Irreführende Sparpolitik

Wolfgang Storz über Kommunikation in der Demokratie und die Macht der Sprache am Beispiel Griechenland

  • Wolfgang Storz
  • Lesedauer: 4 Min.

Anfang dieser Woche gab es in der ARD-Sendung »Hart aber Fair« ein kurzes und scheinbar unbedeutendes Hin und Her über den »richtigen Begriff«. Frank Plasberg, Moderator, fragte - es ging um die Politik der neuen griechischen Regierung - den Mit-Diskutanten Alexis Passadakis, Attac-Vertreter und Politikwissenschaftler, sinngemäß, warum er denn immer von Austeritätspolitik spreche; warum das besser sei, als von Sparpolitik zu sprechen.

In einer Demokratie ist Kommunikation das entscheidende Instrument, um Themen zu setzen, Menschen zu überzeugen, Mehrheiten und damit auch Macht zu gewinnen - oder zu verlieren. Was ich als Politiker fordere, wie ich etwas begründe - da kommt es auf Körperhaltung, Gestik, Glaubwürdigkeit, Gefühle an, aber auch auf meine Sprache, auf Botschaften, Argumente, Verständlichkeit. Es ist kein Zufall, dass von Kommunikationsarbeit die Rede ist.

Die Arbeit endet also nicht, wenn die Analyse gründlich erstellt und die angemessene Programmatik entworfen worden ist. Die Sprache entscheidet darüber, ob und wie das wirkt. Sickern die Botschaften und Begriffe in den Alltag ein oder nicht?

Wir verwenden beinahe automatisch das Wort Steuererleichterungen. Was sind Steuern also? Eine Last. So gilt die Regel: Je niedriger die Steuern, desto entlasteter sind die Bürger. Von hier aus ist der Weg zur Steuerbefreiung und zur Freiheit nicht weit. Und erst das Steuerparadies - wer will da nicht hin?

In diesem alltäglichen Sprachgebrauch spiegelt sich mindestens der halbe Sieg der Gegner von Staat und Sozialstaat: Steuern werden in der Alltagssprache negativ gedeutet, man will sie abschütteln und loswerden. Dabei könnten wir sie in einen positiven Deutungsrahmen setzen. Denn mit höheren Steuereinnahmen wäre der Staat, also wir alle zusammen, in der Lage, bessere Schulen, Krankenhäuser, Verkehrssysteme oder Bibliotheken zu bauen.

Wirklichkeit gibt es in vielen Fassungen: Jeder Mensch deutet sie aufgrund seiner Erfahrungen, seiner Bedürfnisse, seiner Wünsche - und damit jeweils anders als die anderen. Und in Wechselwirkung kommen Konstruktionen auf der Ebene der Gesellschaft und des massenmedialen Systems hinzu; es geht um Normen, um Stereotypen, alle durchsetzt von handfesten Interessen.

Bis in die 1990er Jahre hinein galt ein starker Wohlfahrtsstaat mit einer guten öffentlichen Infrastruktur auch für die Wirtschaft als Produktivfaktor erster Güte. Diese Deutung müsste erst wieder einmal mühsam zurückerobert werden.

Alexis Passadakis intervenierte gegenüber Plasberg zurecht so: Der Begriff Sparpolitik führe meist in die Irre, im Falle Griechenland ganz sicher sogar. Denn Sparen klinge so positiv. Jemand, der genügend Geld und Ressourcen habe, lege etwas zur Seite für schlechte Zeiten; also ein Akt des souveränen momentanen Verzichts. Und jeder gebe nur das aus, was er sich leisten könne, jemand spare Energie. Diese Deutungen transportiere der Begriff Sparpolitik und verfälsche damit die Wirklichkeit.

Denn: In Griechenland gehe es um etwas völlig anderes. Menschen, die bereits zu wenig besäßen, werde noch mehr weggenommen, was sie nie wieder bekommen sollen. Wenn der Begriff Sparpolitik, das, was die Troika aufgrund der Vorgaben der EU in Griechenland anrichtet, nicht nur verharmlost, sondern verfälscht, dann ist die erste Konsequenz daraus: Der begriff darf in diesem Zusammenhang nicht mehr verwendet werden. Aber: Welcher Begriff kennzeichnet also die brutale Lage in Griechenland und verfälscht und verharmlost sie nicht? Passadakis spricht lieber von Austeritätspolitik. Das heißt im Kern: streng sparen. Ist der Unterschied groß genug? Und: Wer kann mit diesem Fachbegriff schon etwas anfangen?

Wer sagt: Die von der EU errichtete Spar-Diktatur habe Griechenland (beinahe) in eine humanitäre Katastrophe gestürzt, wer von Streich-Politik, Kaputt- oder Totsparen spricht, der beschreibt die Lage in Griechenland und den Charakter der EU-Politik diesem Land gegenüber sicher präziser und markanter.

Schnelle Lösungen gibt es nicht. An solchen Begriffen muss gearbeitet, gefeilt, sie müssen ausprobiert und dann von möglichst vielen systematisch genutzt werden.

Die »Anderen« investieren deutlich mehr Energie und Sorgfalt in diese Arbeit.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal