Der Mann mit dem Zauberwürfel

Im Kino: der sensationelle Dokumentarfilm «Citizenfour» über Edward Snowden von Laura Poitras

  • Caroline M. Buck
  • Lesedauer: 4 Min.

Citizenfour« ist ein Film über eine Zeit, als ein Mann namens Edward Snowden noch ein Erkennungszeichen ausmachen musste, damit man ihn im Hotelfoyer erkannte - es war keine rote Nelke in diesem Fall, sondern, ganz und gar passend: ein Zauberwürfel. Über eine Zeit, als ein Reporter den blassen jungen Mann, der ihm da gegenübersaß, zunächst nach seinem Namen fragen musste, bevor er sich anschließend von ihm auseinandersetzen ließ, wie genau die US-Geheimdienste denn nun die ganze Welt bespitzeln. Es war dies ein Reporter, der der Geheimdienstfachmann eines renommierten und bald an vorderster Front an der Publikation der Snowden-Enthüllungen beteiligten Blattes war. Es war eine Zeit, bevor Snowden zur Ikone wurde, zum Helden, zum Asylsuchenden (oder zum Verräter).

Es ist die Unmittelbarkeit seiner Zeugenschaft, die »Citizenfour« zu einem raren Glücksfall macht. Dabei hatte Edward Snowden gar nicht in erster Linie die Filmemacherin in Laura Poitras angesprochen, als er sie kontaktierte, um ihr sein Material anzuvertrauen. Er sah in ihr eher das wiederholte Opfer des Misstrauens US-amerikanischer Geheimdienste im Umgang mit den eigenen Bürgern. Dass mit dem Geheimdienstopfer im Juni 2013 auch die Dokumentaristin in sein Hongkonger Hotelzimmer trat, verschafft der Welt jetzt die seltene Gelegenheit, hautnah zu erleben, wie hinter verschlossenen Türen Geschichte geschrieben wurde. Dass die äußeren Fakten über Snowden, seine Enthüllungen und wie sie in die Welt kamen, inzwischen weitgehend bekannt sind, kann der Wucht dieses Einblicks wenig anhaben.

Poitras - oscar-nominierte Filmemacherin und, dank Snowdens Material, inzwischen auch Pulitzer-Preisträgerin - fand sich auf einer Schwarzliste des US-Heimatschutzes wieder, weil sie unangepasste Filme drehte über die Folgen der Anschläge vom 11. September. Seit sie in Irak die ersten Wahlen nach der US-Invasion begleitete und dabei detaillierter hinter die schöne Fassade vom befreiten Land blickte, als es eingebetteten Journalisten möglich war (»My Country, My Country«, 2006), seit sie in Jemen nach Männern suchte, die in Guantánamo eingesessen hatten, wurde sie bei jeder Rückkehr in die USA stundenlangen Verhören unterzogen, ihre Geräte und ihr Material konfisziert. Selbst ihre Teilnahme an der Berlinale 2010 stand zeitweilig in Frage, wo sie »The Oath« vorstellen wollte, den Film aus Jemen - da wollte man sie am liebsten gar nicht ausreisen lassen.

Snowden, der Angestellte wechselnder Firmen, die den US-Geheimdiensten zuarbeiten, kannte Poitras schon von daher namentlich. Sie hatte am eigenen Leib erfahren, was einem passieren kann, wenn man auf schwarzen Listen landet. Und sie hatte aus der Erfahrung gelernt, wie man Selbstbestimmtheit und Privatsphäre verteidigt. Sie war nach Berlin umgesiedelt, um das Material für ihren neuen Film zu schützen, der von Whistleblowern handeln sollte, die die ausufernde Machtfülle der Geheimdienste offenlegten, und hatte Erfahrung mit dem Verschlüsseln digitaler Kommunikation. Zusammen mit (aber deutlich weniger sichtbar als) Reporter Glenn Greenwald wurde sie zu Snowdens Sprachrohr. Es war Poitras, die den kurzen Film drehte, mit dem Snowden sich von Hongkong aus als das Gesicht hinter den laufenden Enthüllungen zu erkennen gab. Und es ist nun Poitras, die mit den Aufnahmen von dem, was in jenem Hotelzimmer in Hongkong tatsächlich geschah, ein detaillierteres Porträt des Mannes und seiner Ziele zeichnet.

»Citizenfour« ist parteiisch - wie könnte er es nicht sein. Dass Poitras Snowden, seine Mission und seinen Mut bewundert, steht außer Frage. Es gibt strategische Auslassungen, nicht alles wird erzählt, was man über Snowden und seine Wochen in Hongkong erzählen könnte. Wohin er abtauchte, als die Weltpresse ihn zu belagern begann - Poitras wird es wissen, aber sie macht es nicht öffentlich. Waren es chinesische Aktivisten, wie der Film suggeriert, war es das russische Konsulat, wie manche US-Publikationen verbreiten? Gab es einen Versuch, sich durch die Preisgabe geheimdienstlicher Informationen über China einen dauerhaften Asylstatus vor Ort zu erkaufen? Auch davon schweigt Poitras. Was sie zeigt, ist die große Ernsthaftigkeit, mit der Snowden sein eigenes Leben auf die Klippen steuerte, um der Welt die nötige Aufklärung zu bringen. Und die Enormität der Aufgabe, mit der er Greenwald und sie konfrontierte.

Die mittlere Stunde des Films, das erste Treffen, die acht Tage in konspirativer Enge (und leichter Paranoia) in Snowdens Hotelzimmer, sie gehören zum Beeindruckendsten, was an dokumentarischem Material derzeit verfügbar ist. Snowdon - ruhig, gefasst, zu allem entschlossen, dabei schmal, zerbrechlich und jungenhaft wirkend - erklärt mit großer Sachkenntnis und in verständlichen Worten, was genau er fand und nicht länger verschweigen konnte. Ein Mann im Limbo zwischen einer Arbeit, die er offenkundig gut machte, einem Privatleben, das er ohne Abschied zurücklassen musste, und einem Nebelfeld, das die Konturen seiner Zukunft verbirgt. Die halbe Stunde vor und die halbe Stunde nach Snowden - der Kontext, die Vorgänger in der Rolle der Warner und Mahner, William Binney, Julian Assange, Jacob Applebaum, dann die Anwälte, die Untersuchungsausschüsse, die Lügen der Gegner - sie sind informativ und notwendig.

Den Hauch der Geschichte aber, eingefangen in einem Hotelzimmer in Kowloon, den können sie nicht überbieten.

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