Mitbestimmung als Glaubensfrage

Das Johannische Sozialwerk will nicht wahrhaben, dass ein Betriebsrat gewählt wurde

  • Jörn Boewe
  • Lesedauer: 4 Min.
Die Betriebsratswahl beim Johannischen Sozialwerk wirft ein Schlaglicht auf ein Grundproblem des deutschen Arbeitsrechts - das Privileg der Kirchen, ihre eigenen Gesetze zu machen.

»Guten Tag … ich bin erst wieder ab 9. März im Büro«, teilt die telefonische Abwesenheitsansage der Personalchefin des Johannischen Sozialwerks mit. Für die Wohlfahrtseinrichtung der Johannischen Kirche, einer kleinen evangelischen Freikirche mit bundesweit 3000 Mitgliedern, bedeutet das nichts Gutes. Denn auf dem Tisch liegen Anträge des Betriebsrates, und über die sollte bis zum 6. März entschieden sein. Passiert bis dahin nichts, droht ein Konflikt vor dem Arbeitsgericht.

Der Betriebsrat ist neu. Am 20. Februar hat er beschlossen, den Arbeitgeber aufzufordern, ihm binnen zwei Wochen einen Raum und Arbeitsmittel zur Verfügung zu stellen, wie es ihm nach Paragraf 40 des Betriebsverfassungsgesetzes zusteht. Das Problem ist, dass es aus Sicht der Johannischen Kirche gar keinen Betriebsrat gibt. Die Johannische Kirche glaubt an die Wiedergeburt, ans Heilen durch Handauflegen und hält ihren Gründer Joseph Weißenberg für den zurückgekehrten Messias. Aber dass sie seit Anfang Februar einen Betriebsrat im eigenen Haus hat, will sie partout nicht wahrhaben.

»Wir informieren Sie erneut«, hatte die Leitung Ende Januar per Aushang mitgeteilt, »dass das Betriebsverfassungsgesetz auf das Johannische Sozialwerk e. V. nicht anwendbar ist und daher aufgrund des Fehlens einer gesetzlichen Grundlage kein Betriebsrat gewählt werden kann.« Dennoch bestimmten die rund 45 Beschäftigten der Sozialstation in Berlin-Grunewald Anfang Februar ihren Betriebsrat. Unterstützt wurden sie dabei von der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, deren zuständiger Sekretär Kalle Kunkel umgehend mit Hausverbot belegt wurde. Die Johannische Kirche werde ihm »keinen Zutritt zu unserem Betrieb gewähren«, heißt es in einem dem »nd« vorliegenden Schreiben, »weder am 03. Februar 2015 noch an einem anderen beliebigen Tag«.

Zur Begründung dieser harten Haltung beruft man sich auf das kirchliche Selbstbestimmungsrecht. Paragraf 118, Abs. 2 des 1952 verabschiedeten Betriebsverfassungsgesetzes nimmt Religionsgemeinschaften von der betrieblichen Mitbestimmung aus. Die Kirchen hatten damals intensive Lobbyarbeit bei der Regierung Adenauer betrieben und im Gegenzug versprochen, eigene vergleichbare Regelungen zu schaffen. In den großen Kirchen und ihren Einrichtungen können heute immerhin Vertretungsorgane der Beschäftigten gewählt werden. Kleinere Glaubensgemeinschaften, Freikirchen und Sekten haben jedoch oft überhaupt keine solchen Grundsätze.

Ver.di sieht hier eine Gesetzeslücke. »Der Gesetzgeber hat den Kirchen die Möglichkeit eingeräumt, selbst Regelungen für Interessenvertretungen zu schaffen«, sagt Gewerkschaftssekretär Kunkel. »Wenn eine Kirche davon keinen Gebrauch macht, darf kein rechtsfreier Raum entstehen. Dann müssen ganz normal Betriebsräte gewählt werden können.« Situationen wie die im Johannischen Sozialwerk seien in religiösen Einrichtungen, die nicht der Evangelischen Kirche Deutschlands (EKD) beziehungsweise der katholischen Kirche angehören, nicht selten. Belastbare Zahlen gibt es allerdings nicht, da in Deutschland niemand eine Statistik über mitbestimmungsfreie Betriebe führt.

Doch die Situation in den Freikirchen und religiösen »Sondergemeinschaften« ist aus ver.di-Sicht nicht der Kern des Problems. Der liegt vielmehr darin, dass den rund eine Million Beschäftigten von Diakonie und Caritas immer noch ihre demokratischen Rechte aus dem Betriebsverfassungsgesetz vorenthalten werden. Denn eine »Mitarbeitervertretung«, die nach »Kirchenrecht« zustande kommt - sei es nun evangelisch oder katholisch - heißt nicht nur anders als ein Betriebsrat, sondern hat tatsächlich viel weniger mitzubestimmen. Beispiel: Der Chef im Krankenhaus eines weltlichen Trägers will die Dienstpläne ändern, um die OP-Säle besser auszulasten. Er stellt beim Betriebsrat den Antrag, künftig auch samstags regulär operieren zu lassen. Wenn der Betriebsrat sich dazu nicht äußert, bleibt alles, wie es ist. Anders in einem Krankenhaus von Diakonie oder Caritas: Wenn die Mitarbeitervertretung dem Ansinnen des Chefs innerhalb von 14 Tagen nicht ausdrücklich widerspricht, gilt die Zustimmung als erteilt.

»Die kirchlichen Mitarbeitervertretungsgesetze sind von den Standards des Betriebsverfassungsgesetzes meilenweit entfernt«, sagt Berno Schuckart-Witsch, der bei der ver.di-Bundesverwaltung für die kirchlichen Einrichtungen im Gesundheitswesen zuständig ist. »Wir fordern deshalb die ersatzlose Streichung des Kirchenparagrafen 118 (2).« Denn in der Praxis werden Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen kirchlicher Träger seit Jahren genauso nach betriebswirtschaftlichen Kriterien geführt wie alle anderen. Und: Sie werden auch nicht aus Kirchensteuern, sondern komplett aus Steuer- und Sozialversicherungsmitteln finanziert. »Deshalb hat der Staat auch die Pflicht, zu garantieren, dass die Beschäftigten in diesem Bereich dieselben Schutzrechte in Anspruch nehmen können wie alle anderen.« Mit der derzeitigen Regierungskoalition wird der Kirchenparagraf allerdings nicht zu kippen sein. Vielleicht sieht es mit der nächsten besser aus: Sowohl SPD, LINKE und Grüne sind für die Streichung.

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