Mietenbremse mit Aussetzern

Ohne Ausnahmeregelungen könnten Berliner Mieter jährlich bis zu 100 Millionen Euro sparen

  • Bernd Kammer
  • Lesedauer: 3 Min.
Von der Mietpreisbremse könnten viele Berliner Wohnungssuchende profitieren. Doch Ausnahmeregelungen schränken ihre Wirkung stark ein, kritisiert der Berliner Mieterverein.

87 Prozent aller Mietangebote auf der Internetplattform Immobilienscout 24 für freie Wohnungen lagen 2013 über der ortsüblichen Vergleichsmiete, und fast 75 Prozent überschritten sie um mehr als zehn Prozent. Dies ist die Grenze, bis zu der laut der geplanten Mietpreisbremse, die demnächst vom Bundestag beschlossen werden soll, bei der Wiedervermietung einer Wohnung die Miete erhöht werden darf. »Die Zahlen verdeutlichen den dringenden Handlungsbedarf, eine Kappung der Mieten bei Wiedervermietung einzuführen«, schlussfolgerte der Geschäftsführer des Berliner Mietervereins (BMV), Reiner Wild.

Im Auftrag des BMV hatte das Forschungsinstitut Regiokontext die Angebotsmieten mit den Werten des Mietspiegels von 2013 verglichen. So überschritten von knapp 68 000 untersuchten Angeboten mehr als 59 000 die ortsübliche Vergleichsmiete. Die lag 2013 im Durchschnitt bei 5,54 Euro pro Quadratmeter netto/kalt, die Angebotsmieten dagegen im Schnitt um 2,50 Euro pro Quadratmeter und damit 47,6 Prozent darüber. Besonders groß ist die Differenz bei bis 1919 errichteten Häusern, wo die Angebotsmieten um mehr als drei Euro (56 Prozent) über den Mietspiegelwerten liegen. »Wenn der Mietspiegel die Zahlungsfähigkeit der Berliner widerspiegelt, dann zeigt dies, dass die Angebote Wohnungssuchende wirtschaftlich überfordern«, so Wild.

Bei den bis 1919 errichteten Häusern überschritten die Angebotsmieten auch den nach Einführung der Mietpreisbremse möglichen Wert am deutlichsten, und zwar um bis zu 60 Prozent. Aber auch die Plattenbauten in den Ostbezirken lagen um bis zu 30 Prozent darüber. Insgesamt schlugen Vermieter für 50 000 und damit knapp 75 Prozent aller 2013 angebotenen Wohnungen mehr als zehn Prozent auf die Mietspiegelmiete drauf. »Bei drei von vier Wohnungen könnte die Mietpreisbremse somit eine Dämpfung entfalten«, konstatierte der BMV-Chef. Der BMV hat ausgerechnet, dass Berlins Mieter dadurch jährlich zwischen 90 und 100 Millionen Euro sparen könnten.

Die Betonung liegt auf »könnten«. Denn im Entwurf der Bundesregierung sind etliche Ausnahmeregelungen enthalten, mit denen der Mietenbremse laut Wild ein »Bärendienst« geleistet würde. »Die Mieter müssen das teuer bezahlen.« Zum Beispiel durch den vorgesehenen Bestandsschutz für bereits in der Vergangenheit verlangte überhöhte Mieten. Der BMV geht davon aus, dass von den 1,45 Millionen Mietwohnungen allein dadurch 450 000 aus der Mietpreisbremse herausfallen. Wird eine Wohnungen mit erhöhter Vormiete wiedervermietet, müsste ein Mieter jährlich 1800 Euro mehr zahlen. Insgesamt würde diese Ausnahmeregelung die Berliner jährlich 56,7 Millionen Euro kosten, schätzt der BMV.

Auch bei umfassender Modernisierung soll die Mietenbremse nicht bremsen. Selbst, wenn die schon 20 Jahre zurückliegt. Als »umfassend« gilt eine Modernisierung, wenn sie zu mehr als einem Drittel vergleichbarer Neubauten kostete. Damit bleiben weitere 43 700 Wohnungen ohne Bremse, was die Mieter mit jährlich knapp sechs Millionen Euro bezahlen. Bei »normaler« Modernisierung gilt die Ausnahmeregelung immerhin drei Jahre rückwirkend, womit die Miete in insgesamt 107 000 Wohnungen über der Zehn-Prozent-Kappungsgrenze liegen könnte.

Insgesamt geht der Mieterverein davon aus, dass für rund 600 000 Wohnungen und damit über 41 Prozent die Mietpreisbremse nicht greifen würde. Bei den während der fünf Jahre, in denen die Bremse gelten soll, zu erwartenden 500 000 Vermietungen würden 186 000 nicht der Mietenbremse unterliegen. Und selbst wenn sie das tun, können Vermieter die Zehn-Prozent-Grenze relativ risikolos überschreiten. Denn die Beweispflicht, dass dies nicht rechtens ist, liegt beim Mieter, und Sanktionen sind nicht vorgesehen. »Wenn die Mietpreisbremse ein Erfolg werden soll, dann mus der Gesetzentwurf erheblich nachgebessert werden«, forderte Wild.

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