Erneut Büro der Linkspartei beschmiert

Gabriel: Auch Kritiker der Linken »noch nicht im 21. Jahrhundert angekommen« / Gysi sieht gewachsene Verantwortung bei seiner Partei / Trittin: »Endlich ökologische und soziale Reformen« / CDU: SPD sollte sich schämen

  • Lesedauer: 10 Min.

Update 18.45 Uhr: Thüringens neuer Ministerpräsident Bodo Ramelow hat bei seinem Amtseid am Freitag bewusst auf die Gottesformel verzichtet. »Das ist mein Respekt vor der Trennung von Kirche und Staat«, sagte der LINKE-Politiker der »Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung«. »Zwar soll mir Gott beistehen, aber das kann ich nicht schwören. Für mich ist das eine Bitte, ein Gebet an meinen Gott. In einem Eid für ein Staatsamt hat das für mich nichts zu suchen«, sagte Ramelow. Er habe auch aus Respekt vor seinen jüdischen und muslimischen Freunden auf den religiösen Eid verzichtet. Zwar sei dort nur von Gott die Rede, aber im christlichen Abendland schwinge doch der christliche Gott mit. Er habe sich das alles schon vor langem überlegt. »Es war keine parteitaktische Finesse«, so Ramelow.

Update 15.35 Uhr: Die Wahl von Bodo Ramelow zum Ministerpräsidenten von Thüringen bleibt aus Sicht von Sahra Wagenknecht zunächst ohne bundespolitische Auswirkungen. Diese könnten sich erst dann einstellen, »wenn die SPD auch hier ihren Kurs ändert«, sagte die stellvertretende Vorsitzende der Linken-Bundestagsfraktion dem »Tagesspiegel am Sonntag«.

Update 15 Uhr: Bodo Ramelow hat die Landeschefin der Linkspartei in Thüringen, Susanne Hennig-Wellsow, als seine Nachfolgerin an der Spitze der Landtagsfraktion vorgeschlagen. Laut einem Bericht der »Thüringer Allgemeinen« soll den Landesvorsitz dann der bisherige Thüringer Linken-Vize Steffen Dittes übernehmen. Hennig-Wellsow ist 37 Jahre alt und ebenso wie der 41-Jährige Dittes Mitglied des Landtags.

Update 13 Uhr: Die Angriffe auf Linke-Büros in Thüringen reißen nicht ab. Kurz nach Amtsantritt der rot-rot-grünen Regierung beschmierten in der Nacht zu Samstag Unbekannte das Parteibüro in Gera in großen roten Buchstaben mit dem Schriftzug »SED!«, wie die Polizei mitteilte. Hinweise auf die Täter gebe es bisher nicht. In der selben Nacht habe ein Unbekannter einen Stein gegen die Scheibe eines Grünen-Büros in Pößneck geworfen. Die Scheibe sei nicht zu Bruch gegangen, sondern nur gerissen. Nun werde geprüft, ob es sich um eine politisch motivierte Sachbeschädigung handle, hieß es.

In den vergangenen Wochen hatte es immer wieder Anschläge auf Büros oder Autos der Linken gegeben. So war das Wahlkreisbüro der Landtagsabgeordneten Katharina König in Saalfeld Mitte November mit Parolen wie »Drachenbrut« beschmiert worden. Königs Kollegin Kati Grund erstattete Strafanzeige wegen eines Drohbriefs, in dem ein Kopfgeld auf sie ausgesetzt war. Auch von gelockerten Radmuttern, zerstochenen Reifen und Drohanrufen hatten Linke berichtet.

Update 12.05 Uhr: Linksfraktionsvize Dietmar Bartsch hofft, »dass jetzt, nachdem Bodo Ramelow gewählt ist, die Kämpfe des Kalten Krieges, die noch mal aufgelebt sind, beendet sind«. Im Deutschlandfunk sagte der Linkenpolitiker, er sei »stolz drauf, auf den Weg, den viele in der Linken gegangen sind bis zu diesem Tag«. Bartsch erinnerte daran, dass die PDS Anfang der 1990er Jahre »in Thüringen ein einstelliges Ergebnis« hatte, »heute stellen wir den Ministerpräsidenten«. Er strebe zwar längerfristig ein Mitte-Links-Bündnis auch im Bund an, so Bartsch - allerdings werde die Regierungsbildung in Thüringen keinen direkten Einfluss auf die Verhältnisse in Berlin haben. »Es ist so, dass wir auch im Deutschen Bundestag eine Mehrheit jenseits der Union haben«, sagte Bartsch. »SPD, Linke und Grüne stellen die Mehrheit der Abgeordneten. Die SPD hat sich anders entschieden. Und da ist unsere Aufgabe, jetzt die Oppositionsführerschaft weiter auszufüllen. Was 2017 ist, ist noch so weit weg. Jetzt geht es erst mal darum, dass dieses Land nicht mehr wie bisher, in dem ersten Jahr, mit ruhiger Hand regiert wird, sondern dass wirklich die notwendigen Reformschritte angegangen werden.«

Update 12 Uhr: In Gera ist in der Nacht zum Samstag das Wahlkreisbüro der Linkspartei mit einem riesigen Schriftzug »SED!« beschmiert worden. Der Farbangriff erfolgte am Tag nach der Wahl des ersten Ministerpräsidenten der Linkspartei, Bodo Ramelow.

Update 11.35 Uhr: Die Linkspartei hat ihren ersten Ministerpräsidenten gefeiert - im thüringischen Elgersburg. Dort wurde auf die Wahl von Bodo Ramelow angestoßen. Bei einem Treffen des Geschäftsführenden Parteivorstandes mit den Landes- und Fraktionsvorsitzenden der Partei Die Linke soll über die politischen Schwerpunkte der Partei und die Herausforderungen im kommenden Jahr diskutiert werden.

Update 11.30 Uhr: Die Linke in Mecklenburg-Vorpommern hat wegen der Zugeständnisse der Thüringer Linken zur Bildung der rot-rot-grünen Koalition Mitglieder verloren. »Sie konnten sich mit dem Begriff 'Unrechtsstaat' als Verkürzung für 40 Jahre DDR nicht abfinden«, sagte die Landesvorsitzende Heidrun Bluhm am Samstag zum Auftakt des Landesparteitages in Güstrow. In Thüringen hatte sich die Linke erstmals dazu bekannt, dass die SED-Herrschaft zu einem Unrechtsstaat geführt hatte, was zu heftigen innerparteilichen Kontroversen führte. Bluhm betonte, dass das Sozialismuskonzept in der DDR gründlich gescheitert sei. Im Herbst 1989 sei der Grundstein für eine demokratische Gesellschaft gelegt worden. »Das ist für alle ein Gewinn«, sagte Bluhm.

Update 11.25 Uhr: Der neue Thüringer Ministerpräsident Bodo Ramelow will die Aufarbeitung der SED-Diktatur zur Chefsache machen. Sie werde direkt in der Staatskanzlei angesiedelt und er wolle mit Vertretern von Opferverbänden intensiv zusammenarbeiten, erklärte er im Interview der »Thüringischen Landeszeitung«. Der Chef der Stasi-Unterlagenbehörde, Roland Jahn, hält Misstrauen gegenüber der Linkspartei dagegen weiter für angebracht. »Glaubwürdige Aufarbeitung? Fehlanzeige!«, schreibt er in einem Gastbeitrag der »Bild«-Zeitung. »Vergebung kann auch von Bodo Ramelow und seiner Regierung nicht verordnet werden. Den Zeitpunkt der Vergebung bestimmen die Opfer.«

Update 11.15 Uhr: Nach der Bildung der rot-rot-grünen Landesregierung stehen dem Landkreis Nordhausen Landratswahlen bevor. Die bisherige Amtsinhaberin Birgit Keller von der Linkspartei ist ins Kabinett von Ministerpräsident Bodo Ramelow gewechselt und hat dort das Agrar- und Infrastrukturministerium übernommen. Die Amtsgeschäfte der Kreisverwaltung führe derzeit die erste Beigeordnete Jutta Krauth (SPD), hieß es aus dem Landratsamt. Ein Wahltermin in dem Kreis mit 185 000 Einwohnern steht bislang nicht fest. Die 55-Jährige Keller war erst 2012 zur Landrätin in Nordhausen gewählt worden. Neben Petra Enders (Ilm-Kreis) und Michaele Sojka (Altenburger Land) war sie eine von drei von der Linken gestellten Kreisverwaltungschefs in Thüringen. Landräte werden in Thüringen direkt für eine Amtszeit von sechs Jahren gewählt. Bei vorfristigem Ende der Amtszeit muss laut Kommunalwahlordnung innerhalb der nächsten drei Monate neu gewählt werden. Den Termin bestimmt das Landesverwaltungsamt als Rechtsaufsichtsbehörde.

Update 10.30 Uhr: Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel hat erklärt, die rot-rot-grüne Koalition in Thüringen werden »keine Auswirkungen auf die Koalition im Bund haben. Wenn das einige CDU/CSU-Politiker doch herbeireden wollen, dann müssen sie mal sagen, was sie damit meinen«, sagte der Wirtschaftsminister der »Frankfurter Allgemeinen«. Es sei »doch auch Unsinn, ständig so zu tun, als ob Herr Ramelow die Rückkehr zum DDR-Sozialismus plant. Gelegentlich muss man einige CDU Politiker mal daran erinnern, dass ihre Partei nach dem Fall der Mauer keine moralischen Bedenken hatte, sich die Vermögen und Funktionäre der Blockflöten-CDU einzuverleiben. Die Aufregung rund um die Koalitionsbildung war für mich eher das Zeichen, dass auf Bundesebene nicht nur die Linkspartei noch nicht im 21. Jahrhundert angekommen ist, sondern auch viele ihrer Kritiker nicht.«

Update 8.40 Uhr: SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann hat erneut abgestritten, dass die rot-rot-grüne Landesregierung in Thüringen irgendwelche Auswirkungen auf das Verhältnis von SPD und Linkspartei im Bund habe. »Die Entscheidung hat keinerlei Auswirkungen auf die Bundespolitik. In Thüringen wird über Schulpolitik entschieden, nicht über den Euro oder die NATO. Rot-Rot-Grün ist vor allen Dingen ein gutes Signal für Thüringen und ich rechne mit einer stabilen und verlässlichen Regierung«, sagte der Sozialdemokrat der »Frankfurter Rundschau«. Er halte die »ganze parteipolitische Aufregung« über die Koalition in Thüringen »für übertrieben«. Die Bundestagsfraktion der Linken nannte Oppermann »komplett regierungsunfähig. Einige Mitglieder wollen die Eurozone verlassen, alle sind gegen die NATO, die Europäische Union wird als Hort des Neoliberalismus verunglimpft, und niemand ist bereit, internationale Verantwortung zu übernehmen«. Vielleicht könne aber »Bodo Ramelow seiner Partei langfristig zu einem Realitätsschub verhelfen«, so der SPD-Mann.

Update 7.35 Uhr: Die CDU ist weiterhin über die Entscheidung der SPD empört, mit Bodo Ramelow erstmals einen Linkenpolitiker zum Ministerpräsidenten gewählt zu haben. »Natürlich wird sich das auch auf das Klima in der großen Koalition in Berlin auswirken«, sagte CDU-Vize-Chef Armin Laschet der »Rheinischen Post«. Laschet setzte zudem indirekt die Linke mit der Rechtspartei AfD gleich. »Statt mit dem Finger auf die AfD zu zeigen, sollte sich die SPD lieber Gedanken darüber machen, dass sie in Thüringen eine Partei an die Regierung bringt, die acht SPD-Innenminister vom Verfassungsschutz beobachten lassen.« Der Vize-Chef der Unionsfraktion im Bundestag, Michael Fuchs (CDU), sagte: »Die SPD soll sich schämen. Was sie in Thüringen macht, ist ein Trauerspiel.«

Trittin: »Endlich ökologische und soziale Reformen«

Berlin. Der Fraktionsvorsitzende der Linken im Bundestag, Gregor Gysi, sieht seine Partei nach der Wahl von Bodo Ramelow zum Ministerpräsidenten in Thüringen in einer neuen Rolle. Die Linkspartei »komme in größere Verantwortung«, sagte er der »Mitteldeutschen Zeitung«. Sie müsse sich »in bestimmter Hinsicht etwas disziplinieren. Die gewachsene Verantwortung wird sich auswirken. Alle müssen sich den Realitäten beugen.« In Richtung jener, die Sorgen vor zu viel Kompromissen in Regierungsbeteiligungen haben, sagte Gysi, »wenn man 100 Prozent fordert und 50 Prozent erreicht, ist das ein riesiger Erfolg. Meine Linken leiden immer darunter. Das muss ich ihnen noch beibringen: dass 50 Prozent ein großer Erfolg sind«.

Derweil hat der Grünen-Politiker Jürgen Trittin die Wahl Ramelows am Freitag begrüßt. »Nach fast 25 Jahren hat Thüringen jetzt die Chance mit einer neuen politischen Konstellation den CDU geführten Stillstand zu beenden und endlich ökologische und soziale Reformen voranzutreiben«, sagte Trittin der »Neuen Osnabrücker Zeitung«. Trittin sieht darin ein wichtiges Zeichen auch über die Grenzen Thüringens hinaus. Die Wahl bedeute bessere Kitas statt Erziehungsgeld und führe zu einer umfassende Reform des Verfassungsschutzes, dessen Rolle im NSU-Skandal bis heute nicht geklärt sei. »Rot-Rot-Grün hat den Auftrag der Wählerinnen und Wähler umgesetzt«, so der Grünen-Politiker. »Erbhöfe von CDU oder SPD gibt es nicht mehr. Inzwischen regieren wir Grüne in mehr Ländern als die CDU.«

Der Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen, Roland Jahn, hat Ramelow unterdessen aufgefordert, bei der Aufarbeitung der DDR-Geschichte glaubwürdig zu agieren. »Viele Opfer der SED-Diktatur fühlen sich von einem Ministerpräsidenten der Linken verletzt«, sagte er der »Mitteldeutschen Zeitung«. Für diese Menschen »ist die Aufarbeitung des SED-Unrechts durch die Linkspartei unzureichend. Es ist an der Linken zu beweisen, wie glaubwürdig sie Aufklärung und Aufarbeitung betreibt«, so Jahn.

Ramelow hatte in seiner ersten Rede als Ministerpräsident von Thüringen am Freitag gegenüber Opfern von Unrecht in der DDR eine »Bitte um Entschuldigung« übermittelt und erklärt, »die Landesregierung und unsere drei Parteien haben sich deswegen so intensiv mit dem Thema Aufarbeitung und DDR-Unrecht beschäftigt und einiges in den Koalitionsvertrag hineingeschrieben, was wir angehen wollen. Mit denen, die mit uns gemeinsam diesen Weg gehen wollen«. nd/mit Agenturen

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