Eisenstein on the Beach

Bei den Berlianle Biopics prallen die Kulturen aufeinander

  • Katharina Dockhorn
  • Lesedauer: 4 Min.
Campino von den «Toten Hosen» begleitete Wim Wenders auf dem Roten Teppich vor der Ehrung mit der Berlinale-Kamera, Kaja von Garnier porträtierte die Skorpions, Curt Coboin stand im Focus einer Doku. An die Beach Boys erinnert «Love & Mercy», der Holländer Anton Corbijn folgt in «Life» dem Entstehen der berühmtesten Aufnahmen von James Dean und Peter Greenaway nähert sich Eisenstein.

Das Enfant Terrible des internationalen Films, mit dem Meisterwerke wie «Der Kontrakt des Zeichners» auf ewig verbunden sind, kehrt nach seinen artifiziellen Bilderreigen mit «EISENSTEIN IN GUANAJUATO» zur narrativen Erzählform zurück. Er folgt dem gefeierten Staatskünstler und Schöpfer von «Streik» und des «Panzerkreuzer Potemkin» nach Mexiko, wo er zunächst die Segnungen der Zivilisation wie fließendes Wasser kennen lernt. Etwas unwahrscheinlich, schließlich stammt Eisenstein aus einer reichen Familie. Sein Vater entwarf in Riga ganze Stadtviertel im Jugendstil, die gerade liebevoll restauriert wurden.
Der Vater gehört zu den sechs Dämonen, die den Regisseur verfolgten, erzählt Greenaway, und dann fallen ihm auf die Schnelle nur fünf ein. Das Gespräch wird wie der Film zu einer amüsanten und kurzweiligen Plauderei über Filmgeschichte. Greenaway kombiniert die Spielhandlung um einen zehntägigen Aufenthalt des Regisseurs in Suedamerika über die Spleet-Screen mit Originalaufnahmen der Filmklassiker und Fotos von Eisenstein mit den Film-Groeßen seiner Zeit. Marlene Dietrich, Charlie Chaplin, jeder wollte dem Visionär die Hand schütteln.

Doch langsam kommt Greenaway auf den Punkt. Eisenstein, zunächst wie ein naives Kind und sexuell verklemmter Pubertierender gezeichnet, entdeckt seine homoerotische Neigung, Ein Tabu in der Sowjetunion, über das nur geflüstert wurde, bestätigt meine russische Kollegin. Was Greenaway mit einem erstaunten Blick quittiert. Er dachte, dies war ein gut gehütetes Geheimnis.

Hauptdarsteller Elmer Bäck gilt nach seiner grandiosen Performance als Favorit für den Silbernen Bären. Greenaway selbst macht sich wenig Hoffnung. Er fühlt sich zu alt. Bis Mitte 30 hätten Künstler ihre kreativste Phase, alles andere sei Wiederholung.

Anton Corbijn hat sich nach einer Karriere als Fotograf erst spät den Film zugewandt, in neun Jahren entstanden vier innovative Filme wie «Control» und die Carre-Adaption «A Most Wanted Man». Nun folgt das Biopic «Life» mit Teenie-Schwarm Robert Pattinson als junger Fotograf Dennis Stock, der für seine Leidenschaft die Familie vernachlässigt. Er heftet sich an die Fersen des eigenbrötlerischen James Dean, der kurz vor seinem Durchbruch steht. Die Begegnung wird zu einem Seelentrip, die Schauspiellegende stellt sich den Dämonen seiner Kindheit. «Beide lernten voneinander und brauchten sich. James Dean heuerte Stock später als Begleiter und Set-Fotograf beim Dreh von »… und sie wissen nicht, was sie tun« an. Er spürt die Sehnsucht von Dean nach Freundschaft, Zuwendung und Familie. Über die Erfahrung nähert er sich endlich seinem eigenen Sohn an, denkt Corbijn.

Am Ende stehen dann jene Fotos, die Stock berühmt machten und die Fotografie nachhaltig beeinflussten. Auch Corbijn selbst, wie der Niederländer erzählt. Wie Stock zählt er W. Eugene Smith zu seinen wichtigsten Inspirationsquellen. In Life» feiert die Fotografie als Kunstform, von der er selbst nicht loskommt. Für die kommenden Monate plant er mehrere Ausstellungen.

Beide Biopics wählen eine Begebenheit aus dem Leben der Künstler, die zu Schlüsselerlebnissen wurden. «Love & Mercy» um Musik-Legende Brian Wilson, dem Visionär hinter dem Pop-Wunder «Beach Boys”, verbindet elegant zwei Zeitebenen. Zu Beginn der 1960er landeten die Australier 20 Hits innerhalb von zwei jahren, der Surfsound wurde zum Symbol für das freie Leben an den Küsten des fünften Kontinents und das Lebensgefühl der Freizeitsportler. Doch Wilson war nicht zufrieden. Seine Brüder und Cousins gingen auf Tournee, doch er tüftelte an innovativen Sounds, die er mit Symphonikern und Geräuschen einspielte. Er setzte sich durch, Good Vibrations ist bis heute ein Ohrwurm.

Ein Jahrzehnt später ist Wilson am Ende. Er ist entmündigt, leidet unter Depressionen, die Medikamention ist falsch. Erst die Hartnäckigkeit seiner zweiten Frau und der Mut seiner Haushälterin befreien ihn aus den Klauen seiner Haushälterin.

Life und Love & Mercy kommen in diesem jahr ins Kino. Greenaway hofft noch auf einen Verleih in Deutschland. Für ihn steht fest, dass er weiter macht. Zwei weitere Biopics über das Leben des Regiegenies werden folgen. Schliesslich hat er noch sechs jahre zu arbeiten.

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