Der Wahlsieg ist SYRIZAs kleinstes Problem

Griechische Linkspartei bereitet sich auch auf Koalitionsverhandlungen vor

  • Katja Herzberg
  • Lesedauer: 6 Min.
SYRIZA steht bei der Parlamentswahl in Griechenland vor einem historisch starken Ergebnis. Doch wie wird die Partei es nach der Wahl nutzen können, besonders wenn die absolute Mehrheit verfehlt wird?

Athen.Sie können es kaum noch erwarten. Wie Jugendliche, die ihrem Geburtstag entgegenfiebern, der ihnen ihre Volljährigkeit bescheinigt und fast alle Freiheiten gibt, freuen sich die Mitglieder, Funktionäre und Anhänger von SYRIZA auf den Wahlsonntag. Nur noch dreimal schlafen, glitzerte es förmlich in den Augen vieler, die am Donnerstagabend im Stadtzentrum von Athen zu Alexis Tsipras' größtem Auftritt vor der Parlamentswahl kamen. Dann, so glauben sie, werden sie das Ruder übernehmen.

Viel Lachen und Jubel war da zu sehen bei den mehreren Tausend Menschen auf und um den Omonia-Platz, trotz mancher Anklage gegen die Troika oder Frau Merkel und trotz der Krise und ihren bitteren Begleiterscheinungen, die auch an diesem Ort nicht verborgen bleiben. SYRIZA gibt sich aber überzeugt davon, am Montag die Schalter umlegen zu können, den Sparkurs, aber auch die Klientelpolitik zu beenden. »Am Sonntag kehrt die Demokratie zurück nach Griechenland«, sagte Parteichef Tsipras und bekräftigte seine Vorstellungen von einer erneuerten griechischen Gesellschaft. »Wir haben eine Vision und die Kraft, sie durchzusetzen«, so der charismatische 40-Jährige, der wie immer im dunklen Anzug und hellem Hemd, aber ohne Krawatte, auftrat.

In seiner 50-minütigen Rede versprach er ein Ende der Austerität. Für das Schuldenproblem müsse mit den Völkern in Südeuropa eine Lösung gefunden werden. Griechenland müsse wieder ein gleichberechtigter Partner in Europa werden. An ihren Forderungen wolle SYRIZA festhalten. »Wir haben keine Angst, wir werden nicht zurückweichen«, so Tsipras. Insbesondere die Sofortmaßnahmen zur Hilfe der Ärmsten seien nicht verhandelbar. »Kein Mensch darf ohne Strom, ohne Haus, ohne Essen bleiben.« Viel Applaus bekam Tsipras auch für seine Schelte an der noch amtierenden Regierung unter dem Konservativen Antonis Samaras, die er als dunkle Mächte beschrieb. Schließlich appellierte Tsipras an seine Mitbürger, zur Wahl zu gehen. Die Hoffnung und Zukunft liege in ihren Händen. »Mit dem Sieg werden wir Geschichte schreiben«, lautete die Schlussbotschaft des gebürtigen Atheners, bevor er unter tosendem Applaus vom Podium trat und die internationalen Gäste begrüßte.

Zu denen zählte neben dem spanischen Podemos-Chef Pablo Iglesias auch LINKE-Vorsitzender Bernd Riexinger und Pierre Laurent, der die Kommunistische Partei Frankreichs sowie die Europäische Linkspartei anführt. Iglesias, dessen Besuch im Vorfeld der Veranstaltung bekannt gemacht wurde, begrüßte in einem kurzen Statement das Publikum und verwies auch auf die spanischen Parlamentswahlen zum Jahresende. »First we take Athens, then we take Berlin« (Erst erobern wir Athen, dann Berlin), wandelte er einen zuvor gespielten Musiktitel ab, ehe die Menge zu dem italienischen Partisanenlied »Bella Ciao« zu singen und schunkeln begann. Diese Einspielung war sicherlich auch ein Dankeschön an die etwa 200 Italiener, die eigens zur Tsipras-Rede angereist waren. Die Aufschrift auf ihren Fahnen »Un'altra Europa con Tsipras« (ein anderes Europa mit Tsipras) erinnerte an die neue linke Liste in Italien bei der Europawahl im Mai vergangenen Jahres, bei der der Grieche Spitzenkandidat der Europäischen Linken war.

Nun hat er mehr denn je die Chance, Ministerpräsident seines Landes zu werden. SYRIZA-Vertreter sind von der Regierungsübernahme ohnehin überzeugt. Aber auch viele Menschen auf den Straßen der Hauptstadt wünschen sich den Wechsel. Zwischen Plakaten verschiedener Größen, Zelten und selbstgemalten Bannern, die an jeder Ecke auf die Wahl hinweisen, fordern sie, dass die Verantwortlichen für die Krisenpolitik und insbesondere Regierungschef Samaras für seine einst selbst ausgerufene »success story« (Erfolgsgeschichte) hinter Gitter gebracht werden. Nur eine neue politische Kraft könne wirklich etwas verändern, zumindest hoffen dies viele Griechen.

Dass SYRIZA mit 32 bis 35 Prozent stärkste Kraft wird, bezweifelt auch kein Umfrageinstitut mehr. Aber dass die Linkspartei allein die Regierung stellen wird, also die absolute Mehrheit im Parlament erringt, ist längst nicht ausgemacht. Und so wird in den Tagen vor der Wahl auch spekuliert und abgewogen, mit wem eine Koalition denkbar wäre.

Rena Dourou, die erste SYRIZA-Politikerin mit einem hohen Regierungsamt – sie ist seit einem knappen halben Jahr Gouverneurin von Attika, der bevölkerungsreichsten Region Griechenlands, – sieht ihre Partei für alle Fälle gewappnet. »Wir sind bereit, Koalitionen einzugehen. SYRIZA ist selbst ein großes Bündnis«, so Dourou bei einem Gespräch in ihrem Amtssitz in unmittelbarer Nähe zur Akropolis. Auf einen möglichen oder nötigen Partner will sie sich aber nicht festlegen. Basis für eine Zusammenarbeit mit anderen wäre ein gemeinsames Programm. Das dürfte mit den Sozialdemokraten der PASOK und der neuen rechten Sammlungsbewegung To Potami aber nur schwer zu machen sein. Dourou hofft daher, dass es für eine Alleinregierung SYRIZAs reicht, sodass ab Montag vieles anders werde. Damit meint die wie Tsipras 40-jährige, resolute und gleichzeitig diskutierfreudige Frau nicht nur die Abkehr vom Sparkurs. »SYRIZA kämpft an zwei Fronten. Wir müssen Antworten auf die großen Probleme des Landes liefern und gleichzeitig der Politik ihre Glaubwürdigkeit zurückgeben.« Deshalb stehe sie selbst auch nicht für ein Regierungsamt zur Verfügung.

Es wird ein steiniger Weg, ist sich auch Theodoros Paraskevopoulos bewusst. Der Ökonom, der ebenfalls für SYRIZA aktiv ist, berichtete in den Räumen der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Athen von den SYRIZA-Vorhaben der Armutsbekämpfung, der Ankurbelung der Wirtschaft und der Reform der Verwaltung inklusive Korruptionsbekämpfung und effektiver wie gerechter Steuererhebung. Dabei wechselte seine Rhetorik zwischen pragmatischen Leitsprüchen wie »Wir siegen vielleicht nicht auf ganzer Linie, aber ein halber Sieg wäre besser als die jetzige Situation« und militaristischem Sprachgebrauch. So sei der aktuelle Kampf SYRIZAs mit dem Vietnamkrieg vergleichbar.

»Hoffnung« ist jedoch das meistgebrauchte Wort im Zusammenhang mit der Wahl. Von der Chance, jetzt endlich in Griechenland mit einer nicht vorbelasteten Regierung voranzukommen, spricht der Taxifahrer genauso wie der Student auf dem Nebensitz im Flugzeug, der nach Griechenland reist, um seine Stimme abzugeben. Und sogar die Antiautoritären wünschen sich in Teilen den Sieg SYRIZAs. Auf »Luft zum Atmen« hoffen sie nicht nur in sozialen Belangen, wie etwa ein Vertreter des Netzwerks für Politische und Soziale Rechte (Diktyo) bei einem Tee erzählt. SYRIZA hat immer wieder auch gefordert, die Sondereinheiten der Polizei und besonders repressive Gesetze abzuschaffen. Diese Anliegen sind zuletzt in den Hintergrund getreten. Deshalb will die Bewegung Druck auf die Linkspartei ausüben und als »unterstützende Opposition« agieren, etwa mit Demonstrationen. Klar sei aber: »SYRIZA ist zurzeit das Beste, was uns passieren kann.«

Was nun aber genau in Griechenland geschieht, ist unmittelbar vor der Wahl in vielerlei Hinsicht offen. Wird eine Koalition nötig? Mit wem wäre sie möglich? Oder läuft es auf eine weitere Wahl hinaus? Mit einem Ausspruch wird Tsipras also in jedem Fall Recht behalten: Die rund 9,8 Millionen wahlberechtigten Griechen haben es am Sonntag selbst in der Hand, die Antworten auf diese Fragen zu geben.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal