Gauck: Berlin ist nicht mehr beknackt

Bundespräsident wurde zum 117. Ehrenbürger ernannt - nicht alle sind darüber glücklich

  • Bernd Kammer
  • Lesedauer: 4 Min.
Als Jugendlicher wurde Joachim Gauck davor gewarnt, nach Berlin zu fahren. Jetzt ist der Bundespräsident Ehrenbürger der Stadt.

»Das Beste an so einer Laudatio ist: Wenn niemand protestierend den Saal verlässt«, sinnierte ein sichtlich gut gelaunter Joachim Gauck am gestrigen Mittwoch im Roten Rathaus. Dort war dem Bundespräsidenten die Ehrenbürgerwürde Berlins verliehen worden. Den Saal hatte in der Tat niemand verlassen, und Protest war auch nicht zu hören. Mögliche kritische Stimmen hatten sich erst gar nicht im Festsaal versammelt, die Spitze der Berliner LINKEN blieb dem Festakt geschlossen fern. »Ich akzeptiere das Verfahren, dass die Bundespräsidenten automatisch Ehrenbürger Berlins werden, aber ich muss das nicht unbedingt feiern«, begründete Faktionschef Udo Wolf sein Fernbleiben. Er wolle auch Gauck nicht »überanstrengen«, spielte er auf eine Bemerkung des Präsidenten an, dass er sich beim Umgang mit der LINKEN immer »sehr anstrengen« müsse.

Die Linksfraktion im Abgeordnetenhaus hatte vorgeschlagen, die deutsch-französische Journalistin Beate Klarsfeld, die in diesem Jahr ihren 75. Geburtstag feierte, zur Ehrenbürgerin zu machen und so für ihr Engagement bei der Aufklärung von Nazi-Verbrechen zu ehren. Das sei vom Regierenden Bürgermeister abgelehnt worden, weil er nicht wisse, was dies mit Berlin zu tun habe. »Diese Frage könne man bei Gauck auch stellen«, so Wolf.

In seiner Laudatio auf den Ehrenbürger versuchte sie Klaus Wowereit zu beantworten. Es sei von vornherein zu spüren gewesen, dass Gauck nicht mit Berlin fremdle, dass er eine besondere Verbundenheit mit der Stadt empfinde, sich über die wieder erlangte Einheit gefreut, aber auch mitgelitten habe, wo die Entwicklung stockte, so Wowereit. Der 18. März 1990, als Gauck in die DDR-Volkskammer gewählt wurde, markiere den Beginn seines Lebens als »Berliner Politiker«. Als Pfarrer, DDR-Bürgerrechtler, erster Beauftragter für die Stasi-Unterlagen und als Bundespräsident habe sich Gauck für Freiheit und Demokratie engagiert, die bei ihm immer eine wehrhafte Demokratie sei, sagte Wowereit und lobte Gaucks »ausgeprägten bürgerlichen Widerspruchsgeist«. Das sei selten bequem, aber wichtig für den Meinungsstreit in unserer Demokratie, sagte Wowereit offenbar in Anspielung auf Debatten um Gaucks Äußerungen zu Kriegseinsätzen, dem Ukrainekonflikt und der LINKEN. »Man kann dazu stehen, wie man will, aber ich glaube, wir halten das aus«, befand Wowereit und bat den »lieben« Herrn Bundespräsidenten: »Bleiben Sie, wie Sie sind.«

Gauck bekannte in seiner Dankesrede, »viele positive Gefühle« für diese Stadt zu empfinden. In seiner Jugend galt das offenbar nur dem Westteil, den er als »Urlaub vom real existierenden Sozialismus« empfand. Der roch anders, die Zigaretten schmeckten anders. Ansonsten war der gebürtige Rostocker damals gewarnt worden: »Fahr bloß nicht nach Berlin. Das ist die Stadt der Beknackten«. Dort habe es viele Kommunisten gegeben, »die uns unterdrückt haben«.

Mittlerweile ist Berlin für Gauck die Hauptstadt des Wandels und des Aufbruchs und seine zweite Heimat geworden. Nach der Zeit der »Dunkelheit« als geteilte Stadt sei Berlin heute eine Stadt, die verbinde und nicht mehr teile, sagte er. »Eine Stadt, die wohl nicht perfekt ist, aber aufrichtig. Eine Stadt, deren Faszination darin liegt, dass sie Menschen die große Freiheit gibt, sie selbst sein zu dürfen.« Deshalb lebe er so gern hier.

Für die Berliner Grünen-Fraktionsvorsitzenden Ramona Pop und Antje Kapek ist Gauck ein Mann, der in »einzigartiger Weise für das Zusammenwachsen von Ost und West steht«. Kapek empfand das Fernbleiben der LINKEN als »unsouverän«. Es sei richtig, dass Gauck zur Diskussion herausfordert, und die müsse man auch führen, »denn im Gegensatz zur Zeit von vor mehr als 25 Jahren kann man es jetzt«.

Gauck ist der 117. Ehrenbürger Berlins und nach Wolfgang Biermann und Siegmund Jähn der dritte Ex-Ossi, der sich für die Galerie im Abgeordnetenhaus porträtieren lassen darf. Ansonsten sind u.a. auch Max Liebermann, Marlene Dietrich, Helmut Kohl und alle Bundespräsidenten vertreten, bis auf Horst Köhler und Christian Wulf. Die schafften es nicht mehr, weil sie zu kurz im Amt waren.

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