament. »Swoboda« und »Rechter Sektor« müssen darauf weit unter der 5-Prozent-Hürde verzichten. Ihnen bleibt allerdings die - buchstäbliche - Schlagkraft der Milizen und der von ihren dominierten Nationalgarde.

Das Parlament wird, wenn angesichts all dessen der Präsidentenblock schon als gemäßigt gelten muss, in jedem Falle prowestlich, zumindest nationalistisch und allemal antirussisch geprägt sein. Die frühere und faktisch zerfallene Präsidenten-»Partei der Regionen« des gestürzten Viktor Janukowitsch nimmt an der Wahl nicht teil. Ihre Mitglieder flohen, viele wurden im Parlament und bei Wahlveranstaltungen aus der politischen Arena geprügelt. Wie auch die Kommunisten. Denen bleibt trotz Verbots- und Hochverratsdrohungen nahe der Sperrklausel eine Chance.

Übrig von den Regionalen und als Opposition tauglich wäre noch die einst als sozialdemokratisch entstandene Partei »Starke Ukraine«. Der trauen Beobachter einen Achtungserfolg nahe zehn Prozent zu. Spitzenkandidat ist der Politiker und Unternehmer Sergej Tigipko.

Oppositionelle - und russlandfreundliche - Parteien hätten allerdings im umkämpften Osten der Ukraine ihre Basis. Von den 5,2 Millionen Berechtigten können dort aber etwa zwei Millionen nicht zur Abstimmung gehen. Auf der an Russland angegliederten Halbinsel Krim sind es 1,8 Millionen. Die ukrainischen Flüchtlinge kommen zu 95 Prozent aus dem umkämpften Osten, deren Zahl wird vom UN-Flüchtlingswerk mit mehr als 824 000 angegeben. Eine offenbar mit Weitsicht bereits im Mai erledigte Gesetzesreform verhindert, dass die Wahl wegen zu niedriger Beteiligung für ungültig erklärt werden kann.

80 000 Einsatzkräfte sollen am Wahltag für Sicherheit sorgen. Doch gerade in den von Kiew kontrollierten Gebieten im Osten wächst die Angst vor Manipulation. »Wahlen vor den Mündungen der Maschinengewehre der Freiwilligenbataillone sind keine Wahlen«, zitierte die Zeitung »Segodnja« den Politologen Wadim Karassjow. Der Dnjepropetrowsker Gouverneur Igor Kolomoiski soll angewiesen haben, welche Kandidaten die Wahl gewinnen. Der Oligarch unterhält eigene Kampftruppen.

Ein gutes Dutzend Abgeordnete des Europaparlaments reiste Freitag zur Beobachtung der Wahl in die Ukraine. So auch der Bundestagsabgeordnete Andrej Hunko (LINKE) für den Europarat nach Odessa. Er sieht nach einem Vorbesuch die Wahlen unter keinem guten Stern. »Vor allem für einige oppositionelle Parteien war angesichts der gegen sie gerichteten politischen Gewalt kein normaler Wahlkampf möglich.«


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