Links der Ozean und rechts die ferne Küste

Wilfried Schneider nimmt uns mit auf sein »Mitternachtsschiff«

  • Günther Drommer
  • Lesedauer: 3 Min.

Der Drang, die Weltmeere zu bereisen, reicht viel weiter zurück als ins Jahrhundert der großen Entdeckungen des Christoph Kolumbus. Schon in prähistorischer Zeit befuhren Menschen auf einfachen Kanus oder Flößen den Pazifischen Ozean. Der griechische Historiker Herodot berichtet von einer mehr als zweieinhalb Jahrtausende zurückliegenden Umsegelung Afrikas durch eine phönizische Flotte. Sein Bericht ist vage; als er ihn notiert, liegt die Reise, die auf Veranlassung des Pharaos Necho stattgefunden haben soll, schon mehr als zwei Menschenalter zurück.

Einen ehemaligen Geschichtslehrer, Wilfried Schneider aus Oschitz bei Schleiz, hat dieses Thema so gefesselt, dass er sich nach gründlichen Studien daran machte, einen 500-Seiten-Roman darüber zu schreiben. Kurz vor dem Ende der DDR war er mit seiner Arbeit fertig, der Prisma-Verlag Leipzig hatte das Buchprojekt angenommen, aber zusammen mit dem Verlag wurde auch Schneiders Manuskript abgewickelt. Nun, über zwanzig Jahre später, ist das Buch im Engelsdorfer Verlag doch erschienen, noch einmal überarbeitet.

Schneider hat sich tief in seinen Stoff hinein begeben und versucht, der historischen Wahrheit so nahe wie möglich zu kommen, sorgsam auch in allen Details. In angemessener, weder altertümelnder, noch unpassend modernisierter Sprache nähert er sich der Pharaonenzeit und den Umständen dieser gewaltigen Fahrt, die zu Füßen der gerade gebauten Pyramiden von Gizeh aus machtpolitischen Gründen konzipiert und befohlen wird, in jener imperialen Art, wie sie bis heute bei fast allen großen Entdeckungen üblich ist.

Die abenteuerliche Reise mit drei von Sklaven geruderten Segelschiffen beginnt an den Ufern des Roten Meeres, führt durch den Golf von Aden, an der afrikanischen Küste des Indischen Ozeans entlang über die Straße von Mosambik zum Kap der Guten Hoffnung, dann, immer in Sichtweite zur Westküste Afrikas, nordwärts bis zur spanischen Stadt Cadiz am Atlantischen Ozean, durch die Straße von Gibraltar weiter im Mittelmeer zum Nildelta, wo sie unweit ihres Ausgangspunktes endet.

Die Schiffe (nur eins von ihnen kommt ans Ziel) überwinden in drei Jahren mehr als 20 000 Kilometer. Das übertrifft die Reisestrecke des Kolumbus um ein Mehrfaches. An den Grenzen des Pharaonenreiches und weit über sie hinaus erlebt der Leser nahezu unglaubliche Abenteuer: Verbrüderungsfeste, blutige Kämpfe, liebenswerte fremde Menschen, unberührte paradiesische Landschaften, gewaltige Stürme am Kap, wilde Tiere, Wale, Hunger und Durst.

Gleich zu Anfang der Reise gibt Admiral Abdi-ashirta einen für die Zeit unvorstellbaren Befehl: Den Rudersklaven sind die Fußfesseln abzunehmen. So können sich viele bald nicht nur frei bewegen, sie haben auch freie Gedanken, die sie zu selbstbewussten, solidarischen Taten befähigen. Nicht allein um zu überleben, verändern sich die Menschen an Bord.

Ein Mut machendes Buch, das nicht allein an leichter Unterhaltung Interessierten empfohlen sei.

Wilfried Schneider: Das Mitternachtsschiff. Die Afrika-Umsegelung der Phöniker. Engelsdorfer Verlag. 528 S., br., 16 €.

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