Alles nur Spekulation

  • Robert D. Meyer
  • Lesedauer: 3 Min.

Besitzen Sie Aktien? Falls dies der Fall sein sollte: Herzlichen Glückwunsch! Denn damit gehören Sie mit weitem Abstand jener privilegierten Minderheit in diesem Lande an, dem das Öffentlich-Rechtliche täglich großzügig Sendezeit einräumt. Wofür Migranten, Sinti und Roma, Flüchtlinge, Menschen mit Behinderung und Arbeitslose seit jeher kämpfen, wird dem Wertpapierbesitzer allabendlich »Live von der Börse« selbstverständlich zu teil: Aufmerksamkeit. Wahrscheinlich handelt es sich bei Formaten wie der »Börse vor acht« (ARD) auch schlicht um einen groß ausgebreiteten Rettungsschirm für eine aussterbende Art.

Wie Oliver Baron vor wenigen Tagen auf godmode-trader.de berichtete, vertrauen immer weniger Menschen ihr Erspartes den allseits verniedlichend als »scheue Rehe« bezeichneten Märkten an. Inzwischen wetten nur noch 13,1 Prozent der Bevölkerung an der Börse mit, Tendenz seit Jahren stark fallend. Eine derartige Entwicklung schlägt sich allerdings keinesfalls in der Berichterstattung nieder.

Nimmt man die Minuten, in denen uns die beiden studierten Politikwissenschaftlerinnen Anja Kohl (ARD) und Valerie Haller (ZDF) vom Frankfurther Börsenparkett aus die Wirtschaftswelt erklären, als Messlatte, wir müssten ein Volk von Derivatezockern und Optionsscheinekäufern sein. Wahrscheinlich können die meisten Zuschauer mit diesen Begriffen wenig anfangen. Somit wird wiederum klar, weshalb sich die Mehrheit der Medienkonsumenten ein Kreditprogramm für Griechenland auch als Hilfspaket verkaufen lässt, und es nicht hinterfragt, wenn der hellenische Finanzminister Yanis Varoufakis spöttisch auf die Rolle des »linken Dandys« (»Zeit«) und von der »Süddeutschen« als »George Clooney Athens« reduziert wird, obwohl der Wirtschaftswissenschaftler von der Eliteuni Essex tatsächlich etwas zu sagen hätte, wenn man ihn ließe.

Die gesamte Wirtschaft und aktuell das Schicksal Griechenlands, spielt sich in Teilen der Nachrichtenwelt allerdings oft vornehmlich an der Börse ab. Athen muss in der Berichterstattung aus der globalen Finanzwelt derzeit als Sündenbock für fast jede Kursentwicklung herhalten. Als an den US-Märkten der Dow Jones am Dienstag um Milliarden US-Dollar vernichtende 0,18 Prozent nachgab, war sich die »Deutsche Presseagentur« in ihrer messerscharfen Analyse sicher: »Griechenland-Krise und Daten belasten etwas die US-Börsen«.

Als am gleichen Tag auch das deutsche Börsenbarometer für den DAX rote Zahlen anzeigte, hieß es: »Griechenland-Drama zieht DAX deutlich runter«. Eine bedeutungsschwere Rolle für ein kleines Land, dessen wirtschaftliche Bedeutung in der Eurozone, milde ausgedrückt, überschaubar ist. Der Kabarettist Georg Schramm erklärte das medial vermittelte dominante Zerrbild von der griechischen Tragödie beim Politischen Aschermittwoch in Berlin: Athen richte die Pistole nicht gegen die EU, sondern aus Verzweiflung gegen sich selbst. Solche Analysen finden in der börsenfixierten Berichterstattung keinen Platz.

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