Ungereimtheiten im »Fall Nisman«

Die Anklage des tot aufgefundenen Staatsanwalts gegen Argentiniens Präsidentin Kirchner war haltlos

  • Christian Rollmann, Buenos Aires
  • Lesedauer: 4 Min.
Der mysteriöse Tod eines Staatsanwaltes in Argentinien wirft viele brisante Fragen auf. Es geht um einen blutigen Anschlag vor 21 Jahren und um die Rolle von Staatschefin Cristina Kirchner.

Selbstmord oder Mord? Im Fall des in der Nacht zum Montag tot in seiner Wohnung in Buenos Aires aufgefundenen argentinischen Generalstaatsanwalts Alberto Nisman fehlen weiterhin eindeutige Untersuchungsergebnisse, um zu klären, ob sich der 51-Jährige selbst umbrachte oder ob sein Tod durch Fremdeinwirkung herbeigeführt wurde. Die Obduktion gab keine Klärung, auch wenn die Selbstmordthese erhärtet wurde. Die zuständige Staatsanwältin Viviana Fein bestätigte, dass Nisman durch eine kleinkalibrige Pistole der Marke Bersa, die ihm am Vortag ein Mitarbeiter der Staatsanwaltschaft auf eigene Bitte »zur Sicherheit« übergeben hatte, mit einen Kopfschuss getötet wurde.

Die Untersuchung der Leiche ergab nach Justizangaben vom Dienstag zwar keine Hinweise auf Fremdeinwirkung, aber an seinen Händen hätten sich auch keine Schmauchspuren gefunden. Dennoch geht Fein von Selbstmord aus, da die Rückstände von Kleinkaliberwaffen sehr gering sein können. Eine erneute Analyse soll nun weiteren Aufschluss bringen. Zudem werden Telefon und Computer des Toten ausgewertet; am Mittwoch wurden auch die Büroräume des Staatsanwalts durchsucht.

Die Justiz ermittelt zugleich wegen möglicher Anstiftung zum Selbstmord durch Druck und Drohung. Besondere Brisanz hat der Fall, weil Nisman erst vergangene Woche schwere Anschuldigungen gegen Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner, ihren Außenminister Héctor Timerman und andere Funktionäre des linksperonistischen Regierungsbündnisses erhoben hat: Die Regierung Kirchner vereitele die Aufklärung des Bombenanschlags auf die AMIA aus dem Jahr 1994. In der Konsequenz sollte Vermögen der Beschuldigten in Höhe von fast 20 Millionen Euro beschlagnahmt werden.

Nisman war 2004 vom damaligen Präsidenten Néstor Kirchner, dem 2010 verstorbenen Ehemann der jetzigen Staatschefin, zum Chefermittler in Sachen AMIA-Attentat berufen worden. Bei dem Bombenanschlag auf das Gebäude der jüdischen Hilfsorganisation in Buenos Aires starben 85 Menschen, Hunderte wurden verletzt. Der plötzliche Tod von Nisman ereignete sich just in der Nacht, bevor er die Anklage im zuständigen Ausschuss des Abgeordnetenhauses erläutern sollte. Jüngst hatte der Jurist wiederholt erklärt, Todesdrohungen erhalten zu haben. Er hielt ein baldiges Ableben für möglich.

Während viele Regierungskritiker von einer Ermordung des Juristen ausgehen und einige auch der Präsidentin die Verantwortung geben, sind bislang keine Indizien für Fremdeinwirkung öffentlich geworden. Zu Nismans Sicherheit waren zehn Bundespolizisten in dem gut gesicherten Hochhaus im Stadtteil Puerto Madero postiert. Jetzt werden Kameras aus dem Haus und der Umgebung ausgewertet.

Aber auch die Motive für einen möglichen Selbstmord sind unklar; ein Abschiedsbrief wurde nicht gefunden. Darüber hinaus sind die Beweggründe Nismans für die plötzliche Beschuldigung der Präsidentin unbekannt. Die Anklageschrift war unvollständig und dilettantisch zusammengestellt, wie die Reaktion des zuständigen Richters Rodolfo Canicoba Corral verdeutlicht, der das Verfahren in der vergangenen Woche abschmetterte. Er kommentierte, der Schrift Nismans fehlten die notwendigen Beweise, sie verfüge über »wenig bis gar keinen Beweisgehalt«. Die beantragte Aufhebung der im Januar geltenden Justizferien wurde ebenfalls abgelehnt.

Der ehemalige Interpol-Generalsekretär Ronald Noble bezichtigte den Staatsanwalt sogar der Lüge. Nisman hatte dem argentinischen Außenminister Timerman unterstellt, er habe durch ein mit Iran vereinbartes Memorandum darauf hingewirkt, den Interpol-Haftbefehl gegen vermeintliche Drahtzieher des AMIA-Attentats auszuhebeln. Noble dagegen erklärte, dass Timerman bei den Verhandlungen darauf bestanden habe, dass das Memorandum keine Auswirkungen auf die Haftbefehle haben dürfe.

Vor diesem Hintergrund bleibt zu fragen, warum Nisman den Spanienurlaub mit seiner Tochter vorzeitig abbrach und die 15-Jährige dort zurückließ, um in der Sommerpause übereilt eine Anklage gegen die Staatschefin zu veröffentlichen, die nur als politisch motiviert verstanden werden konnte. Die geheimen Abhörtonbänder sowie die Identität zweier Agenten, auf die Nismans Anschuldigungen maßgeblich basierten, wurden mittlerweile per Regierungsdekret freigegeben. Doch auch sie brachten bislang keinen Aufschluss in dem mysteriösen Fall. Ändern könnten das nur belastbare Untersuchungsergebnisse - sofern sie öffentlich werden würden. Die Staatschefin selbst hat unterdessen über soziale Netzwerke mitgeteilt, sie sei »überzeugt«, dass es sich nicht um einen Selbstmord handele. Nisman, so Kirchner, sei für eine Operation nicht näher bezeichneter Gegner der Regierung missbraucht worden.

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