Ein Anschlag auf den Islam

Pariser Attentat

  • Tahir Chaudhry
  • Lesedauer: 3 Min.

Allahu Akbar« schrien die Pariser Attentäter, als sie um sich schossen, und fast reflexhaft nannte Bundeskanzlerin Merkel das Attentat einen barbarischen Anschlag auf europäische Werte. Tatsächlich war es aber auch ein Anschlag auf islamische Werte.

Es greift in der westlichen Welt jetzt die Panik um sich, wir würden unsere Freiheiten verlieren, wenn wir die Karikaturen, die durchaus auch friedliche Muslime empfindlich verletzen, nicht unisono verteidigen. Je stärker die Zügellosigkeit der Spötter, heißt es fatalerweise, desto qualitativ hochwertiger die Demokratie. Dabei fußt unser Frieden in Freiheit nicht auf dem Fundament der hemmungslosen Diffamierung, sondern auf wohlwollender Toleranz und gegenseitigem Respekt.

Den Attentätern ging es weder um Satire noch um den Islam. Es ging ihnen um die Vertiefung des Grabens zwischen dem Westen und der islamischen Welt. Daher ist es wichtig, darauf hinzuweisen, dass es auch islamische Werte waren, die durch das Attentat mit Füßen getreten wurden. Es gibt keinen einzigen Vers im Koran, der die Blasphemie unter Strafe stellen würde. Auch die radikalen Kleriker der islamischen Welt wissen, dass allein Gott das Recht für sich beansprucht, über die Spötter zu urteilen.

Der Prophet Mohammed wurde selbst der Blasphemie bezichtigt, als er im 6. Jahrhundert auf der arabischen Halbinsel den einzigen Gott predigte. Erzürnte Mekkaner sahen seine Botschaft als Verschmähung ihrer eigenen Götter an. Sie verhöhnten, folterten und töteten Muslime. Auch später, als der Prophet siegreich in seine Heimatstadt zurückkehrte, wurde er immer wieder schwer beschimpft. Doch er vergab den Spöttern und hielt seine Gefährten davon ab, diese auch nur anzurühren. Im Koran heißt es: »Wenn jemand einen Menschen tötet […] so soll es für ihn sein, als hätte er die ganze Menschheit getötet.« (5:33) Die Mörder von Paris waren nicht nur Feinde der freiheitlichen Werte, sie waren Feinde der Menschheit.

Trotzdem darf niemand den Muslimen das Recht absprechen, sich zu empören. Die verletzende Wirkung der Karikaturen wird dabei potenziert durch den generellen Umgang mit dem Islam. Muslime könnten sicher gelassener reagieren, wenn sie nicht im Allgemeinen das Gefühl hätten, in westlichen Gesellschaften als Fremdkörper zu gelten. Für die abscheuliche Tat gibt es keinerlei Rechtfertigung, Erklärungen gibt es schon. Traurig am Umgang mit den Terroranschlägen ist die fehlende Selbstkritik des Westens und die weithin verschwiegene Verknüpfung zwischen dem islamistischen Terror und der komplexen geopolitischen Lage im Nahen Osten. Der radikale Islamismus ist keine hundert Jahre alt, denn er breitete sich erst als Reaktion auf Fremdherrschaft aus. Die Erinnerung an die Kolonialisierung, das ständige Gefühl der Demütigung durch den Westen und die anhaltende Perspektivlosigkeit sind der Humus, auf dem der islamistische Terrorismus gedeiht.

Angesichts des drohenden Kulturkampfes in Europa müssen wir zusammenstehen. Das können wir aber erst, wenn wir jeden Fanatismus und jede Ungerechtigkeit als unser aller Problem begreifen.

Tahir Chaudhry, 25, ist freier Journalist, Student der Philosophie und Islamwissenschaften und Chefredakteur des Onlinemagazins »Das Milieu« (www.dasmili.eu).

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