Freude und Sorgen auf der Krim

Mit der Angliederung an Russland ist das Leben auf der Halbinsel nicht einfacher geworden

  • Denis Trubetskoy, Sewastopol
  • Lesedauer: 7 Min.
Die russische Führung zeigte vor einem Jahr mit der Übernahme der Krim ihre Macht. Heute geht es der Halbinsel nicht unbedingt besser, doch die meisten Menschen stellen die Ereignisse nicht infrage.

Seit einem Jahr gehört die sonnige Halbinsel am Schwarzen Meer faktisch nicht mehr zur Ukraine, sondern zur Russischen Föderation. Nicht nur das Leben hier, sondern auch die Krim selbst hat sich in dieser Zeit sehr verändert. Von den Ereignissen, die vor einem Jahr über die Halbinsel hereinbrachen, hat Sergej Gorbatschow fast sein ganzes Leben lang geträumt. Der 54-Jährige diente 36 Jahre bei der russischen Flotte und arbeitete gleichzeitig als Militärjournalist. Jetzt ist er in Sewastopol, der größten Stadt der Halbinsel, Regierungssprecher.

Doch das Gespräch, das in einer Bibliothek in der Innenstadt von Sewastopol stattfindet, wo seit über 250 Jahren die russische Schwarzmeerflotte stationiert ist, beginnt etwas merkwürdig. »90 Prozent der ausländischen Journalisten arbeiten für die Geheimdienste. Vor kurzem schickten mir Kollegen der BBC ihre Fragen - es war gleich klar, dass es sich nicht um einfache Journalisten handelt«, meint Gorbatschow und macht gleich weiter: »Leute wie Sie werden normalerweise einfach benutzt. Das sage ich aus meiner Erfahrung.«

Misstrauen ist auf der Krim Normalität geworden - vor allem gegenüber westlichen Medien, die von vielen Krimbewohnern als Propagandisten betrachtet werden. Für Regierungssprecher Gorbatschow ist das kein Problem - mit der aktuellen Lage auf der Halbinsel ist er trotz Problemen zufrieden. »Einiges ist schwieriger geworden, das war aber vorher klar. Ansonsten kann man feststellen, dass die Krim sich in die russische Realität integriert hat«, sagt er mit einem Lächeln. Das angesprochene Misstrauen gehört wohl einfach zu dieser Realität.

Wie sieht aber das Leben auf der russischen Krim tatsächlich aus? Darüber kann in Russland und in der Ukraine unendlich gestritten werden. Wer meint, die Krim sei zum russischen Paradies geworden, hat genau so wenig Recht wie jene, die das Leben auf der Krim als völlig unerträglich bezeichnen. Die Wahrheit liegt irgendwo in der Mitte: Es gibt zwar genug Lebensmittel, doch die Auswahl ist knapper geworden - die Preise sind zumindest um 30 bis 40 Prozent gestiegen. Das erklärt beispielhaft manches, das auf der Halbinsel vorgeht.

Die Zeit der hohen Gehälter und Renten dürfte aber wohl vorbei sein. Im öffentlichen Sektor wurden die Zahlungen gleich nach der Angliederung stark angehoben. Doch seit dem 1. Januar hat sich einiges verändert. »Im vergangenen Jahr habe ich 30 000 Rubel (ca. 470 Euro) im Monat bekommen, jetzt verdiene ich aber nur 24 000 (ca. 370 Euro). Ab 1. April werden die Gehälter wieder neu berechnet - niemand weiß so genau, wie viel man verdienen wird. Aber es wird wohl wieder gekürzt«, erläutert eine Lehrerin. Sie ist trotzdem zufrieden: »Das ist immer noch mehr als in den ukrainischen Zeiten.«

Mit den Preisen, die zumindest in Sewastopol und in Jalta sehr stark an Moskau erinnern, kommen nicht alle klar. Unzufriedenheit wird manchmal deutlich. Das heißt aber noch lange nicht, dass man zurück in die Ukraine will: »Auch wenn ich über eine Umsiedlung in die Ukraine nachdenke, habe ich mich doch entschlossen, vorerst hier auf der Krim zu bleiben. Die wirtschaftliche Lage auf dem ukrainischen Festland scheint noch schlimmer zu sein«, erzählt ein 27-jähriger Ex-Unternehmer.

Seine Einschätzung ist nicht so weit von der Realität entfernt, auch wenn die Krim unter wirtschaftlicher Isolation leidet. Vor allem die US-Sanktionen gegen die Halbinsel, die im Dezember in Washington beschlossen worden sind, haben das Leben stark beeinflusst. Konkret geht es u.a. um die internationalen Zahlungssysteme wie Visa, MasterCard und PayPal, die auf der Krim praktisch nicht mehr abrufbar sind. Auch Angebote von Google kann man seit dem US-Beschluss nur beschränkt nutzen. Sich völlig auf die russischen Alternativen umzustellen, ist wohl unmöglich.

Der 43-jährige Andrej kam im Jahr 2008 mit seiner Familie aus Saporischschja auf die Krim, weil hier »die Luft deutlich besser ist«. Andrej ist ein Fachmann für Finanzoperationen im Netz. Zahlreiche Firmen sowohl in der Ukraine als auch in Russland hatten ihn beauftragt, ihre Geschäfte über das Internet abzuwickeln. »Seit vielen Monaten verdiene ich nichts mehr. Fast alle Konten sind blockiert - man kann von der Krim aus in diesem Geschäft nicht überleben«, meint der Familienvater. Dessen 18-jähriger Sohn musste sein Studium an einer Hochschule beenden, weil er keinen russischen Pass haben wollte.

Seinen wirklichen Namen will Andrej nicht nennen, weil er um seine Zukunft fürchtet. Das ist verständlich: Die Russen nennt er während des Gesprächs nur noch »Okkupanten«. Das ist auf der Krim im Moment nicht ganz ungefährlich. Die Minderheiten, zu denen nicht nur Ukrainer, sondern auch Krimtataren und proukrainische Russen gehören, stehen massiv unter Druck der russischen Sicherheitsbehörden. Sogar bei der Feier anlässlich des Geburtstags des berühmten ukrainischen Dichters Taras Schewtschenko in Simferopol wurden drei ihrer Organisatoren festgenommen - einer von ihnen verlor seine Stelle an einer Schule in Simferopol, der Hauptstadt der Halbinsel.

Besonders schwierig sei die Lage für die Krimtataren, beklagen Menschenrechtler. Sie weisen vor allem darauf hin, dass Ukrainer und Russen die Halbinsel verlassen können. Die Krimtataren aber seien Jahrzehnte nach der Deportation erst in den 90er Jahren zurückgekehrt. Vor allem die 70 Prozent aller Krimtataren, die sich der Medschlis, der Vertretungskörperschaft ihres Volkes, zugehörig fühlen, haben heutzutage Probleme.

Nicht nur Mustafa Dschemilew und Refat Tschubarow, beide Anführer des Medschlis, die in der ukrainischen Rada als Abgeordnete sitzen, können nicht mehr auf die Krim reisen - mittlerweile betrifft das auch andere Vorstandsmitglieder. Leider ist das Verschwinden von Krimtataren wie auch anderer politischer Aktivisten keine Ausnahme - das passiert öfter, als man darüber in den Medien erfährt.

Olena Sokolan hat mit anderen Problemen zu kämpfen. Als ehemalige Journalistin des ukrainischen Senders »Kanal 5«, der dem Kiewer Präsidenten Petro Poroschenko gehört, steht die 27-Jährige unter öffentlichem Druck. Ihr Vater, so heißt es, sei wegen der journalistischen Tätigkeit von Olena aus einer staatlichen Anstellung entlassen worden. Die Journalistin selbst, die auf der Krim geboren wurde, hatte bis März 2013 in Kiew gelebt. Als Sokolan schwanger wurde, kehrte sie auf die Halbinsel zurück.

Olena ist aber eine von jenen Bürgerinnen, die auf die russische Staatsbürgerschaft verzichteten. Jetzt muss sie sogar eine Aufenthaltserlaubnis beantragen. Das aber ist im russischen bürokratischen System alles anderes als einfach. »Im letzen Jahr musste man nicht so viele Dokumente mitbringen, doch die Schlangen waren unglaublich lang. Ich habe ein kleines Kind und kann nicht ständig stehen. Seit dem 1. Januar ist alles noch komplizierter geworden«, erklärt Olena Sokolan. »Außerdem habe ich mich einfach darüber geärgert, dass ich in meiner Heimat irgendwelche Genehmigungen einholen muss.«

Ohne den russischen Pass muss die junge Mutter auf einiges verzichten - auch auf kostenlose medizinische Hilfe, die sonst sehr teuer sein kann. Mit der Unterstützung, die die ukrainische Regierung den eigenen Staatsbürgern auf der Krim leistet, ist Olena ebenfalls nicht zufrieden: »Ich kann zwar vieles verstehen, doch ich will auf keinen Fall auch noch in der Ukraine beweisen, dass ich ukrainische Staatsbürgerin bin.«

Auf dem Festland muss Olena Sokolan gleich anderen Krimbewohnern mit Einschränkungen der Bürgerrechte rechnen. Wer auf der Halbinsel gemeldet ist, ist ab Herbst kein ukrainischer Resident mehr, darf also praktisch nicht über ein Bankkonto in der Ukraine verfügen.

Menschen, die regelmäßig auf das Festland fahren müssen, können dies nicht mehr mit Fernbussen oder der Eisenbahn. Beides gibt es nicht mehr. Das beschloss die Regierung in Kiew Ende Dezember unmittelbar vor den Neujahresferien. Derzeit gibt es keine Aussicht, dass von der Krim aus das ukrainisch kontrollierte Territorium mit dem öffentlichen Verkehr erreichbar wird. So müssen die Krimbewohner irgendwie die kleine Stadt Nowoolexijiwka im Regierungsbezirk Cherson erreichen. Erst von dort aus kann man Kiew, Charkiw oder Lwiw per Zug erreichen.

Das Leben sei zwar komplizierter geworden, doch herrsche wenigstens kein Krieg, sagen viele Menschen. Die Lage in der Ukraine sei schrecklicher. Das hört man ständig, mit wem man auch spricht. Regierungssprecher Sergej Gorbatschow versichert: »Solange es Russland gibt, wird die Krim russisch bleiben.« Über das Jahresdatum des Referendums darf er sich freuen - schließlich ist vor einem Jahr sein Traum wahr geworden. Gorbatschow ist bestimmt nicht der Einzige, der am 16. März kräftig feiert.

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