Bestrafung mit Sprengkraft

Die israelische Regierung lässt wieder Häuser von palästinensischen Attentätern zerstören

  • Oliver Eberhardt, Jerusalem
  • Lesedauer: 3 Min.
Israels Regierung hat die Hauszerstörungen wieder eingeführt, obwohl selbst das Militär Zweifel an ihrem Sinn hat. Die rechtlichen Grundlagen dafür sind komplex und äußerst umstritten.

Monatelang hatten sie gewartet, gehofft, es werde nicht passieren. Monatelang geschah tatsächlich nichts. Anwälte, Richter, selbst das Militär versuchten, die Politik von ihren Plänen abzubringen. Doch nachdem am vergangenen Dienstagmorgen zwei Palästinenser aus Ostjerusalem mit Äxten, Fleischermessern und einer Pistole in eine Synagoge gestürmt waren, vier Menschen getötet hatten, bevor sie selbst von Sicherheitskräften erschossen worden waren, ging alles ganz schnell.

Nachts um drei standen Polizei und Militär vor dem Haus der Familie Abdel Rahman al-Schaludi. Der hatte vor einem Monat sein Auto in eine Menschenmenge an einer Straßenbahnhaltestelle in Jerusalem gelenkt, dabei eine Frau, ein drei Monate altes Baby und sich selbst getötet. Nun zwangen die israelischen Sicherheitskräfte die letzten Bewohner aus dem Gebäude und sprengten dann den vierten Stock.

Es war nicht das erste Mal, dass Israels Regierung in diesem Jahr das Haus der Familie eines palästinensischen Attentäters zerstören ließ. Vor zwei Monaten hatte das Militär das Haus von Ziad Awad gesprengt, der im Frühjahr einen Polizisten getötet hatte. Das war indes das erste Mal seit Jahren, dass diese Praxis wieder angewendet wurde. Denn sie ist in Israel sehr umstritten: Während viele konservative Politiker die Ansicht vertreten, sie diene der Abschreckung, stellte eine Kommission 2005 fest, dass dies nicht der Fall ist. Vor allem das Militär stemmt sich seitdem mit Nachdruck gegen Bestrebungen, die Hauszerstörungen, die einst hundertfach angewendet wurden, wieder aufleben zu lassen. »Wenn wir uns den Konflikt der vergangenen Jahrzehnte anschauen, kann man wohl mit Sicherheit sagen, dass es nichts gebracht hat«, sagt Ehud Barak, ein früherer Generalstabschef.

Die juristische Grundlage für die Hauszerstörungen stammt aus dem Militärrecht und ist umstritten. Artikel 119 einer Notstandsverordnung aus dem Jahr 1945 legt fest, dass Häuser von Attentätern zerstört werden können. Militärjuristen vertreten den Standpunkt, dass dieser Artikel im Westjordanland nicht angewendet werden dürfe, weil dieses Gebiet auch aus der juristischen Sicht Israels besetzt sei und die vierte Genfer Konvention die Zerstörung des Besitzes der Zivilbevölkerung in besetzten Gebieten verbiete. Doch im Fall der Awads wurden sie von der Regierung überstimmt.

Etwas anders liegt, wieder aus israelischer Sicht, die Situation im Fall der Schaludis: Sie leben in Ostjerusalem, das 1980 von Israel ohne Zustimmung der internationalen Gemeinschaft annektiert wurde. Hier gilt eigentlich ziviles israelisches Recht. Dass man dort nun trotzdem Militärrecht anwandte, liegt am Ausnahmezustand, der seit der Unabhängigkeit in Israel gilt. Er wird alle sechs Monate vom Parlament verlängert und ermöglicht es der Regierung, »aus Sicherheitsgründen« militärische Maßnahmen im Staatsgebiet zu ergreifen.

Pikant: Artikel 119 stammt nicht aus der Feder israelischer Militärs. Die Verordnung wurde einst von der britischen Regierung erlassen, die vor 1948 Mandatsmacht in der Region war. Damals waren es vor allem die Familien von Mitgliedern jüdischer Milizen, die darunter litten.

Doch nach der Unabhängigkeit übernahm Israels, von der Arbeitspartei dominierte, Regierung die Verordnung trotzdem durch ein Übergangsgesetz. Ob dies auch für die 1945er-Verordnung gilt, ist bis heute äußerst umstritten: Großbritannien hatte sie am Tag vor der Unabhängigkeitserklärung aufgehoben. Nach Ansicht der damaligen israelischen Regierung war das aber nicht gültig, weil die Aufhebung nur in britischen Zeitungen, nicht aber im Mandatsgebiet veröffentlicht worden war. Es war ausgerechnet die Herut-Partei, die später im Likud-Block des heutigen Regierungschefs Benjamin Netanjahu aufging, die die Gesetzgebung als »faschistisch« kritisierte.

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