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Bomben-Idee zündet nicht

LINKE fordert SPD auf, Gesetz zu Kosten der Munitionsbeseitigung endlich einzubringen

Die Bundestagsabgeordnete Andrea Wicklein (SPD) fordert, dass der Bund für die Räumung alliierter Munition bezahlt. Dann sollten die Sozialdemokraten aber auch handeln, findet Norbert Müller (LINKE).

Um 11.41 Uhr meldete Sprengmeister Mike Schwitzke an die Einsatzzentrale: Die 250 Kilogramm schwere Bombe aus dem Zweiten Weltkrieg ist entschärft. Die Straßen am Potsdamer Hauptbahnhof konnten wieder freigegeben werden. Autos, Busse und Straßenbahnen aber auch die Züge von Fern-, Regional- und S-Bahn durften wieder fahren und 9700 Anwohner in ihre Wohnungen zurückkehren. Das war am 7. Januar. 600 Polizisten, Feuerwehrleute und Mitarbeiter der Stadtverwaltung hatten bei der Evakuierung geholfen und den Sperrkreis in einem Radius von 400 Metern um den Fundort der Bombe abgesichert.

Der Aufwand kostet eine Stange Geld - immer wieder. Erst am 18. Dezember hatte der Kampfmittelbeseitigungsdienst an der selben Stelle in Potsdam schon einmal anrücken müssen. Auch da hatte man eine 250-Kilo-Bombe, einen Blindgänger aus dem Zweiten Weltkrieg, gefunden.

Das ist kein Zufall. Britische und US-amerikanische Bomber hatten am 14. April 1945 Potsdam angegriffen und dabei unter anderem das Stadtschloss und die Garnisonkirche in Ruinen verwandelt. Ihr eigentliches Ziel war aber der Eisenbahnknotenpunkt gewesen. Derzeit wird am Hauptbahnhof ein neues Domizil für die Landesinvestitionsbank errichtet. Es ist keine große Überraschung, dass die Bauarbeiter beim Ausschachten des Fundaments auch auf Blindgänger stoßen. Das Dumme dabei: Der Bund kommt nur für die Räumung deutscher - sogenannte reichseigene - Munition auf. Handelt es sich aber um Bomben oder Granaten amerikanischer, britischer oder sowjetischer Herkunft, bleiben die Bundesländer auf den Kosten sitzen.

Besonders hart trifft das jene Bundesländer, die bevorzugtes Ziel vom Bombenangriffen oder aber Ort schwerer Kampfhandlungen waren - im Westen beispielsweise Nordrhein-Westfalen mit dem Ruhrgebiet und der Rheinmetropole Köln. In Nordrhein-Westfalen werden täglich Bomben entdeckt und an die 1000 Stück im Jahr entschärft. Von den schätzungsweise 1,3 Millionen Tonnen Sprengstoff, die im Zweiten Weltkrieg über Deutschland abgeworfen worden sind, landete ungefähr die Hälfte in Nordrhein-Westfalen. Fünf bis zehn Prozent der Bomben sind nicht detoniert - und solche Bildgänger sind bis heute noch eine große Gefahr. Bomben mit chemischen Langzeitzündern rosten durch und könnten jederzeit hochgehen.

Damit sehr belastet ist auch das Land Brandenburg, auf dessen Territorium zudem im Frühjahr 1945 bis zur Kapitulation Deutschlands wochenlang erbittert gekämpft wurde. Ein bevorzugtes Ziel alliierter Bomber im Umfeld der damaligen Reichshauptstadt Berlin war die Rüstungsindustrie in Oranienburg, wo noch immer besonders viele Blindgänger gefunden werden. Doch wegen des regen Baugeschehens gibt es auch in der Landeshauptstadt Potsdam in letzter Zeit wieder häufiger Bombenalarm. Der Blindgänger vom 7. Januar war die 159. in Potsdam seit 1990 unschädlich gemachte Bombe.

Jährlich würden im Land Brandenburg 500 Tonnen Kampfmittel geborgen und das Land müsse dafür jeweils zweistellige Millionenbeträge aufwenden, die anderswo fehlen, bedauert die Bundestagsabgeordnete Andrea Wicklein (SPD). Seit 1990 summierten sich die Kosten auf 345 Millionen Euro. »Brandenburg hat mit fast 360 000 Hektar den höchsten Anteil zivil genutzter Landesfläche, bei der noch Kampfmittel im Boden vermutet werden«, sagt Wicklein.

Mehrmals versuchten Brandenburg und andere Länder, den Bund dazu zu bewegen, auch für die alliierte Munition zu zahlen. Doch entsprechende Bundesratsinitiativen in den Jahren 1992, 1997, 2001 und 2003 wurden im Bundestag abgelehnt oder gar nicht erst behandelt.

Inzwischen liegt erneut ein Gesetzentwurf im Bundestag vor. Der Bundesrat hatte ihn am 11. Juli 2014 beschlossen, und Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte den Text pflichtgemäß am 27. August dem Bundestagspräsidenten zugeleitet - nebst einer ablehnenden Stellungnahme der Bundesregierung. Begründung: Mit dem Gesetzentwurf werde beabsichtigt, die Finanzierung »einseitig zu Lasten des Bundes zu verändern«, und das würde zu »erheblichen und nicht akzeptablen zusätzlichen Ausgaben für den Bund« führen.

Laut Gesetzentwurf sah der Bundeshaushalt in den Jahren 2008 und 2009 je 30 Millionen Euro für die Kampfmittelbeseitigung vor, 2010 seien es 20 Millionen und 2011 dann 21 Millionen Euro gewesen. Würde das Gesetz in der vorliegenden Form beschlossen, sei mit der Verdopplung der Kosten für den Bund zu rechnen.

Aus den Koalitionsfraktionen CDU und SPD habe sich bislang niemand bereitgefunden, das Gesetz im Bundestag einzubringen, sagt der Potsdamer Bundestagsabgeordnete Norbert Müller (LINKE). Der Entwurf liege deshalb auf Eis. Müller reißt langsam der Geduldsfaden. Wenn sich die SPD nicht endlich zum Handeln entschließe, werde die LINKE das in die Hand nehmen, sagt er. Doch das wäre nur das letzte Mittel und nicht die geschickteste Lösung. Denn wenn die LINKE das Gesetz einbringt, dann droht eine Ablehnung aus Prinzip. Darum möchte Müller der SPD-Abgeordneten Wicklein noch etwas Zeit geben, ihre Fraktion zu überzeugen. Schließlich hatte Wicklein im Zusammenhang mit den beiden jüngsten Bombenfunden in Potsdam eine finanzielle Beteiligung des Bundes angemahnt. »Es kann nicht sein, dass Brandenburg weiterhin auf den Kosten der Beseitigung von Weltkriegsmunition sitzen bleibt«, hatte Wicklein erklärt. Es werde Zeit, dass sich Bund und Länder auf eine »gerechte« Teilung der Kosten einigen. »Dafür werde ich mich einsetzen«, hatte Wicklein versprochen.

»Ich erwarte, dass Frau Wickleins Worten jetzt Taten folgen und die SPD-Fraktion den auf eine Initiative von Brandenburg und Niedersachsen zurückgehenden Bundesratsbeschluss in den Bundestag einbringt«, so Müller. »Daran werde ich sie messen.«

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