Partys statt Pol Pot

Kambodschas Jugend will Brot, Butter, Smartphones und eine bessere Regierung

  • Michael Lenz, Phnom Penh
  • Lesedauer: 6 Min.
Der Prozess gegen zwei Rote-Khmer-Führer interessiert die Kambodschaner wenig. Alltagssorgen in einer überwiegend informellen Wirtschaft sind wichtiger.

Seit gut zwei Wochen wird verhandelt. Doch der nüchtern Fall 002/02 genannte historische Völkermordprozess vor dem Rote-Khmer-Tribunal gegen Nuon Chea, auch bekannt als »Bruder Nummer Zwei«, und den ehemaligen Staatspräsidenten des Demokratischen Kampuchea, Khieu Samphan, bleibt weitgehend unbeachtet. Das mag zum Teil daran liegen, dass die Verhandlung der fast 40 Jahre zurückliegenden Gräuel der Roten-Khmer-Herrschaft unter Pol Pot in einem Gerichtssaal weit vor den Toren Phnom Penhs stattfindet. Oder daran, dass die beiden Angeklagten im vergangenen August am Ende des ersten Teilverfahrens 001/02 bereits für die Vertreibung der kambodschanischen Stadtbevölkerung zur Zwangsarbeit auf dem Land zu lebenslänglich verurteilt worden sind.

Blicke in die kambodschanischen Medien und in die Straßen Phnom Penhs offenbaren jedoch noch weitere Gründe für das Desinteresse an dem Rote-Khmer-Tribunal: Korruption, Machtkampf zwischen Regierung und Opposition, problematische Zustände in den Textilfabriken, Morde an Journalisten und Landraub bestimmen die Schlagzeilen der englischsprachigen Blätter wie »Phnom Penh Post«, »Cambodia Daily« oder »Khmer Times«.

Das Straßenbild dominieren junge Gesichter. Über die Hälfte der rund 15 Millionen Kambodschaner ist jünger als 25 Jahre. »Meine Freunde interessieren sich für Partys und die neuesten Smartphones. Das ist so in diesem Alter«, sagt Peter Rattanak Khim, obwohl er selbst erst 22 Jahre alt ist. Peter, dessen Eltern vor Jahren zum Christentum konvertiert sind, übertreibt nicht. Wie die dunklen Ränder unter seinen Augen, versteckt unter einer großen Sonnenbrille, verraten, ist auch er langen Partynächten nicht abhold. »Ich war gestern Nacht bis fünf Uhr im Pontoon«, grinst der junge Mann.

Was den Skateboarder jedoch von seinen Altersgenossen unterscheidet, ist sein ausgeprägtes Interesse an Politik und Geschichte. »Ich studiere internationale Beziehungen und würde gerne Diplomat werden«, erzählt Peter. Jeden Tag lese er Zeitungen und informiere sich in sozialen Internetnetzwerken. »Die junge Generation ist smarter als die ältere. Wir sind besser informiert und tauschen Ideen aus. Wenn das Militär auf Demonstranten schießt, sind die Bilder sofort im Netz.«

Im analogen Alltag sprechen Peter und seine Freunde nicht viel über die brisanten politischen Themen Kambodschas. »Es ist gefährlich, öffentlich Kritik an der Regierung zu äußern.« Wer den Mund zu weit aufmacht, riskiert eine Verhaftung. Kritische Journalisten, vor allem, wenn sie über unsaubere Geschäfte berichten, müssen mit Einschüchterung, Gewalt und Attentaten rechnen.

Peter stammt aus einer armen Familie. Die Mutter ist Krankenschwester in einem Krankhaus in Phnom Penh, der Vater arbeitet in der Buchhaltung des Hospitals. Zusammen verdienen sie im Monat etwas mehr als 400 US-Dollar, neben dem Riel Kambodschas inoffizielle Zweitwährung. Das reicht kaum zum Leben. Die Preise für Mieten, Strom und Benzin sind extrem hoch, Löhne und Gehälter hingegen sehr niedrig. Der gesetzliche Mindestlohn für Arbeiter in der Textilindustrie - Kambodschas wichtigstem Wirtschaftssektor - liegt bei 100 Dollar monatlich bei 48 Wochenstunden.

Der perfekt Englisch sprechende Peter verdient durch Teilzeitjobs als Aushilfe im Skateboardladen, als Skateboardlehrer an der Universität, als Schichtleiter in der Musikkneipe Equinox und als freiberuflicher Übersetzer bis zu 700 Dollar im Monat. »Das ist viel für einen jungen Mann wie mich«, gibt Peter zu. Aber es reicht nicht für die Studiengebühr von 1500 Dollar pro Jahr. »Ich habe durch einen Verwandten der Königsfamilie, dessen Sohn auch ein Skateboarder ist, ein Stipendium erhalten.«

Da ist es, dieses Vitamin B, ohne das in Kambodscha gar nichts läuft. Bei Peter ist es zwar genutzt für einen guten Zweck, meist aber wird es missbraucht für Korruption und Vetternwirtschaft. Son Chhay, Fraktionschef der oppositionellen Nationalen Rettungspartei Kambodschas (CNRP), schätzt, dass von den rund 1000 Mitarbeitern des Parlaments bestenfalls 500 zur Arbeit erscheinen. Eher noch schlechter sieht es mit der Arbeitsmoral in den Ministerien aus. Wie die »Phnom Penh Post« als auch die CNRP vor kurzem aufdeckten, stehen auf der Gehaltsliste des öffentlichen Dienstes Zigtausende sogenannter Geisterangestellte, deren Gehälter direkt in die Taschen korrupter Politiker und Beamter wandern.

Die Kambodschanische Volkspartei (CPP) des seit über 30 Jahren regierenden Premierministers Hun Sen spielt das Ausmaß der Geisterangestellten zwar herunter, bestreitet aber nicht ihre Existenz. Deshalb will sie den Mindestlohn für Beamte auf 250 Dollar erhöhen - allerdings erst 2018. Die Gehaltserhöhung soll teilweise durch Einsparungen bei den Geisterangestellten finanziert werden. Ob aber die CPP den Mut und die Kraft hat, ihrer ureigensten Klientel in die Tasche zu greifen, wird weithin bezweifelt.

Schon jetzt machen Löhne und Gehälter mehr als 40 Prozent des Haushalts aus, der laut CIA Fact Book zu mehr als die Hälfte von Geberländern finanziert wird. Hinzu kommen viele Hundert Millionen durch Entwicklungshilfeorganisationen (NGO), die direkt auf lokaler Ebene oder durch NGO der Bevölkerung zum Aufbau von Infrastruktur zugutekommen. »Wie viele es tatsächlich sind, weiß keiner so genau«, sagt der Kambodscha-Experte Peter Becker bei einem Abendessen in Phnom Penh.

Der Autor des Buches »Armutsminderung durch Dezentralisierung in Kambodscha - Anspruch und Wirklichkeit ambitiöser Entwicklungsvorhaben« hat lange in Kambodscha und in afrikanischen Ländern in Entwicklungshilfezusammenhängen gearbeitet. Die fehlende Trennung von Amt und Person in diesen Ländern ist für den schwäbischen Juristen Becker gleichermaßen der Quell der Korruption als auch der Grund für das Scheitern von westlichen Entwicklungshilfeprojekten zur guten Regierungsführung: »Jemand ist hier nicht mächtig, weil er ein bestimmtes Amt, sondern weil er Macht oder Geld hat und in einer bestimmten Hierarchie angesiedelt ist, die ihm ein Amt überträgt. In solchen Gesellschaften vermischt sich das persönliche Interesse mit dem Staatsinteresse. Solange es keine Trennung zwischen Amt und Person gibt, bleibt eine Verwaltungsstruktur nur Fassade.«

Im Phnom Penhs Nobelviertel Toul Kork ist in einer mit vielen Graffiti verzierten Villa die Firma SmallWorld zu Hause. Die Unternehmung des jungen Kambodschaners Rithy Thul bietet Start-up-Unternehmen eine Chance. »Wir verstehen uns als Inkubator«, sagt Rithy. »Kambodscha braucht kleine Unternehmen. Die schaffen langfristig Einkommen und Arbeitsplätze.« Er versuche, die Jungunternehmer mit vielen Ideen und wenig Kapital mit Investoren zusammenzubringen. »Das ist aber schwierig. Die Reichen hier investieren lieber Millionen in Großprojekte, die schnellen Reibach versprechen. An langfristigen Investitionen, um etwas aufzubauen, ist niemand interessiert.«

Der Etat für das Bildungsministerium wurde gerade etwas aufgestockt und immer mehr junge Kambodschaner besuchen Universitäten. Aber weil es kaum kleine und mittelständische Unternehmen gibt, stehen sie am Ende ihrer Ausbildung meist auf der Straße und müssen sich in der informellen Wirtschaft verdingen. »Mehr als 80 Prozent der Kambodschaner arbeiten in der informellen Wirtschaft als Tuk-Tuk-(Autorikscha)-Fahrer, als Straßenhändler, als Sexarbeiter oder Gelegenheitsarbeiter«, klagt Pao Vorn, Präsident der gewerkschaftlichen Vereinigung für informell Beschäftigte IDEA. »Sie haben keine Rechte. Wer dagegen protestiert, wird mit Gewalt zum Schweigen gebracht.«

Im Januar dieses Jahres schoss die Militärpolizei in Phnom Penh eine Demonstration von Textilarbeitern für einen höheren Mindestlohn nieder. Drei Arbeiter starben. Vorn war unter jenen 23 Demonstranten, die als Rädelsführer verhaftet wurden. »Im Gefängnis wurde ich misshandelt«, sagt Vorn, der seit April gegen Kaution auf freiem Fuß ist. Im November wird ihm der Prozess gemacht.

Die Einschüchterungstaktik wirkt. Gewerkschaftsaufrufen zu Demonstrationen folgen nur noch wenige Mutige. Vorn befürchtet, dass es noch ruhiger werden wird, nachdem die CNRP im August ihren Boykott des Parlaments aufgegeben hat. »Die Vereinbarung zwischen Regierung und Opposition dient nur den Interessen der Politiker.«

Auch für das Rote-Khmer-Tribunal hat der Vater von drei Kindern nichts übrig. »Es geht doch seit Jahren nur noch darum, möglichst viele Dollar von den Geberländern abzuzocken. Die Kambodschaner interessiert das Tribunal nicht mehr. Die Brot-und- Butter-Themen des Alltags sind viel wichtiger.«

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