Trag in Dresden nicht die Kippa!

»Mischpoke. Eine jüdische Chronik« im Theater

  • Volker Trauth
  • Lesedauer: 4 Min.

Selten ist die Aktualität eines Theatertextes in so auffälliger Weise durch das politische Geschehen außerhalb des Theaters bestätigt worden. Im Kleinen Haus des Staatstheaters Dresden lief die Premiere des auf Interviews mit jüdischen Bürgern basierenden Stücks »Mischpoke« - und auf den Straßen der Elbestadt fanden sich Tausende von Demonstranten zu einer Kundgebung gegen Fremdenhass und Antisemitismus. Das Plakat am Eingang der Dresdner Kunstakademie mit dem Goethe-Zitat aus dem West-östlichen Diwan - »Wer seine Gäste nicht schützt, wird selbst nicht beschützt werden« - kündete von der Solidarisierung Dresdner Künstler mit den Demonstranten. Es schien, als ob der Text von »Mischpoke« auf jüngste Politikerworte direkt Bezug nimmt.

Wenn der im arabischen Teil Israels geborene Ehut von der Großmutter ermahnt wird, in Dresdens Straßen die Kippa nicht zu tragen, gerät die Empfehlung des Präsidenten des Zentralrats der Juden, sich in »bestimmten Vierteln« nicht als Juden erkennen zu lassen, ins Blickfeld. Als ob sie auf Netanjahus Behauptung, Heimstatt der Juden sei allein Israel, antwortet, bekennt die 1992 in Rostow geborene Faina Lyubarskaja, sie habe ihre Heimat in Dresden gefunden - so wie andere Darsteller des Abends, deren Lebensweg hierher geführt hat.

»Jüdische Chronik« steht als Nebentitel über dem Text, und der Blick geht zurück auf die Vorgeschichte des jüdischen Volkes und später auf die tragischen Lebenswege einzelner jüdischer Bürger. Der Bericht über die Sprachverwirrung beim Turmbau zu Babel geht über in die an der Landkarte demonstrierte Flucht und Auswanderung von Juden in verschiedene Länder der Erde, ihre nie endende Heimatsuche. Erzählt werden tragische und auch Hoffnung stiftende Lebensgeschichten. Die Cousine des kommunistischen Dichters Max Zimmering berichtet von dessen Verfolgung und Vertreibung durch die Nazis, seinen Irrwegen über die Tschechoslowakei, London und Australien und seine späte Heimkehr nach Deutschland.

Auf Irrwege und Heimatsuche blickt auch der 29-jährige Ehut Roffe zurück: Kriegsdienstverweigerung in Israel, erste Flucht nach Deutschland, Gelegenheitsarbeiten in Israel nach der Rückkehr, die zweite Flucht nach Deutschland, Wehrdienstverweigerung und die nach wie vor bestehende Begeisterung für Bibelsprüche wie Moses Aufforderung »Gehe hinein ins Zelt und habe keine Angst«. In die 6. Klasse einer Grundschule in Pieschen geht indessen der in Dresden geborene Joshua Lautenschläger. Stolz blickt er auf die verschlungenen Lebenswege seiner aus Italien gekommenen Eltern, die ihn zur Liebe zum Judentum erzogen haben.

Regisseur David Benjamin Brückel hat versucht, die von der Autorin Dagrun Hintze zur Chronik geformten Texte mit erhellender Bildhaftigkeit zu erzählen. Ein überlebensgroßes Buch wird aufgeschlagen und die Innenseiten setzen sich zu bunten Bildern von der Vertreibung aus dem Paradies oder zur Idylle von jungen Menschen mit Hammer und Zirkel zusammen. Dokumentarmaterial von Genschers Rede in der Botschaft in Prag oder von der ersten Rede des frisch gewählten Präsidenten Wilhelm Pieck werden eingespielt, ein Mitspieler verliest die Erklärung der frei gewählten Volkskammer von 1990 über die deutsche Schuld am Holocaust.

Mit szenischen Erfindungen sollen Momente von Ausgrenzung und Aufbruch über den Text hinaus ins Bild gezwungen werden: Wie ein Block der Verdammten schließen sich die Mitspieler zusammen und schreien mit bitterem Spott all die Vorurteile als Selbstbezichtigung heraus, denen Juden ein Leben lang ausgesetzt waren: »Wir sind gewissenlose Geschäftemacher.« »Wir haben das jüdisch-kapitalistische Bankensystem erfunden.« »Wir haben Adolf Hitler das Kunststudium verwehrt.« ...

Wenn sich Ehut mit seinen Freunden für den Krieg begeistert, stürmen sie mit Maschinengewehr bewaffnet unter den flackernden Blitzen der Lichtzerhacker über die Bühne. Zu selten allerdings ist der Berichtstext zu Spielszenen verdichtet worden - so wie in der bitter-komischen Szene von der Asyl- Antragstellung, die mit abschlägigen Bescheid endet, weil es die Sowjetunion als Herkunftsland nicht mehr gibt. Ansätze schauspielkünstlerischer Gestaltung findet Ehut Roffe in einer Musterungsszene, wenn er sich provozierend begriffsstutzig stellt und so seine Ausmusterung erzwingt.

Solche Ansätze allerdings gibt es an diesem Abend des mit Nachdruck gesprochenen Textes zu wenig - bei allem Respekt vor dem ehrlichen Anliegen der Spieler.

Nächste Vorstellung: 15.3.

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