Wirklich ein kleines Weltwunder

Das Rote Antiquariat präsentiert eine famose Ausstellung zu John Heartfields Buchgestaltung und Fotomontage

  • Werner Abel
  • Lesedauer: 4 Min.

»Wenn ich nicht Peter Panter wäre«, schrieb Kurt Tucholsky im Februar 1932 in der »Weltbühne«, »möchte ich ein Buchumschlag im Malik-Verlag sein. Dieser John Heartfield ist wirklich ein kleines Weltwunder. Was fällt ihm alles ein!« So ziemlich alles, was Heartfield eingefallen war, ist nun in einer Ausstellung des Roten Antiquariats und in dem dazugehörigen Katalog, ein veritables, schön gestaltetes und hoch informatives Buch, zu erleben.

Heartfield (1891-1968), der seinen bürgerlichen Namen Helmut Herzfeld aus Protest gegen den englandfeindlichen Nationalismus des deutschen Kaiserreiches anglisiert hatte, erfand die Fotomontage nicht, nutzte sie aber politisch mit einer solchen Perfektion und Aussagekraft wie keiner zuvor und danach; seine Werke sind unverwechselbar. Die Zusammenarbeit mit seinem Bruder Wieland Herzfelde, dem Verleger der Bücher, die Heartfield mit unikaten Umschlägen ausstattete, erwies sich als eine glückliche Symbiose. Die von den Heartfield-Brüdern gestalteten und edierten Bücher sind Legende und begehrte Sammelobjekte.

Das Kunstwerk erhielt der Leser im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit - um Walter Benjamin zu paraphrasieren - quasi kostenlos zum Buch. Dem Umschlag kam eine dreifache Funktion zu: Schutz, Werbung und Agitation. Die Montage entstand aus dem Augenblick heraus, war für den politischen Tageskampf gedacht. Weder Heartfield noch sein Bruder ahnten, dass sie Zeitloses schufen.

Ja, Tucholsky hat in seinem Staunen Recht: Was Heartfield nicht alles eingefallen ist!

Wie viele männliche Zeitgenossen, darunter Michail Kolzow, Ernst Busch und sein Bruder Wieland, war auch er fasziniert von den Katzenaugen der jungen, später als Journalistin bekannt gewordenen Maria Osten, die unter ihrem Geburtsnamen Maria Greßhöner eine Zeit lang im Verlag arbeitete. Er nutzte ein Porträt von ihr, das sie hinter einer vereisten Glasscheibe zeigt, leicht verfremdet, um Ilja Ehrenburgs Roman »Die Liebe der Jeanne Ney« zu illustrieren.

Heartfields Umschläge riefen oft die Justiz auf den Plan. Abträglich war das seinem Ruhm nicht, im Gegenteil: Letztlich hatte er die Lacher auf seiner Seite. So geschehen auch bei Upton Sinclairs Bericht »Das Geld schreibt«, in dem dieser die Abhängigkeit der US-amerikanischen Literatur kritisierte. Die Rückseite des Umschlags zeigt den damals sehr erfolgreichen, berühmten Schriftstellers Emil Ludwig mit Familie und Hund in seinem Haus im Tessin. Es ist unklar, welcher Teufel Heartfield geritten hatte, ausgerechnet das Konterfei von jenem, der allein schon als Jude von den Nazis und Konservativen gehasst wurde, zur Illustration des Sinclairs-Titels auszuwählen. Gleichwie, Ludwig klagte und Heartfield war gezwungen, die Gesichter der Familienmitglieder durch Ausstanzen verschwinden zu lassen. Aber auch der Kopf des Hundes verschwand, denn - so argumentierte Heartfield verschmitzt - man wisse nicht, ob der Vierbeiner nicht auch noch klagen würde.

Heartfield war ein Meister der Ironie. Wovon beispielsweise auch die Gestaltung des Antikriegsbuches »Erotik und Spionage in der Etappe Gent« von Heinrich Wandt bezeugt. Da platzierte der Künstler die Hand eines Offiziers auf den Schenkel eines leicht bekleideten Mädchens. Der Staatsanwalt fürchtete um den sittlichen Zustand der Republik und gab offensichtlich erst auf, als Heartfield nach dessen dritten Protest einen Staatsanwalt mit Schere abbildete, der empört ausruft: »Da muss man ja dazwischenfahren«. Das Buch von Wandt ist übrigens dieser Tage von Jörn Schütrumpf, Leiter des Berliner Karl Dietz Verlages, neu herausgegeben worden, versehen mit allen drei Umschlagvarianten.

Es sind in der Ausstellung nicht nur Publikationen des Malik-Verlages zu sehen, sondern auch Arbeiten Heartfields für viele andere Editionshäuser. Als in den 1920er Jahren der Faktor Zeit unter der Forderung »Rationalisierung« zum dominierenden Kennzeichen der modernen Produktion zwischen Detroit und Leningrad wurde, parodierte Heartfield die alte, etwas unehrliche Losung der Sozialdemokratie »Die Sozialisierung marschiert« mit einer expressiven Montage unter dem Titel »Die Rationalisierung marschiert«. Darunter ist ein aus Maschinenelementen bestehender menschlicher Körper zu sehen, der von einer Stoppuhr als Kopf gekrönt wird. Diese »Rationalisierungsmontage« war sowohl eine Beilage zur satirischen Zeitschrift »Der Knüppel« wie auch der Umschlag für die Broschüre »Das deutsche Wirtschaftswunder« von Günter Reimann, Finanzexperte der KPD und Wirtschaftsredakteur in deren Organ »Die Rote Fahne«.

Natürlich fehlen weder in der Ausstellung noch im Katalog die berühmten Montagen Heartfields für die legendäre »Arbeiter Illustrierte Zeitung« (AIZ), auch nicht seine Arbeiten im Exil. Stellvertretend sei hier nur die mit einem Vorwort von Oskar Kokoschka von der Freien Deutschen Jugend in London unter dem Titel »Und sie bewegt sich doch!«veröffentlichte Broschüre über die freie deutsche Dichtung genannt. Heartfield karikierte Hitler in affenähnlicher Gestalt, mit Stahlhelm auf dem Erdball thronend. Der Diktator hat sich ein Stück Erde gekrallt, sie aber dreht sich und er wird den Halt verlieren. Kurios: Das Bild verschwand unter einem Tarnumschlag. Wurde befürchtet, es könnte als Metapher für die Fragilität allen imperialen Machtstrebens, so auch des britischen Empires, interpretiert werden?

Die Heartfield-Schau, die schon ein Höhepunkt der diesjährigen Frankfurter Buchmesse war, ist nun in Berlin-Charlottenburg zu sehen. Wem ein Besuch im Roten Antiquariat nicht möglich ist, dem sei zumindest der exzellente Katalog (25 €) empfohlen.

Rotes Antiquariat und Galerie C. Bartsch, Knesebeckstraße 13/14, Mo. bis Fr. 12-19 Uhr, Sa. 12-19 Uhr; bis Mitte Dezember.

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