Mit dem Helikopter in die Klinik

Immer mehr Krankenhäuser schließen ihre Geburtshilfeabteilungen. Schwangere von der Insel Sylt werden ausgeflogen

  • Angela Dietz
  • Lesedauer: 3 Min.
Landauf, landab schließen Kliniken ihre Geburtshilfeabteilungen. Bundesweit zählte die Deutsche Krankenhausgesellschaft 200 Fälle seit dem Jahr 2003.

Morgens um sechs Uhr hat Lina van der Haar leichte Wehen. Die 34-jährige Sylterin erwartet ihr erstes Kind. Als die Wehen im Minutentakt kommen, platzt die Fruchtblase. Das Fruchtwasser ist grün, weil sich das Kind im Mutterleib entleert hat. Das Risiko: Das Ungeborene könnte verunreinigtes Fruchtwasser einatmen.

Die Schwangere muss also ins Krankenhaus. Doch auf Sylt ist die Geburtshilfe der Asklepios Nordseeklinik in Westerland seit einem Jahr geschlossen. Bleibt nur der Rettungsflug per Helikopter in die Klinik nach Flensburg. Hebamme Anke Bertram beruhigt die Schwangere und ruft die 112. Ab jetzt ist sie nicht mehr zuständig. Um 16.45 Uhr erblickt Aurelia das Licht der Welt in der Diako Klinik Flensburg. Alles ist gutgegangen, bis auf einen Infekt, den der Säugling hat.

Sylter Schwangere können 14 Tage vor dem Geburtstermin in zwei Boarding-Häusern auf dem Festland unterkommen. Die Kassen übernehmen die Kosten. Doch das kam für Lina van der Haar von vorn herein nicht infrage. »Auf unbestimmte Zeit von zu Hause weg geht nicht«, sagt sie. Nur drei bis fünf Prozent der Kinder kommen nämlich »pünktlich« auf die Welt. 2013 hat sich die Zahl der Rettungsflüge bei Geburten von Sylt aufs Festland auf elf verdoppelt. »Gesundheitspolitik à la Absurdistan«, kommentiert die Bürger Initiative Gesundheit (BIG) den Anstieg der Helikoptereinsätze, die ebenfalls von den Krankenkassen bezahlt werden.

Landauf, landab werden Geburtshilfeabteilungen geschlossen. In Schleswig-Holstein sind laut dem Verband der Ersatzkassen in 14 Jahren zehn Geburtshilfestationen dichtgemacht worden, bundesweit seit 2003 nach Angaben der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) 200.

Kliniken auf dem Land haben zunehmend Schwierigkeiten, Fachärzte zu bekommen. Doch das Hauptproblem ist ein anderes. »Durch den Geburtenrückgang wird es für die Krankenhäuser immer schwieriger, Geburtsabteilungen wirtschaftlich zu führen«, erklärt Georg Baum, Hauptgeschäftsführer der DKG. »58 Prozent der Geburtsabteilungen schreiben Verluste.« Die Krankenhauskosten einer Geburt berechnen die Kassen nach dem Fallpauschalen-System (DRG). Doch die Finanzierung für die Geburtshilfeabteilungen ist unzureichend. Selbst ein Betrieb mit Belegärzten und -hebammen, wie zuletzt auf Sylt, erscheint unwirtschaftlich. Ein zusätzliches Problem sind die teuren Haftpflicht-Versicherungen der Belegärzte und -hebammen. Zwar kommt es in der Geburtshilfe nicht häufig zu Schäden, doch einzelne Fälle können besonders teuer werden. Die Schmerzensgeldforderungen reichen bis zu einer Million Euro. Ärzte und Hebammen, die nicht fest angestellt sind, zahlen die Versicherung selbst.

Wie die Bürgerinitiative kritisiert auch Harald Weinberg, Bundestagsabgeordneter der LINKEN, das Finanzierungssystem grundsätzlich. »Das DRG bevorzugt die Krankenhäuser, die viele Fälle in kurzer Zeit mit geringen Kosten machen können«, sagt das Mitglied im Gesundheitsausschuss des Bundestages. Bestimmte Fachabteilungen und ländliche Regionen würden strukturell benachteiligt. »Investitionen in ausreichend und gut bezahltes Personal werden bestraft«, moniert Weinberg. Georg Baum von der DKG will trotz des Geburtenrückgangs für den Erhalt von Entbindungsstationen sorgen. Die Krankenhäuser in Regionen mit starkem Geburtenrückgang und großen Entfernungen zwischen Wohnort und nächster Geburtshilfe müssten höhere Beträge pro Entbindung von den Kassen erhalten, sogenannte Sicherstellungszuschläge. Aber die sind Verhandlungssache zwischen Krankenkassen und Kliniken.

BIG-Vorstand Helmut Müller fordert deshalb Politik und Krankenkassen auf, grundsätzlich umzusteuern. »Auch außerhalb von Ballungszentren muss eine angemessene medizinische Versorgung aller Menschen, insbesondere aber von werdenden Müttern, sicher gestellt werden.« Das wird einer Studie des Deutschen Krankenhausinstituts aus dem Jahr 2013 zufolge in ländlichen Regionen zunehmend schwieriger.

Kleinere Häuser unter 200 Betten haben besondere Probleme. Bis 2020 werden weitere Schließungen von Fachabteilungen erwartet, besonders betroffen sind Gynäkologie und Geburtshilfe. Der Trend geht zu immer mehr großen, zentralen Kliniken.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal